Interview

Nunu Kaller: „Ich bin so genervt von den Nachhaltigkeitsberichten“

Nunu Kaller © Trending Topics
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Wenn kleinere Umweltschutz-Maßnahmen darüber hinwegtäuschen, dass ein Unternehmen im Kern nicht nachhaltig ist, dann spricht man von Greenwashing. Das Vorgaukeln von Nachhaltigkeit hilft weder dem Klimaschutz, noch dem Image der Firma. Buchautorin und eine der bekanntesten Umweltaktivistin Österreichs Nunu Kaller erklärt im Interview mit Tech & Nature , wie Startups diese Falle vermeiden können. Bereits 2013 hat sie mit ihrem Buch zum Fashion-Überkonsum aufhorchen lassen: Für „Ich kauf‘ nix“ hat sie ein Jahr lang darauf verzichtet, neue Kleidung zu kaufen. Sie war zuletzt Konsumentinnen-Sprecherin für Greenpeace und wird im März 2021 ihr drittes Buch „Kauf mich!“ veröffentlichen.

Tech & Nature: Greenwashing wirft man oft den Firmen vor, die schon Dinge unternehmen, dass sie nicht genug oder nicht das Richtige tun. Aber zählt nicht eigentlich jeder Schritt?

Nunu Kaller: Es ist immer die Frage, welchen Hebel das Unternehmen hat. Ist es ein kleines Unternehmen, dass sagt, es kann kleine Schritte leisten, dann ja. Ist es ein großes Unternehmen, dass sehr viel mehr leisten könnte, dann sind die kleinen Schritte nicht ausreichend. Da weiß man genau, die könnten mehr.

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Tech & Nature: Bei großen Konzernen ist es ja sehr schwer, Veränderungen durchzusetzen. Das stell ich mir ganz besonders schwer vor.

Nunu Kaller: Ja natürlich ist es ein schwieriger Prozess. Das versteh ich auch. Man kann sich das vorstellen, wie ein riesengroßen Lastenkahn. Da dauert es sehr lang, bis der auch nur ein paar  Grad die Richtung ändert. Aber die Sache ist, man muss es von Anfang an strukturell richtig angehen. Da gibt es schon Kriterien. Wenn ich also zum Beispiel sag, ich schau mir die ganze Organisation des Konzerns an und schau da, wo ich überall Veränderungen vornehmen kann. Das ist ganz etwas anderes, als wenn ich, wie viele Firmen es machen, eine CSR -Abteilung an die Kommunikationsabteilung andocke. Das hat man auch bei österreichischen Unternehmen teilweise. Das birgt die sehr, sehr große Gefahr von Greenwashing.

Das Interview mit Nunu Kaller gibt es auch zum Anhören:

Zebras & Unicorns Podcast: So können Startups Greenwashing vermeiden

Da finden dann Projekte statt, die wirken dann, ich sag immer, als wenn man ein kleines Kinderpflaster auf eine große Fleischwunde klebt. Was bei vielen großen Konzernen ein großes Problem ist, dass sie in  in ihrem Kerngeschäft nicht nachhaltig sind. Eine OMV oder auch H&M zum Beispiel, sind sehr große Unternehmen, die in ihrem Kerngeschäft in diesem Leben nicht mehr nachhaltig werden. Eine Fast Fashion Kette, deren Kerngeschäft es ist, möglichst viel Kleidung, dass auf globaler Ebene produziert wurde, schnell unter die Leute zu bringen, kann mir noch so oft was von Bio-Baumwolle erzählen. So lang sie 50 Kollektionen pro Jahr anbieten, sind sie nicht nachhaltig. Da passt schon das Grundkonzept nicht.

Tech & Nature: Das heißt, diese Unternehmen müssten ihr komplettes Kerngeschäft vergessen?

Nunu Kaller: Im Endeffekt sind es nicht nachhaltige Unternehmen. Ich muss zugeben, inzwischen bin ich schon so genervt, von den Nachhaltigkeitspräsentationen und Berichten dieser Unternehmen, sodass ich mir einfach denk: Gebt doch einfach zu, dass ihr es nicht seid! Steht doch einfach dazu. Aber dieses Wissen, dass man schlecht und unökologisch ist, aber dabei noch unbedingt auf der Welle mit schwimmen wollen, das ist für mich reines Greenwashing.

Tech & Nature: Was hat das Greenwashing der Unternehmen dann für einen Sinn? Warum geben sie es nicht einfach zu?

