Hintergrund

NGOs, Ikea und der Staat: David gegen Goliath im Kampf um Rumäniens Urwald

Das Waldgebiet Subcarpatii-Vrancei gezeichnet von Kahlschlägen ©Agent Green
Das Karpatenvorland des Vrancea-Gebirges (Subcarpatii-Vrancei) gezeichnet von Kahlschlägen ©Agent Green
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Neun UNESCO-Weltkultur- beziehungsweise Weltnatur-Erbstätten befinden sich in Rumänien. Eine davon: die alten Buchenwälder und Buchenurwälder. Zudem befinden sich in Rumänien die größten intakten Natur- und Urwaldgebiete innerhalb der Europäischen Union außerhalb Skandinaviens. Diese sind die Heimat von einer Vielzahl von verschiedenen bedrohten Tier- und Pflanzenarten. Daher wurden viele rumänische Naturwälder, aber auch ein Großteil der rumänischen Urwälder zu „Natura 2000“-Schutzgebieten ernannt.

Diese Schutzgebiete sind allerdings seit 2020 Bestandteil eines Vertragsverletzungsverfahrens der EU-Kommission gegen Rumänien. Die Begründung: Rumänien war unter anderem nicht imstande das in Verkehrbringen von Erzeugnissen aus illegalem Holzschlag innerhalb der EU zu unterbinden, Genehmigungen zum Holzeinschlag wurden ohne Naturverträglichkeitsprüfungen vergeben und Waldlebensräume in geschützten Natura 2000-Gebieten gingen verloren.

Aber nicht nur die rumänische Regierung wird von Umweltschützenden kritisiert. Im August 2021 geriert auch der Möbelriese Ikea wegen der Waldbewirtschaftung in Rumänien in die Kritik. Dieser sei mit rund 50.000 Hektar Wald der größte private Waldbesitzer des Landes, wie diese anführen.

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Situation für Urwald weiter schlecht

Zunächst, die allgemeine Situation. „In Rumänien gibt es noch 500.000 Hektar Wald in sehr naturnahem Zustand. 300.000 ha davon befinden sich in Natura 2000-Gebieten, sind aber zum größten Teil nicht vor Fällungen geschützt. Und die Abholzung dieser wertvollen Wälder schreitet rasch voran“, sagt Matthias Schickhofer. Schickhofer war für Greenpeace tätig, arbeitet als Journalist und Photograph und berät nun verschiedene Institutionen bei Umweltkampagnen. 

Über die genaue Anzahl der Urwälder und naturnahen Wälder gibt es verschiedene Schätzungen. Laut einer Satellitenbild-Studie von 2019 von der Umwelt-NGO Euronatur, an deren Ausarbeitung Schickhofer beteiligt war, gibt es in Rumänien noch 525.000 Hektar Urwald oder naturnaher Wald. 2017 identifizierte Greenpeace 300.000 Hektar Urwald in Rumänien.

Reiner Urwald darf auch laut rumänischem Recht nicht gefällt werden. Eigentlich. Laut der Onlineplattform Global Forest Watch sind allein im Zeitraum 2001–2020 etwa 376.000 ha Urwälder und Naturwälder in Rumänien trotzdem durch illegale und auch legale Nutzung verloren gegangen. Das auch in in Schutzgebieten wie Nationalparks und Natura 2000-Gebieten.

EU-Kommission wird 2020 aktiv

Das blieb 2020 dann auch nicht mehr ohne Folgen. Im Februar 2020 gab die EU-Kommission bekannt, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Rumänien zu eröffnen. Die Situation in den Wäldern hat sich dadurch allerdings nicht geändert, kritisierten Waldnaturschutzorganisationen Ende Februar 2022. Im Gegenteil, insbesondere in einigen der „ältesten und wertvollsten Wälder“ Europas in Rumänien im Fagaras-Gebirge, hätte der illegale Holzeinschlag in den letzten zwei Jahren sogar zugenommen, so drei NGOs mit Verweis auf einen von ihnen erarbeiteten Bericht über die aktuelle Lage in den rumänischen Wäldern. Die gleichen drei Organisationen, die rumänische NGO Agent Green, die deutschen Stiftung Euronatur und die NGO ClientEarth hatten im September 2019 Beschwerde vor der EU-Kommission gegen Rumänien eingereicht, durch welche sich in weiterer Folge das laufende Vertragsverletzungsverfahren entwickelt hat.

