Oliver Holle: „Die Anti-Globalisierungswelle schadet unserem Geschäft“
Wir haben Oliver Holle, den Gründer des Venture Fonds Speedinvest in der Faulmanngasse zum Interview über den Rechtsruck in Europa und den USA getroffen. Eines vorneweg: Die Auswirkungen, die die Erfolge der Populisten wie Trump, Le Pen und Hofer auf die Wirtschaft und die Investitionsfreudigkeit in junge Unternehmen haben, werden auch in Wien zu spüren sein.
Trending Topics: Wir wollen über Politik sprechen. In Amerika hat sich Paypal-Gründer und Investor Peter Thiel früh zu Donald Trump bekannt. Wie ist die Stimmung unter Österreichs Investoren? Spielt die Politik eine Rolle bei Überlegungen zu Investments?
Oliver Holle: Politik spielt eine große Rolle. Vor allem den Schaden, den diese Anti-Globalisierungswelle auf unser Geschäft hat.Wir haben ja mit New Enterprise Associates, dem größten Venture Fonds in den USA, einen strategischen Partner in Amerika. Einige Partner waren noch einen Monat vor der Wahl in Wien und Trump war der Albtraum schlechthin für sie. Nicht nur persönlich – sie haben sich für diese Entwicklung geschämt – sondern auch wirtschaftlich.
TT: In Europa zeigt die Tendenz auch stark nach rechts. Wie beeinflussen die Nationalbestrebungen ihrer Meinung nach das Geschäft der Investoren?
Holle: Venture ist das internationalste Geschäft, das man sich vorstellen kann und sehr elitär. Wir betreuen einen kleinen Ausschnitt der Firmenwelt. Junge Firmen, die schnell global wachsen wollen. Und alles, was dieses Bestrebungen hemmt und Unsicherheiten erzeugt, ist per se schlecht für uns. Gerade die größeren Investoren reagieren sehr schnell und ziehen sich bei den kleinsten politischen oder wirtschaftlichen Verschiebungen wieder zurück. Für österreichische Startups, die weitgehend Anschlussfinanzierungen aus dem Ausland brauchen, ein großes Problem. Man merkt, dass B- und C-Investoren, die ab zehn Millionen Euro in Unternehmen stecken, schon seit einem Jahr massiv auf der Bremse stehen, insbesondere wegen der geopolitischen Lage.
TT: Diese Vorsicht bei Investitionen ist ein globales Problem. Was würde eine eventuelle Neuwahl in Österreich für die Startup-Szene bedeuten?
Holle: Diese Tendenz begann in den USA und breitete sich nach dem Brexit über Großbritannien aus, wo viele der Groß-Investoren zuhause sind. Das hat für Österreich große Auswirkungen, weil es in Österreich keine Investoren gibt, die diese Investments stemmen können. Wir sind massiv von den Engländern, den Deutschen und den Amerikanern abhängig. Diese Rückwärtstendenz tut uns überhaupt nicht gut. Es ist eine paradoxe Situation: In all den Jahren, in denen ich in der Szene arbeite, habe ich noch nie so eine positive politische Stimmung zu diesem Thema erlebt. Das erste Mal haben wir mit Bundeskanzler Christian Kern und Staatssekretär Harald Mahrer zwei Leute, die wissen um was es bei unserem Geschäft geht und mit denen man arbeiten und Agenden umsetzen kann. Angst bekomme ich, wenn ich nach vorne blicke:
Die gesamtpolitischen Versäumnisse der letzten Jahrzehnte können sich rächen und das zarte Pflänzchen, das wir gesät, gepflanzt und gegossen haben, könnte nach einer Neuwahl wieder einknicken.
TT: Was wäre los, wenn andere Parteien an die Macht kommen würden?
Holle: Wir profitieren aktuell von einer guten Zusammenarbeit zwischen Politik, Venture Capital und Business Angels, aber das ist ein sehr personenabhängig. Die allermeisten Politiker verstehen nicht einmal ansatzweise was wir eigentlich tun.
TT: Stichwort Brexit: Berlin wirbt aktiv um die Startups, die nach dem Austritt der Briten aus der EU nach Europa zurück wollen. Könnte Wien dort auch aktiver werden?
Holle: Die Szene differenziert sich durch die politischen Entwicklungen. Frankreich hat beispielsweise in den letzten zwölf Monaten viel an Momentum gewonnen. Speedinvest ist derzeit der aktivste FinTech-Investor in ganz Europa. Wir haben also durchaus auch aus Wien eine Führungsrolle einnehmen können. London wird auch weiterhin, auch aufgrund der vielen jungen Talente dort, eine führende Rolle behalten, allerdings nicht in der Dominanz wie bislang. Wien könnte aber durchaus auch dort noch Akzente setzen.
TT: Sollten sich Startups in diesen unruhigen Zeiten noch auf die Fahne schreiben global aktiv werden zu wollen?