Nunu Kaller: Die Konsumenten haben inzwischen realisiert, oh Hoppla, es gibt den Klimawandel. Das könnte unbequem werden. Es gibt wirklich nur noch wenige, die nichts davon wissen oder es gibt wenige, die nicht davon wissen, dass am anderen Ende der Welt unter unwürdigen Verhältnissen für uns produziert wird. Das ist inzwischen kaum eine Knowledge. Daraus ziehen natürlich die Leute ihre Konsequenzen und sagen, sie wollen andere Schritte setzen. Diese Zielgruppe ist inzwischen so groß, dass sie als eigene Zielgruppe identifiziert wurde und abgeholt werden muss.

Tech & Nature: Gibt es Branchen, die für Greenwashing anfälliger sind als andere?

Nunu Kaller: Es gibt zwei Branchen, wo die Gefahr von Greenwashing eindeutig gegeben ist. Zum einen sind das Branchen, die so dermaßen unnachhaltig sind, dass die Unternehmen irgendetwas tun müssen, um sich einen grünen Anstrich zu geben. Mein liebstes Beispiel ist da McDonald´s. McDonald´s ist nicht nachhaltig. McDonald´s bietet Fleisch an, dass teilweise in unfassbar schlechter Qualität aus Massentierhaltung kommt, das Essen ist fettig, es ist salzig und sie haben das Verpackungsthema. Es ist einfach eine unnachhaltige Weise sich zu ernähren. McDonald´s hat vor ein paar Jahren gesagt, dass sie total nachhaltig werden und deswegen ist der rote Hintergrund von ihrem Logo jetzt grün. Naja, das ist nicht wirklich nachhaltig. Aber es ist ein Beispiel dafür, dass sie eh wissen nicht wissen, was sie tun können. Also nehmen sie jeden Strohhalm auf. Das andere sind Branchen, die direkt am Endkonsumenten dran sind, also die b2c Geschichten. Auf b2b Ebene gibt es Greenwashing sicher schon auch, aber sicherlich weniger, als auf b2c Ebene, da es eben so ein gutes Marketing Tool ist.

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Tech& Nature: Wie kann ich als Konsument Greenwashing erkennen?

Nunu Kaller: Das ist nicht immer einfach, das gebe ich zu. Der Punkt ist leider, dass wir nicht ausreichend mit transparenten Informationen von den Unternehmen versorgt werden.  Das heißt, wir stehen in einer Holschuld. Der Weg führt leider nur über Informationen, Recherche und Nachlesen. Das regt mich auch oft auf. Warum ist das jetzt die Verantwortung des Endkonsumenten, sich in allen Bereichen genau auszukennen und zu wissen,  ob das jetzt nachhaltig ist oder nicht? Da bräuchte es Dinge wie ein anständiges Transparenzgesetz, ein Lieferkettengesetz, um für mehr Fairness und Transparenz und eine einfachere Handhabe für die Konsumenten zu sorgen.

Tech & Nature: Wir kommen aus Startup Branche. Da ist Nachhaltigkeit oft ein großes Thema. Worauf müssen die Startups achten, um nicht versehentlich in die Greenwashing-Falle zu tappen?

Nunu Kaller: Ich glaube, das Startups gegenüber den großen Konzernen einen riesigen Vorteil haben. Sie können es von Anfang an in ihre Struktur einbauen. Sie können von Anfang an grundsätzliche Spielregen festlegen, für die ein großer Konzern Monate braucht, um sie  ansatzweise umzusetzen. Wenn man das von Grund auf in die DNA hineindenkt, diesen Ökologisierungs- und Regionalisierungsgedanken, dann ist schon wahnsinnig viel gewonnen. Ein zweiter Vorteil von Startups ist, dass sie dadurch, dass sie oft recht klein sind, viel flexibler und schneller reagieren können. Und Tempo brauchen wir momentan ganz dringend.

Tech & Nature: Startups haben auch ein anderes Problem. Gerade am Anfang haben sie wenig Zeit und Ressourcen. Wie kommt man denn auf eine umfassende Strategie? Worauf sollte man achten?

