„Coding oder die Wirkmechanismen von KI werden immer mehr zum Basis-Knowhow“
Unternehmer klagen über den Fachkräftemangel. Wissenschaftler fordern Informatik als Pflichtfach. Die Regierung will Schulklassen mit Tablets ausstatten. Stiftungen vergeben Millionen für neue Education-Programme. Startup-Thinktanks und Coworking Spaces bieten Kurse für Entrepreneurship und Coder an. Und halb Österreich streitet sich darüber, ob die Lehrerbewertungs-App Lernsieg nun gut oder schlecht ist.
Ja, das Bildungssystem steht vor Umbrüchen, und zwar vor ganz großen. Auslöser ist die Digitalisierung, die in immer kürzeren Zyklen Dinge auf den Kopf stellt, die vorher in Stein gemeißelt schienen. Die große Frage ist, wie man Menschen künftig aus- und weiterbilden muss, damit sie in einer sich schnell ändernden Welt trotzdem ihren Traum-Job finden und dann auch nachgehen können.
Im Rahmen des A1 Business Summit haben wir die Gelegenheit genutzt, um mit Genetiker Markus Hengstschläger und Thomas Arnoldner, CEO der A1 Telekom Austria Group, über die Zukunft der Bildung zu sprechen und sie gefragt, was sie von der App Lernsieg und einem Pflichtfach Informatik in der Schule halten.
Herr Hengstschläger, Sie halten am A1 Business Summit eine Keynote unter dem Motto „Die Zukunft kommt so oder anders. Wir müssen uns auf beides vorbereiten.“ Wie kann das funktionieren?
Markus Hengstschläger: Grundsätzlich gibt es eine Zukunft, und die ist ungewiss. Aber für die Diskussion darüber wie man sich auf die Zukunft vorbereitet, kann es hilfreich sein, mehr und weniger vorhersehbare Anteile davon zu betrachten. Bei den mehr vorhersehbaren Anteilen der Zukunft kann man in der Gegenwart vielleicht leichter sagen, was man dafür an Bildung und Ausbildung braucht. Alle Arten von Technologien der digitalen Transformation begegnen uns schon heute so oft, dass bestimmte Grundkenntnisse in diesen Bereichen unverzichtbar sind. Deswegen machen ja auch zum Beispiel MINT-Bildungsoffensiven und viele verschiedene Ansätze im Bereich digitaler Bildung großen Sinn.
Und für die mehr unvorhersehbareren Anteile – um dann Antworten für neue Fragen entwickeln zu können – brauchen wir zusätzlich jede Menge anderer Skills: Kreativität, kritischen Denken, Flexibilität, intra- und interpersonelle Intelligenzen, soziale Kompetenz, Empathie, Team-Fähigkeit und vieles mehr – also alles, was auch notwendig ist, Neues zu erschaffen. Ich denke, diese Aspekte kann man auch unterrichten und ihre Weiterentwicklung unterstützen.
Herr Arnoldner, wie ist Ihre Sicht als A1-Chef auf dieses Thema? In Österreich sieht man derzeit viele privatwirtschaftliche Initiativen für Aus- und Weiterbildung – von großen Unternehmen wie A1 über Stiftungen bis hin zu Coworking Spaces und Startup-Vereinen. Wo muss man Ihrer Meinung nach ansetzen?
Thomas Arnoldner: Das ist ein sehr vielfältiges Thema. Ich kann nur unterstreichen, was Markus Hengstschläger gesagt hat. Die technologische Entwicklung ist so rasant, dass wir aufhören sollten, uns ständig den Kopf darüber zu zerbrechen, was wir konkret unterrichten, und viel mehr in Tools und Fähigkeiten und Mindsets denken müssen. Wir sehen, dass die Halbwertszeit bei neuem Wissen immer kürzer wird und dadurch der Weiterbildungsbedarf im Unternehmen viel größer wird.
Wir investieren massiv viel in die Weiterbildung unserer Mitarbeiter. Wir können das Reskilling-Problem nicht permanent über den Arbeitsmarkt lösen, indem wir Personen mit Fähigkeiten, die nicht mehr so stark nachgefragt werden, freisetzen und neue holen. Sondern wir versuchen, die bestehenden Mitarbeiter weiterzubilden. Wir verwenden dazu etwa eine Online-Learning-Plattform, über die wir im vergangenen Jahr weit über 100.000 Trainings in der gesamten Gruppe durchgeführt haben. Wir nutzen auch Künstliche Intelligenz, um notwendige Skills im Unternehmen zu ermitteln und gleichzeitig mit AI zu schauen, welche Mitarbeiter auf diese neuen Job-Profile passen.
