Oliver Holle: „Politisch finde ich es merkwürdig, dass Startups plötzlich böse sind“
Oliver Holle gestaltet die österreichische Startup-Szene bereits seit Beginn an mit. 2006 gelang ihm mit 3United einer der ersten großen heimischen Exits. Die Bezahl-SMS-Firma wurde damals um 55 Millionen Dollar von dem US-Unternehmen Verisign übernommen. Holle ging für Verisign ins Silicon Valley, zwei Jahre später trennt sich das US-Unternehmen allerdings wieder von 3United, die an einen Investor aus Österreich verkauft wurde.
50 Millionen Euro hat Speedinvest bereits investiert
Zurück in Österreich hat Holle zuerst „The Merger“ und dann den VC-Fonds Speedinvest gegründet. Seither hat der Fonds, der mittlerweile um Speedinvest II (rund 100 Mio. Euro) und die Spezialfonds Speedinvest x und Speedinvest f ergänzt wurde, insgesamt rund 50 Millionen Euro in heimische und internationale Startups investiert.
Die zehn Millionen Euro des ersten Fonds haben die Investoren mit einigen Exits bereits wieder zurückverdient. Das Potenzial ist aber noch viel größer, denn vielversprechende Startups wie Tourradar, Bitmovin und Wikifolio sind noch im Portfolio von Speedinvest. „Rechnet man das ein, kommt man ungefähr auf das Dreifache des Fondsvolumens“, sagt Holle. „Das war also wirklich ein gutes Investment“.
Trending Topics: Die letzte Regierung galt als sehr Startup-freundlich, wie nehmen Sie die neue Regierung wahr?
Oliver Holle: Es gibt, glaube ich, auf persönlicher Ebene viel Interesse, gerade von der ÖVP-Seite. Sebastian Kurz ist auch immer wieder in der Startup-Szene involviert gewesen. Im Regierungsprogramm ist es aber kein Konsensthema und deshalb ein bisschen von der Bildfläche verschwunden. Das ist natürlich schlecht, weil ich sehe, dass es bei anderen europäischen Regierungen sehr wohl ein Top-Thema ist. Ich halte es für völlig verfehlt, den Mittelstand oder Kleinbetriebe gegen Startups auszuspielen. Dass Österreich im Bereich Digitalisierung Aufholbedarf hat und wir für ausländische Unternehmen attraktiver werden müssen, sollte ein Thema sein. So wachsen Wirtschaften heutzutage. Das ist eine vertane Chance, die sich eine wirtschaftsorientierte Regierung eigentlich auf die Fahnen heften sollte.
Welche Maßnahmen könnte die Regierung setzen?
Wo ich zustimme ist, dass wir keine weiteren Förderprogramme brauchen. Es braucht Anreize, um Eigenkapital in Startups zu bringen. Das wirkliche Kapital liegt in den Pensionsversicherungen, in den Stiftungen und letztlich in der öffentlichen Hand. Die aws hat zum Beispiel bei unserem ersten Fonds fast 30 Prozent mitfinanziert. Das war eine der besten Investitionen der öffentlichen Hand in den letzten Jahren – die bekommen ein Vielfaches des Geldes zurück und haben für die Startup-Szene einen wirklichen Impact gehabt. Das passiert ja auch weltweit. Ganz viele europäische Regierungen haben solche Staatsfonds-Modelle, bei denen in Funds of Funds investiert wird. Die Regierung könnte mit relativ kleinen Schrauben sehr viel bewegen – auch im institutionellen Bereich.
Sie haben 1997 ihr erstes Unternehmen gegründet. Haben es Startup-Gründer heute leichter oder schwerer als damals?
Am stärksten hat sich sicher die Informationslage für Gründer geändert. Damals waren wir auf uns alleine gestellt und hatten nur die alten Lehrbücher von der Uni. Heute gibt es ganz andere Möglichkeiten, sich mit anderen jungen Gründern auszutauschen. Damals ist man auch nicht so offen miteinander umgegangen und dadurch war natürlich auch das Fehlerpotenzial viel höher.
Gibt es auch etwas, was damals besser war?
Es gab quasi Null Konkurrenz. Dadurch hat man sehr schnell sehr viel Aufmerksamkeit bekommen. Ende der 1990er-Jahre war auch ingesamt eine Hype-Stimmung. Businessmodelle waren ein Luxus und man konnte noch Produkte ohne tatsächlichen Mehrwert verkaufen. Da gab es ein paar Jahre lang ein Zeitfenster, in dem man sehr kreativ sein konnte. Das war cool, hat sich aber natürlich schrecklich gerächt.