Nunu Kaller: Ich glaube, da geht es gar nicht darum, dass man sagt, wir brauchen länger um unsere Strategie auf Nachhaltigkeit aufzubauen. Sondern das man von vornerein unter anderen Voraussetzungen an das ganze Konzept herangeht. Wenn man das von vorne herein mitdenkt, ist es die gleiche Arbeit. Nur die Perspektive ist eine andere. Natürlich ist auch hier wieder die Frage, wo kann ich mich informieren? Wo muss ich die Nachhaltigkeit mitdenken? Da ist einfach das Allerwichtigste: Schau auf dein Kerngeschäft, schau womit du deinen Umsatz machst und das ist der punkt, wo du nach Verbesserungen suchen musst. Es ist natürlich schön, wenn man sagt, mit jedem Produkt, dass du bei mit kaufst, pflanze ich einen Baum. Wenn das Produkt aber nicht nachhaltig ist, ist dabei natürlich nicht viel gewonnen.

Tech & Nature: Wie mache ich ein Produkt nachhaltig?

Nunu kaller: Das ist so schwer zu beantworten. Das ist total abhängig vom Produkt und so eine ganz individuelle Geschichte.

Tech & Nature: Ich höre oft von Startups, dass es anfangs schwierig ist regional zu produzieren, da die Stückzahlen sehr gering sind und die Aufträge von europäischen Produktionen gar nicht angenommen werden. Dadurch müssen sie erst nach Asien gehen. Kann und muss man da Kompromisse eingehen?

Nunu Kaller: Leider ja. Aus meiner aktivistischen Kampagnensicht würde ich natürlich sagen: Nein und man darf nicht. Realistisch gesehen, muss man diese Kompromisse eingehen. Leider. Das Ding ist, deswegen darf die Nachfrage an einer europäischen Produktion nicht versiegen. Sobald eine kritische Masse erreicht ist, geht es dann sehr wohl.

Tech & Nature: Zahlt es sich als Startup aus, in Nachhaltigkeits- Label oder Zertifikate zu investieren?

Nunu Kaller: Ach dieser Zertifikatsdschungel ist noch mal ein ganz eigenes Thema. Es gibt Unmengen an Zertifikaten weil es da auch keine klaren gesetzlichen Regelungen gibt. Es gibt in Österreich ein Gütezeichengesetz, da fällt meines Wissens nach, aber nur das AMA-Gütesiegel drunter. Es kann sich jedes Unternehmen seinen eigenen grünen Stempel basteln. Deswegen hat die Zertifikatsthematik bei den Konsumenten ein bisschen an Impact verloren. Alles, was ihnen Orientierung geben sollte, verwirrt sie nur weiter. Ich empfehle, wenn man auf Zertifikate setzt, sind diese auf jeden Fall bei globaler Produktion gut. Da braucht es einfach eine gewisse Form von Überprüfbarkeit, da man nicht jeden Tag selber in der Fabrik steht, wenn diese sich in China befindet.

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Ich empfehle, dass man sich erst informiert, welche sind die guten, vertrauenswürdigen Siegel, mit Standards zu effektiven Verbesserungen aus sozialer und ökologischer Sicht. Ich empfehle, sich diese anzuschauen und es sich dann auch gut durchzurechnen, wie sich diese finanzieren sollen. Denn, unbedingt nach Zertifikaten schreien und daran finanziell eingehen, damit ist niemanden geholfen. Es muss durchbudgetiert sein und es muss klar sein, dass nur Siegel und Gütezeichen gewählt werden, die unabhängig von externen Unternehmen überprüft werden. Das es regelmäßige strenge Audits gibt. All diese Punkte müssen geklärt sein. Das ist eine ziemliche Arbeit, das verstehe ich.

Tech & Nature: Hast du da eine Empfehlung? 

Nunu Kaller: Naja es gibt Unterschiede. Fairtrade zum Beispiel ist in einigen Belangen sehr gut und bei anderen Punkten aus Konsumenteninformationstechnisch wieder ein bisschen schwierig. Bei Orangensaft haben sie beispielsweise den Mengenausgleich von 10 Prozent. Das heißt, der Produzent kauft Orangen ein und 10 Prozent davon haben das Fairtrade Siegel. Der Produzent mischt das alles zusammen und verkauft es abgemischt. Dieser Orangensaft ist quasi Schrödingers Orangensaft, es sind Fairtrade Orangen drin oder auch nicht. Wir wissen es nicht. Aber die Säfte dürfen alle mit Fairtrade Siegel ausgezeichnet sein. Das finde ich aus Konsumentensicht schwierig. Ich verstehe es aus Organisationssicht, weil du kannst wahrscheinlich von der Liefermenge her, keine 100 %  Fairtrade Waren nehmen. Es ist extrem abhängig von dem Produkt und dem Produktionsort. Im Textil-Bereich kann ich zum Beispiel immer das Global Organic Textile Standard Siegel empfehlen. Eines der wenigen Zeichen, dass sowohl soziale als auch ökologische Faktoren als Standard hat. Aber es gibt natürlich immer die Herausforderung durch die Intransparenz der Lieferkette.