„Fanden vor Ort Desaster vor“

Agent Green ist weiterhin fortwährend in den Wäldern Rumäniens vor Ort und dokumentiert die Lage. Im August 2021 geriet dabei auch Ikea unter Beschuss. Ein Jahr lang hat das Team von Agent Green den eigenen Angaben nach verschiedene Waldgebiete des Konzerns in und um Natura 2o00-Gebiete beobachtet. Ihre Erkenntnisse haben sie anschließend veröffentlicht. Ein Vorwurf von Agent Green: In den Gebieten wurden Altbestände in den Wäldern gefällt und so die Artenvielfalt vor Ort beeinträchtigt. Auch sollen systematisch Umweltstandards verletzt worden sein, wodurch gegen die eigenen Richtlinien und Bestimmungen des FSC-Gütesiegels verstoßen worden sein soll, sowie gegen europäisches und internationales Recht.

Zudem gibt Agent Green an, einen Waldbewirtschaftungsplan für das Natura 2000-Gebiet Penteleu analysiert zu haben. Dieser sehe vor, dass der Großteil der Waldparzellen mit alten Wäldern, die zwischen 120 und 180 Jahre alt sind, vorrangig als „dringliche Angelegenheit“ abgeholzt werden sollen. „Wir waren vor Ort und fanden ein Desaster vor“, so Gabriel Păun von Agent Green zu Tech & Nature. Daraufhin entrichteten sie eine Beschwerde bei der NGO Soil Assoication, welche auch FSC-Zertifizierungen vornimmt. Diese überprüften die Lage vor Ort. 

Dieses Audit bestätigt auch Andriy Hrytsak, der Forestland Investments Portfolio Manager von der Ingka Investments auf Nachfrage von Tech & Nature. Der Zusammenhang: Die Ingka Group (Ingka Holding B.V. und ihre kontrollierten Unternehmen) ist eine von 12 verschiedenen Unternehmensgruppen, die IKEA Einzelhandelsgeschäfte und andere Verkaufskanäle im Rahmen von Franchiseverträgen mit Inter IKEA Systems B.V betreibt, so die Angaben des Unternehmens.

Die Ingka Group besteht aus drei Geschäftsbereichen. Zum einem Ikea Retail, zu welchem fast 400 Filialen des Konzerns gehören. Daneben gibt es Ingka Zentren, zu welchen erlebnisorientierte Einkaufszentren gehören. Mit Ingka Investment wird in das Kerngeschäft oder in Bereiche, „welche einen Mehrwert“ für die Kund:innen schaffen, investiert, so das Unternehmen. 

Andriy Hrytsyuk ©IKEA
Andriy Hrytsyuk ©IKEA

„Audit stellte keine Verstöße fest“

Laut Hrytsak würden sie es sehr ernst nehmen, wenn sie von NGOs oder anderen Organisationen Hinweise erhalten, dass Vorgaben nicht eingehalten werden. Im Fall der Beschwerde von Agent Green, haben zwei Mitarbeitende von Soil Association für zwei Tage vor Ort 40 Punkte von den Vorwürfen überprüft, gibt der Forestland Investments Portfolio Manager bei einem Gespräch mit Tech & Nature im Dezember 2021 an. “Es wurden keine unter Schutz stehenden Bäume gefällt. In keinster Weise würden wir zulassen, dass unter Schutz stehende Bäume gefällt werden”, versichert Hrytsak. Laut dem Abschlussbericht von Soil Assoication wurden keine Verstöße gegen FSC-Kriterien festgestellt. 

Auch von Agent Green waren Vertreter:innen während des Audits vor Ort. Trotzdem zweifelt Gabriel Păun den Bericht an: „Wir trauen dem Report nicht. Soil Association zertifiziert vor allem Ikea, das ist keine unabhängige Kontrolle“, so Păun.

Wie Hrytsak angibt, würden sie jedes Jahr 1.500 Stakeholder aus den Bereichen Universität, NGO und auch Einheimische einladen, ihre Waldbewirtschaftungspläne auf den Schutz der Biodiversität zu überprüfen und auf mögliche Missstände hinzuweisen. Überprüft werden die Waldbewirtschaftungsgebiete zudem jährlich von dem jeweiligen Gebietsleitenden für das Waldbewirtschaftungsgebiet mindestens drei Mal. Hinzu kämen Audits vom Compliance Manager und auch von externer Stelle, sowohl vom FSC als auch vom rumänischen Umweltministerium. 

