New Sustainable Finance Strategy: So will die EU den Finanzmarkt umkrempeln
Schafft es das Wirtschaftssystem nicht, sich an den Klimawandel anzupassen, könnte das globale Bruttoinlandsprodukt bis 2100 um rund ein Fünftel schrumpfen. Die Auswirkungen wären katastrophal. Immerhin soll die Bevölkerung bis dahin auf fast 11 Milliarden Menschen wachsen. Ohne die entsprechende wirtschaftliche Entwicklung drohen Hungerkatastrophen und Armut. Das ergibt eine aktuelle Risikoeinschätzung der Europäischen Zentralbank. EZB-Präsidentin Christine Lagarde warnt: „Diese Ergebnisse unterstreichen die Wichtigkeit von Klimapolitik und der Veränderung des Wirtschaftssystems, (…) um die langfristige Zerstörung der Wirtschaft, des Handels und unseres Lebensunterhalts einzuschränken.“
Auch die Europäische Kommission weiß um den Ernst der Lage und präsentierte Anfang Juli ein umfassendes Paket an Gesetzesentwürfen und Strategiepapieren: Mit der „New Sustainable Finance Strategy“ soll der Übergang zu einem nachhaltigen Wirtschaftssystem gelingen. Zeitgleich veröffentlichte die Kommission mit dem Entwurf für einen „European Green Bond Standard“ ein einheitliches Regelwerk für grüne Investments, das Greenwashing am Finanzmarkt zukünftig verhindern soll. Zudem erließ die Kommission noch einen delegierten Rechtsakt, der vorsieht, dass Unternehmen regelmäßig Berichte darüber veröffentlichen müssen, welche Maßnahmen sie für den Klimaschutz treffen. Der Rechtsakt basiert auf der jahrelang erwarteten EU-Taxonomie-Verordnung, deren hier relevanten Teile kürzlich von der EU-Kommission ausformuliert worden waren.
Vier Säulen der Strategie
Die New Sustainable Finance Strategy beruht laut Finanzkommissarin Mairead McGuiness auf vier Säulen: Übergang, Inklusivität, Widerstandskraft und Globalismus. „Diese Strategie wird beim Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft helfen“, erklärt die Irin. Die Kommission wolle mit ihrem in mehrere Teilschritte gegliederten Fahrplan Schocks abfedern und einen weichen Übergang in das neue nachhaltige Wirtschaftssystem schaffen.
Zudem sollen neben großen institutionellen Akteur:innen auch kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) sowie Einzelhändler:innen mit an Bord geholt werden. Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis ergänzt: „Wir wollen auch nachhaltige Finanzierungsmöglichkeiten für KMUs erzeugen.“ Im Raum stünden etwa gelockerte Kreditvergaberegelungen für nachhaltige Projekte sowie grüne Hypotheken.
Weiters evaluiert die Kommission derzeit etwaige Risiken, die durch den Klimawandel für das Finanzsystem entstehen und analysiert, welche wirtschaftspolitischen Maßnahmen nötig sind, um potenzielle Krisen zu überstehen. Hierbei werden unter anderem Initiativen erörtert, die den Finanzsektor nachhaltiger und widerstandsfähiger machen.
Letztlich beachtet die Strategie auch das globale Gesamtbild der Klimakrise: Die Kommission wolle eine internationale Vorbildfunktion einnehmen und zeigen, wie ein nachhaltiges Finanzsystem aussehen kann. Auch internationale Zusammenarbeit im Bereich Sustainable Finance werde versiert. Kommissar Dombrovskis: „Wir werden mit internationalen Partner an nachhaltigen Finanzprodukten arbeiten, denn globale Herausforderungen bedürfen auch globaler Handlungen.“
Nachhaltige Anleihen
Auch in der Privatwirtschaft sucht die Kommission nach Gleichgesinnten. Mit dem Europäischen Standard für grüne Anleihen, dessen Konzept zeitgleich mit der New Sustainable Finance Strategy veröffentlicht wurde, will die EU einen neuen Qualitätsanspruch für nachhaltige Investments setzen. Emittent:innen können sich freiwillig an das Regelwerk der EU halten und dadurch an Attraktivität am Anlagemarkt gewinnen. Kommissar Dombrovskis dazu: „Mit dem Green Bond Standard wollen wir Greenwashing bekämpfen und erkennbar machen, welche Anleihen wirklich ein nachhaltiges Investment sind.“
Um das Label „European Green Bond“ tragen zu dürfen, müssen die Emittent:innen einige Kriterien beachten: Projekte, die aus den Anleihen finanziert werden, müssen mit der EU-Taxonomie übereinstimmen; es muss volle Transparenz darüber herrschen, wie die Einnahmen aus den Anleihen verteilt werden und das Einhalten des Regelwerks muss von EU-zertifizierten Expert:innen kontrolliert werden.