Tech & Nature: Zurück zum Greenwashing – Gibt es Greenwashing-Trends, als Beispiel Meeresplastik, die nicht halten was sie versprechen?

Nunu Kaller: Ja, das Meeresplastik ist auch ein schwieriges Thema. Ich habe auch schon teilweise mitbekommen, dass Sportschuhe aus Meeresplastik verkauft werden, die noch nie das Meer gesehen haben. Aber ich glaub,  dass das ganz Recyclingthema ein sehr schwieriges ist. Recycling ist wahnsinnig positiv besetzt- berechtigterweise. Aber wir werden immer öfter mit dem Wort „re­cy­cel­bar“ konfrontiert. Nur, weil es theoretisch re­cy­cel­bar ist, heißt es noch lange nicht, dass es das auch ist. Es muss vom Kunden in den Kreislauf gebracht werden, in dem es richtig entsorgt wird. Dieses System muss funktionieren. Es gibt genug Produkte wo „re­cy­cel­bar“ drauf steht und die dann trotzdem im Restmüll landen und verbrannt werden. Wir lesen das und denken: Super, gute Entscheidung, super Produkt. Meiner Meinung nach, braucht es da wirklich Nachbesserungen in dem Abfall-Wirtschaftssystemen. Das halte ich für ein  sehr, sehr großes Greenwashing Thema.

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Tech & Nature: Wenn ich mich als Startup mit solchen Nachhaltigkeitstrends auseinandersetze und dann merke, dass nicht viel dahinter steckt – Kann ich trotzdem darauf setzen, weil meine Kunden es wollen?

Nunu Kaller:  Ich glaube das ist eine Frage von Kommunikation. Greenwashing ist ja eigentlich ein Kommunikationsthema, denn natürlich ist es gut, Schritte in Richtung Nachhaltigkeit zu setzen. Als Startup finde ich es sehr wichtig, es von vornerein richtig nachhaltig anzugehen. Die Frage ist, ab wann ich es kommuniziere. Das ist etwas, dass ich sehr oft kritisiere. Sehr oft fällt mir auf, dass Unternehmen ein nachhaltiges Projekt machen, das, im Vergleich zum restlichen Geschäft, quasi Mäusegröße hat und kommunizieren es dann als Elefanten. Als Beispiel: Wenn ein Textil-Hersteller stolz kommuniziert, dass er in Afrika einmalig 50. 000 Liter Wasser eingespart hat und eine Jeans aber allein schon in der Produktion 8000 Liter Wasser verbraucht, und so in einer Filiale mehr virtuelles und effektives Wasser über den Ladentisch gehen, als gespart wurde. Trotzdem hören wir das und es kommt uns groß vor. Es ist immer eine Frage wann und wie ich das kommuniziere und in welchen Vergleich ich es stelle.

Tech & Nature: Was für gesetzliche Richtlinien können gegen diese irreführende Kommunikation gesetzt werden?

Nunu Kaller: Es gibt natürlich noch viel zu wenige Gesetze und Rechtlinien, dass das funktioniert, aber ich merke auch, dass da Bewegung entsteht. Es gibt seit Jahrzehnten einen Bericht, in welchem Nachhaltigkeitsberichte vergleichbar dargestellt werden. Da hat es vor ein paar Jahren die Veränderung gegeben, dass man unbedingt berichten muss, was das Kerngeschäft betrifft. Vorher konnte beispielsweise ein Atomkraftwerk, das ja so gut wie kein CO2-Ausstoß hat, sich das auch in den Nachhaltigkeitsreport reinschreiben. Jetzt müssen auf die wesentliche Punkte in der Produktion schauen. Das heißt, da passiert schon einiges. Es gibt auch momentan einen großen Drang in Richtung Liederkettengesetz Die große Intransparenz in Lieferketten, ist einer der größten Feinde der Nachhaltigkeit. Wenn du es nicht einmal überprüfen kannst, wie willst du es dann besser machen? Ich denke da muss noch einiges passieren. Ich gehe davon aus, dass auf der EU-Ebene der Green Deal da einige heftige Veränderungen bringen wird.

 

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