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“Es ist ein systemisches Problem“

An der Teilnahme an solchen Audits hat Păun kein Interesse mehr, wie er sagt, auch wenn er zu einem weiteren Gespräch vor Ort mit Verantwortlichen des Konzerns bereit wäre. Er wolle ihnen vor Ort „die Zerstörung“ zu zeigen. Aufgeben wird die NGO nicht. Dabei fokussieren sie sich auf die Waldgebiete in ganz Rumänien und vor allem, auf die in ihren Augen Versäumnisse der rumänischen Behörden beim Einhalten des Natur- und Artenschutzes bei der Genehmigung von Waldbewirtschaftunsgplänen. Dafür bringen sie Beschwerden bei der EU-Kommission und rumänischen Gerichten ein. Ein Großteil dieser rumänischen Verfahren würde man gewinnen, so Păun.

Grundsätzlich ist es nicht verboten, in Natura 2000-Gebieten Bäume zu fällen. Die rechtlichen Grundlagen des Biotop- und Artenschutzes innerhalb der Europäischen Union sind die Vogelschutzrichtlinie und die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie). Das Ziel der FFH-Richtlinie ist die Erhaltung und Wiederherstellung der biologischen Vielfalt, was durch die Ernennung der Schutzgebiete erreicht werden soll. Zur Umsetzung und Einhaltung in der Praxis sind die jeweiligen Mitgliedsländer verantwortlich. Das hakt aber in Rumänien. “Es ist ein systemisches Problem“, so Umweltschützer Matthias Schickhofer,“ Es werden weiterhin Abholzungsgenehmigungen ohne Naturverträglichkeitsprüfung ausgestellt.“ Auch, wenn es in der Vergangenheit nun Beteuerungen von Rumänien bereits gegeben hätte, sich diesbezüglich zu verbessern.

Schickhofer sieht dabei auch ein Problem in der bisher unzureichenden Erhebung der zu schützenden Flächen: „Die Ur- und Naturwälder Rumäniens wurden bislang noch immer nicht offiziell und flächendeckend kartiert, und die Natura 2000-Schutzgüter wurden nicht hinreichend erhoben. Natura 2000 verbietet Nutzung ja nicht generell, aber Verschlechterungen für definierte Schutzgüter wie Lebensräume und Arten sind untersagt.“ Daher müssen die ökologisch wertvollen Flächen erhoben werden, so Schickhofer, und bis dahin brauche es seiner Ansicht nach ein Moratorium auf die Nutzung von Natur- und Urwalds-Verdachtsflächen, besonders im Staatswald. „Andernfalls drohen diese Wälder kaputt zu gehen, bevor sie ‚entdeckt‘ und geschützt werden können“, so Schickhofer.

Rodungen im Fagaras-Gebirge ©Agent Green
Rodungen im Fagaras-Gebirge ©Agent Green

„Kein Quadratmeter geschützt“

„In dem Natura 2000 geschützten Ikea-Wald, den ich besucht habe, da ist kein Quadratmeter geschützt. Die Wälder sind alle für eine schrittweise Abholzung vorgesehen. Am Ende der Abholzungszyklen wird es dann keinerlei alten Baumbestand mehr geben – und die Habitate für eine große Zahl an geschützten Arten wären dann auf Jahrhunderte verloren“, sagt Schickhofer. So seien die Schutzziele von Natura 2000 – wie etwa Schutz alter Wälder –  zwar im Managementplan aufgeführt, aber es würden Maßnahmen zur Durchführung fehlen.

Daher fordert er auch eine Überprüfung von Natur- und Urwalds-Verdachtsflächen in Natura 2000-Gebieten, in welchen bereits genehmigte Waldbewirtschaftungspläne vorhanden sind. Diese gelten zehn Jahre. Innerhalb diesen Zeitraumes könnten weitere Naturflächen zerstört werden, für welche bereits Abholzungen ohne vorausgegangene Naturverträglichkeitsprüfung  genehmigt wurden, fürchtet er. 

Er sieht in den rumänischen Wäldern einen Präzedenzfall: „Wenn es hier nicht gelingt, die Bestimmungen nach Natura 2000 zum Schutz wertvoller Lebensräume (wie Urwälder) und Arten durchzusetzen, unterminiert das den Green Deal und die EU-Biodiversitätsstrategie insgesamt“, ist sich Schickhofer sicher.