Berichtspflicht
Im delegierten Rechtsakt, der sich auf Artikel 8 der Taxonomie-Verordnung bezieht, geht es ebenfalls um die ökologische Performance von Unternehmen. Das Gesetz sieht vor, dass Konzerne für ihre Investor:innen transparent machen müssen, welche Maßnahmen sie gegen den Klimawandel treffen und wie der Erfolg der Projekte messbar gemacht wird. Unternehmen außerhalb des Finanzmarkts müssen künftig veröffentlichen, wie viel Geld sie für nachhaltige Investitionen ausgeben. Finanzinstitutionen – also Banken, Investmentunternehmen und Versicherungen – müssen ihren Anteil an ökologischen Aktivitäten im Vergleich zu ihrem gesamten Portfolio angeben. Das EU-Parlament und der Europäische Rat haben nun vier Monate lang Zeit, den delegierten Rechtsakt zu überprüfen und gegebenenfalls Änderungsvorschläge zu unterbreiten.
Ergänzung der Taxonomie-Verordnung
Mit der Ergänzung der Taxonomie-Verordnung reagiert die Kommission auch auf Forderungen, die nach der Präsentation des ersten Teils der EU-Taxonomie-Verordnung laut geworden sind. Über das Regelwerk werden die wirtschaftlichen Tätigkeiten von etwa 40 % der börsennotierten Unternehmen in jenen Sektoren abgedeckt, die für fast 80 % der direkten Treibhausgasemissionen in Europa verantwortlich sind. Ab dem ersten Jänner 2022 soll das Regelwerk im Bereich Klimawandel in Kraft trete. Ein Jahr später sollen andere umweltrelevante Bereiche, wie etwa eine funktionierende Kreislaufwirtschaft oder der Schutz der Meere, folgen.
„Katastrophal“: Kritik für grüne Investitions-Kriterien für Forstwirtschaft und Bioenergie
Mitte Juli hat die Arbeitsgruppe der Sustainable Finance Platform der EU-Kommission nun noch nachgelegt und einen 61 Seiten starken Entwurf für eine europäische soziale Taxonomie veröffentlicht. Darin haben die Expert:innen einen Kriterienkatalog für sozial nachhaltige Investitionen entworfen. Während der ökologische Teil vor allem um Schadensbegrenzung bemüht ist, kümmert sich sein soziales Pendant vor allem um sozial förderliche Unternehmensprojekte. Dabei geht es um Produkte und Dienstleistungen, die Erfüllung von Grundbedürfnisse und eine Basis-Infrastruktur sicherstellen. Gleichzeitig werden die Auswirkungen der Wirtschaft auf unterschiedliche Interessengruppen, wie Arbeiter:innen und Konsument:innen, berücksichtigt. All diese wolle man gleichberechtigt behandeln. Die Autor:innen stellen auch Überlegungen an, wie sich sozial nachhaltige mit ökologisch nachhaltigen Kriterien verknüpfen ließen.
Lob und Kritik
Die Reaktionen auf die New Sustainable Finance Strategy, den European Green Bond Standard und den delegierten Rechtsakt zu Artikel 8 der Taxonomie-Verordnung fallen gemischt aus: Der finanzpolitische Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament, Sven Giegoldals bezeichnet die Finanzstrategie in einem Interview mit den Salzburger Nachrichten als „glaubwürdige Alternative zu den oft laxen privaten Standards.“
Umweltschutzorganisationen hingegen kritisieren, dass die entscheidende Frage, ob auch Gas und Atomenergie als nachhaltig eingestuft werden, weiterhin aufgeschoben wurde. Es hagelte auch erneut Kritik gegenüber den grünen Anleihen, da die Holzindustrie und die Nutzung von Holz als Brennstoff von der EU-Taxonomie, auf der der Standard basiert, als nachhaltige Investition eingestuft wurde. Sébastien Godinot, WWF EU-Ökonom sagt: „Die endgültige Taxonomie der Kommission wurde stark von der unausgewogenen Lobbyarbeit Finnlands und Schwedens beeinflusst: Sie steht im Widerspruch zur Umweltwissenschaft, diskreditiert die Taxonomie und schafft einen verhängnisvollen Präzedenzfall.“ Im Bezug auf das Gesamtbild des Konzepts fasst Godinot zusammen: “Die Strategie wirkt teilweise unfertig: In vielen Fällen fehlt der letzte Schritt, der klar stellt, wie das Problem mit konkreten Gesetzmäßigkeiten gelöst werden soll.“