Der dritte Bereich ist, dass wir uns als Unternehmen in unterschiedlichen Bildungsbereichen engagieren. Im CSR-Bereich etwa mit dem “Internet für Alle”-Initiative, wo wir bisher etwa 200.000 Menschen in der Breite geschult haben. Das startet bei Smartphone- und Tablet-Schulungen für Senioren, geht über Information zu Hate Speech und Cyber-Mobbing für Jugendliche bis zu Programmen für Eltern zum Umgang mit digitalen Medien.
Und wir sind im Bereich der Startups engagiert, wo wir mit EduTechs versuchen, neue Technologien für den Bildungssektor zu eröffnen – etwa Schoolfox mit dem digitalen Mitteilungsheft für die Kommunikation zwischen Eltern und Lehrern, eSquirrel mit Gamification-Ansätzen oder Mathe-Hero, wo man Schüler spezifisch auf die Zentralmatura vorbereitet.
Wir brauchen beides: digitale Kompetenzen in der Breite und digitale Kompetenzen in der Tiefe. Deswegen investieren wir etwa auch in Coding Labs für Jugendliche, wo sie niederschwellig den ersten Kontakt mit Programmieren bekommen können.
Sind digitale Tools also die Antwort auf die Herausforderungen der Digitalisierung?
Hengstschläger: Gewisse Grundkenntnisse beim Programmieren sind zum Beispiel wichtig, aber das bedeutet nicht, dass jeder IT-Spezialist werden muss. Aber, da schließe ich mich an, ein Teil sollte natürlich in diesen Bereichen schon sehr fachkundig werden, weil das für die Entwicklung von neuen Ansätzen und Innovationen eine unverzichtbare Komponente ist.
Der Mensch sollte allerdings bei diesen Entwicklungen die Bewertungs- und Entscheidungskompetenz behalten. Bildung unterstützt ja auch den Menschen bei der Entfaltung der individuellen Persönlichkeit. Vielleicht leben wir zur Zeit gar nicht so sehr in einer Wissensgesellschaft, sondern mehr in einer Informations- und Datengesellschaft. Man hat heute zum Beispiel enorm viel Information aus dem Internet zur Verfügung. Aber eben nur wer die Bewertungskompetenz hat, hat auch die Entscheidungskompetenz. Wer auch den Wunsch und die Fähigkeiten hat dahinter zu blicken, der kann damit besser umgehen und auch größeren Nutzen daraus ziehen.
Wie kann man eine solche Bewertungskompetenz vermitteln?
Hengstschläger: Dafür gibt es gute Hilfsmittel, die man erlernen kann – wie zum Beispiel richtig zu recherchieren, die dahinter liegenden Quellen zu erfassen, kritisch zu bleiben und vieles mehr. Als Genetiker, der für das Gesundheitswesen arbeitet und forscht, ist mir auch noch ein anderer Aspekt wichtig: Es ist ethisch geboten, im Sinne der Gesellschaft und der Patientinnen und Patienten die besten Technologien zu verwenden, um Diagnosen, prophylaktische Konzepte und Therapien zu entwickeln. Natürlich immer begleitet von der entsprechenden ethischen Diskussion.
Arnoldner: Genau, das Thema haben wir in der Gesundheit, aber auch in vielen anderen Bereichen, wo AI genutzt wird. Wir dürfen nicht in eine standardmäßige Abwehrhaltung kommen, wo wir neue Technologien verteufeln und gar nicht den Versuch machen, sie zu nutzen. Es sagt ja kein Mensch, dass wir sie ohne Regeln und ethische Grundlagen nutzen sollen, aber das haben wir in der Vergangenheit ja auch nicht gemacht. Das einfachste Beispiel ist der motorisierte Straßenverkehr. Als die ersten Autos kamen, ging es wilder zu. Mit dem Anstieg des Straßenverkehrs wurden Regeln, Ampeln und eine hoheitliche Durchsetzung dieser Regeln durch die Polizei eingeführt. Im historischen Verlauf sieht man, dass die Sicherheit im Straßenverkehr stark angestiegen ist.
Das Neue für uns heute ist, dass wir durch die schnelle technologische Entwicklung nicht hundert Jahre Zeit haben werden, um unsere ethischen Grundsätze und unsere Regelwerke anzupassen. Um auf den Bildungsbereich zurückzukommen: Das ist ja schon ein Hinweis auf die Rolle der Lehrer – weg von der frontalen Wissensvermittlung und Lehrer stärker dazu nutzen, um Meta-Wissen zu vermitteln und für die Beziehungsarbeit und den Aufbau von ethischen und moralischen Grundsätzen zu nutzen. Mit solchen Tools können wir viel besser auf die individuellen Bedürfnisse des Einzelnen eingehen. Derzeit orientiert sich die Schule am Durchschnitt – die Schwachen sind überfordert und die Starken sind unterfordert.