„Ernten weniger, als natürlich wächst“

Ikea verfolgt derweil die „IKEA Forest Positive Agenda for 2030“.  Laut der Agenda wolle man die Führung übernehmen und verantwortungsvolle Waldbewirtschaftung zur Norm auf der ganzen Welt machen. Auch die Verbesserung der Artenvielfalt ist als Ziel in dieser angeführt. Das ist, zumindest auf dem Papier, genau das, was die Umweltschützer:innen fordern.

Bezogen auf die rumänische Praxis gibt Andriy Hrytsak, der Forestland Investments Portfolio Manager von Ingka Investments an, dass weniger geerntet würde, als natürlich wächst. „Wir haben eine Null-Toleranz-Strategie gegenüber einer reinen Entwaldung”, so Hrytsak. Und: „Wälder sind für uns ein langfristiges Investment.“

Das bedeutet auch, dass junge Bäumen gepflanzt oder in ihrem Wachstum durch entsprechende Forstmaßnahmen unterstützt werden. Bäume, welche somit erst in vielen Jahren ihren vollen ökologischen, aber auch ökonomischen Nutzen entfalten können: „Manchmal müssen Aktionen getätigt werden, die erst in 100 Jahren Resultate bringen. Die Wälder sind für uns ein Investment, wir sind nicht auf schnelle Gewinne aus. Unser Hauptinteresse ist es, die Wälder zu regenerieren“, sagt Hrytsak. Das kann aber die Artenvielfalt belasten, so Schickhofer: „Viele Arten wie Spechte, Eulen, holzbewohnende Käfer, Fledermäuse usw. brauchen alten Wälder mit Totholz und Altbäumen. In einem Jungwald können die nicht überleben.“ 

Währenddessen mahlen die Mühlen langsam in diesem Streitpunkt. Seit Februar 2020 läuft jetzt das Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Rumänien. Păun erwartet jetzt, dass die EU-Kommission Rumänien vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt und das bis zu diesem Sommer. Das wäre der nächste Schritt und ist bei anderen Verfahren auch bereits vorgekommen. 2018 hatte das auch Erfolg. So entschied das höchste Gericht der Europäischen Union im April 2018, dass Polen mit dem massiven Einschlag im geschützten polnischen Bialowieza-Urwald EU-Naturschutzrecht verletzt hat.

Auf Nachfrage von Tech & Nature wollte sich die EU-Kommission bezüglich des aktuellen Stands des Vertragsverletzungsverfahrens in Rumänien nicht äußern.

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Vorbild für andere Waldbesitzer

Somit ist ein baldiges Ende des Disputes nicht abzusehen. Daher sehen sowohl Schickhofer, als auch Păun Ikea als größten privaten Waldbesitzer Rumäniens in einer noch ganz anderen Verantwortung, auch abseits von politischen Vorgaben. „Wenn Ikea die wertvollen Wälder erhebt und schützen würde, könnte das Unternehmen hier ein Vorbild für andere Waldbesitzer sein. Diese Naturwälder machen ja nur einen kleinen Teil des Ikea-Waldbesitzes in Rumänien aus“, so Schickhofer. Ikea könne sich den Schutz wohl leisten, so Schickhofer. Grundsätzlich sei es aber notwendig, öffentliche Mittel als Entschädigung für private Waldbesitzer bereitzustellen für geschützte Flächen, welche nicht genutzt werden können.

Derweil will der Umweltschützer Gabriel Păun nun selbst eine Vorbildrolle einnehmen. Mit seiner neuen Stiftung „Forever Forest“ will er im April eine Stück Mischwald in Rumänien kaufen. Von der Fläche soll die Hälfte „strikt geschützt werden“ und auf der restlichen Fläche verantwortungsvolle Forstwirtschaft getätigt werden, um in weiterer Folge „Slow Furniture“ zu produzieren. Damit will der Umweltschützer zeigen, wie ein Wald auch nachhaltig bewirtschaftet werden kann und wie wertvoll die Ressource Holz genutzt werden sollte. Denn seine Devise ist: Wenn schon ein Baum gefällt wird, der mehrere hunderte Jahre alt geworden wäre, dann sollten die daraus entstehenden Möbel zumindest genauso langlebig sein.

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