Holle: Ich würde jedem Unternehmer raten, sein Geschäftsmodell global aufzustellen. Wobei bei global mittlerweile so einen negativen Beigeschmack hat. Es geht eher darum, große Visionen entwickeln zu können. Das kann auch nur in Europa oder im deutschsprachigen Raum funktionieren. Aber sich jetzt ins Kämmerlein zurückzuziehen, halte ich für definitiv falsch.
TT: Welche Fehler hat die Wirtschaftspolitik aus Ihrer Sicht in den vergangenen Jahren gemacht?
Holle: Entscheidende wirtschaftspolitische Fragen wurden in den letzten Jahren viel zu stark vernachlässigt. Logische Reformen, die teilweise nur sehr schwach ideologisch besetzt sind, wurden aus gegenseitiger Bequemlichkeit nicht umgesetzt. Einige Leute in der Regierung haben das jetzt anscheinend kapiert. Aber wenn gleichzeitig die Neuwahl-Keule droht, dann wird jeder Schritt doppelt so schwer. Aber diese Themen Umverteilung, Bildung, Digitalisierung sind alle wirtschaftspolitisch zu lösen. Da müsste man brutaleren Reformwillen zeigen. Es ist ein Fakt, dass viele Arbeitsplätze durch die Digitalisierung verloren gehen werden, aber auch viele neu geschaffen werden. Wenn man das nicht aktiv betreut und mit Geld und Wissen lenkt, werden viele Menschen auf der Strecke bleiben.
Die Unterstützung der Unternehmer, die vorangehen, war in Österreich lange nicht als schick angesehen und diese Mentalität muss endlich ein Ende haben.
TT: Die Reichen bleiben reich und werden reicher. Die Mittelschicht verarmt. Die Umverteilungsproblematik ist ein globales Problem. Wie wird die Digitalisierung darauf wirken?
Holle: Man darf das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Technologie ist grundsätzlich etwas positives. Mit weniger Ressourceneinsatz kann man mehr herausholen. Die Rolle der Politik ist, dass dieses mehr nicht nur in den Händen von einigen wenigen landet, sondern gerechter verteilt wird.
TT: Social Entrepreneurship ist einer der Megatrends der kommenden Jahre. Werden Startups nun ihrem ideologischen Vorbau, die Welt zu verbessern, gerecht?
Holle: Das große Venture Kapital geht in den USA gerade hin zu den Themen Gesundheit und Pflege. Vor ein paar Jahren hat man dies noch als Social Entrepreneurship kleingeredet. Jetzt sind das sehr große Wachstumsfelder, die durch Technologie neue Impulse bekommen. Doch auch das muss politisch unterstützt werden. Diese Effizienzsteigerungen haben Auswirkungen auf viele Menschen, die müssen klug legislativ unterfüttert werden. Im Gesundheitssektor übernehmen staatliche Institutionen Managementpositionen, die mehr schlecht als recht verwaltet werden. Dort schlummern riesige Technologie- und Effizienzpotenziale, die man heben kann. Vieles kann in Zukunft auch von Startups umgesetzt werden, in Zusammenarbeit mit staatlichen oder semistaatlichen Betrieben. Dazu müssten die nur anfangen, miteinander zu reden. Eine ähnliche Entwicklung hat man vor zehn bis 15 Jahren im Medien- oder Telco Bereich gesehen. Eine solche Entwicklung muss nicht sofort Ängste auslösen, dass wir unser Sozialsystem aushöhlen. Politischer Wille und politische Kontrolle ist möglich, auch wenn man Unternehmertum zulässt. Von den alten Denkmustern, die diesen Ansatz problematisch einstufen, müssen wir uns lösen. Auch ein aktiver Staat kann sehr gut mit Unternehmertum und Startups zusammenarbeiten. Man benötigt gesetzliche Spielregeln und Rahmenbedingungen und kann darüber hinaus mit keynesianischen Programmen Akzente setzen. Schauen wir nach Asien. Dort funktioniert das mitunter tadellos. Dort werden massive wirtschaftspolitische Richtungen vorgegeben, aber trotzdem Unternehmertum gefördert.
Diese Denke, dass alles private antisozial ist und alles staatliche sozial ist ein Anachronismus, der nicht mehr in unser Jahrhundert passt. Wenn wir das hier in Europa nicht in unsere Köpfe bekommen, dann kommen sie, die rechten Recken.
TT: Wo soll die Politik jetzt ansetzen um den Karren aus dem Dreck zu ziehen?
Holle: Wenn das Bildungsthema nicht angegangen wird. Die Strukturen auf den Schulen, Fachhochschulen und den Universitäten sind derart verkrustet, dass auch eine Reform vor fünf Jahren zu spät gewesen wäre, als dass die Absolventen jene Fähigkeiten mitbringen würden, die wir in unseren Unternehmen brauchen. Es gibt keinen Grund, diese Reformen nicht anzugehen. Ähnlich bei der Steuer und dem Gewerberecht.
Viele Bastionen, die von steinalten Interessenvertretungen verteidigt werden, kann die Bevölkerung schlicht nicht mehr nachvollziehen. Wenn eine Regierung das nicht gelöst bekommt, dann hat sie das Regieren am Ende auch nicht verdient.