Konkrete Frage: Vertreter der WKO als auch der universitären Informatikinstitute haben zuletzt gefordert, Informatik als Pflichtfach an Schulen einzuführen – Ihre Meinung?
Hengstschläger: Wie gesagt, gewisse Grundkenntnisse sind unverzichtbar, aber nicht jede, jeder muss auf höchstem Niveau programmieren können. Aber als Anwender und Teilnehmer an einer gesellschaftlichen Diskussion brauche ich bestimmte Grundkenntnisse, um überhaupt die notwendigen Bewertungsebenen erreichen zu können. Ob das nun als eigenes Fach gestaltet ist oder ob das in andere Fächer einfließen soll – da muss man bei der Umsetzung kreativ sein.
Arnoldner: Es geht nicht so sehr ums Label und die organisatorische Verankerung, sondern man muss auf Basis der Kompetenzen diskutieren. Ich habe selber in meiner Schulzeit das Wahlpflichtfach Informatik genossen, und zwar nicht zynisch gemeint. Für viele war das der Nachmittags-Zeitvertreib. Die Frage ist: Welche Priorität geben wir welchen Kompetenzen? Coding oder die Wirkmechanismen von Künstlicher Intelligenz werden immer mehr zum Basis-Know-how – so, wie wir in der Mathematik die Grundrechenarten und die Grundzüge der Geometrie lernen. In den Lehrplänen muss ein Basiswissen an digitalen Kompetenzen verankert werden, sowohl im technischen Bereich als auch im Bereich des Metawissens.
Was nicht passieren darf ist, dass wir die heiße Kartoffel in ein einziges Fach delegieren. Wir sehen, dass wir uns mit Digitalisierungsfragen in allen Fächern auseinandersetzen müssen. Wir würden 95 Prozent der anderen Lehrer verlieren.
In Österreich schlagen wir uns derzeit mit anderen Fragen herum. Die App Lernsieg zur Bewertung von Schulen und Lehrern stößt auf viel Widerstand. Wie stehen Sie dazu?
Hengstschläger: Grundsätzlich ist die Bewertung von Lehre ein Instrument, das natürlich wichtig ist. An Universitäten gibt es das auch. Über das Instrument einer App und wie sie angewendet wird – da bin ich nicht eingearbeitet genug, um das bewerten zu können. Das kann man wahrscheinlich so und so sehen, aber grundsätzlich können und sollen Lehrende Feedback und Bewertungen als Chance sehen. Aber es gibt wahrscheinlich bessere und schlechtere Instrumente dafür.
Arnoldner: Ich habe schon in meiner Zeit als Schülervertreter gefordert, dass es eine Möglichkeit geben soll, die Lehrer zu bewerten. Das ist eine legitime Forderung. Aber über das Wie und das Instrument dazu kann man sicherlich diskutieren, da habe ich keinen Befund dazu.
A1 arbeitet mit EduTechs zusammen. Wie leicht oder schwer ist es, diese in den eher trägen Bildungsbereich zu bringen?
Arnoldner: Natürlich ist der vertriebliche Prozess ein anderer als im Consumer-Bereich. Aber gerade das Beispiel Schoolfox zeigt, dass sich bei einer Lösung mit echtem Mehrwert auch der Erfolg einstellt. Wir haben sehr viel Klassen in Österreich und auch in Deutschland, die Schoolfox benutzen. Es dauert vielleicht ein bisschen länger, aber auch im Bildungsbereich dreht sich das Rad weiter.
Letzte Frage: Der deutsche Philosoph Richard David Precht sagte in einem Interview zu mir, dass junge Menschen tun sollen, wofür sie wirklich brennen und künftig mehr Eigeninitiative brauchen werden. Welche Skills benötigt man für diese neue Arbeitswelt?
Arnoldner: Wenn man eine Berufswahl trifft, dann soll man sich dafür intrinsisch begeistern. Jungen Menschen muss man frühzeitig die Vielfalt der Berufswelt zeigen. Das ist das Schöne an den Coding Labs: Dort bekommen junge Menschen Berührung mit einem Berufsbild, mit dem sie früher nicht in Berührung gekommen wären. Plötzlich wird da die Leidenschaft geweckt. Wenn sich Leidenschaft und Nachfrage des Marktes paart, dann ist das eine tolle Kombination. Was uns aber bewusst sein muss: Keiner kann seinen Job für die nächsten 40 Jahre planen, weil sich die Job-Profile und Kompetenzen ändern. Das Wichtigste ist, dass wir Grundfähigkeiten mitbringen, die uns offen für Neues machen.
Hengstschläger: Ich sehe das genauso. Sich für etwas begeistern zu können und Eigeninitiative werden immer wichtiger. Und die digitale Transformation als Komponente des New-Work-Modells inklusive etwa Flexibilisierung der Arbeitszeit oder des Arbeitsortes könnte hierbei sogar unterstützend wirken.