Inwiefern?
Wir haben damals sehr viel Geld bekommen und hatten quasi keine Vorgaben. Wir konnten wirklich coole digitale Produkte entwickeln, die uns gefallen haben. Die große Gefahr ist aber, dass man völlig am Markt vorbeientwickelt – ohne Geschäftsmodell und letztlich auch ohne User oder Kunden.
Das haben Sie gemacht?
Total. Ich habe immer nur das gemacht, von dem ich selbst geglaubt habe, das es ein tolles Produkt ist. Ich habe erst viel später gelernt, Kunden zuzuhören. Es sind aber damals in gewisser Weise tolle Produkte entstanden. Leider waren sie nicht erfolgreich.
Zum Beispiel?
Wir haben zum Beispiel das Spiel Flirt Boat entwickelt. Das war ein Multiuser-Spiel, in dem man einen Avatar angelegt hat, der dann ein virtuelles Eigenleben entwickelt hat. Während man offline war, haben sich diese Avatare mit anderen Avataren angefreundet und dem Spieler dann davon erzählt. Am Ende konnte man die Personen hinter den Avataren kontaktieren – also ein sehr indirektes Flirten. Das war lustig, es gab aber damals keine Möglichkeit, so etwas zu monetarisieren. Wir haben es gegen absurd hohe Lizenzzahlungen verkauft. Eine durchgängige Businesslogik war da aber nicht dahinter.
Wäre ein Exit wie der der 3United heute noch möglich?
Heute wäre die Firma viel mehr Wert als damals. Das war eine hochprofitable Firma mit fast vier Millionen Ebit und wir sind massiv gewachsen. Es ist eher umgekehrt ungewöhnlich, dass es damals geklappt hat. Wir haben für damalige Verhältnisse sehr früh in die USA geschaut.
3United hatte in den USA quasi keine Konkurrenz, das passiert österreichischen Startups heute wohl eher selten.
Nein, nicht unbedingt. Es gibt immer wieder tolle Technologiefirmen aus Europa, die besser sind als amerikanische Firmen. Zum Beispiel Bitmovin aus Klagenfurt, die bessere Videostreaming-Technologien entwickelt als US-Firmen. Die 3United hatte auch Konkurrenz, die waren aber schlechter. Die europäische Mobilfunktechnologie war damals allgemein stärker als in den USA – das ist wahrscheinlich das Ungewöhnliche. Heute sind wir zum Beispiel bei Industrie 4.0 besser als die Amerikaner. Auch im Bereich Datenschutz habe ich gute Hoffnungen, dass sich in Europa Startups entwickeln, die den Amerikanern voraus sind.
Kann Europa den Vorsprung, den das Silicon Valley hat, aufholen?
Ich glaube, dass China da auf einem guten Weg ist – vor allem im Energiebereich. In Europa sind wir derzeit nicht auf einem Aufholpfad. Ich glaube aber schon, dass es insgesamt eine zunehmende Dezentralisierung der Digitalkompetenz, Startupkompetenz und Venturekompetenz gibt. In Europa war vor zehn Jahren in diesen Bereichen noch so wenig da, dass es viel aufzuholen gab.
In letzter Zeit hören wir oft, dass der Startup-Hype wieder abflaut und auch die Qualität der Startups nicht mehr so hoch ist. Wie sehen Sie das?
Ich finde es gut, wenn der Hype wieder abflaut. Der war schon etwas ungesund.
Inwiefern?
Weil die Medienlogik natürlich so ist, dass alles was hochgeschrieben wird auch abstürzen muss. Ich bin froh, wenn es ein Softlanding ist, wenn die Szene stabiler wird. Auch politisch finde ich es merkwürdig, dass Startups plötzlich böse sind, nur weil die Vorgängerregierung so stark darauf gesetzt hat. Das ist ein Thema, bei dem es fahrlässig ist, es nicht zu behandeln.
Dass die Qualität der Startups sinkt sehe ich nicht so. Wir haben mit Bitmovin und Tourradar zum Beispiel Startups, die international aufgestellt sind und auch internationale Finanzierungsrunden schaffen – das ist für Österreich im Digitalbereich ungewöhnlich. Was wir noch nicht so gut schaffen, ist ausländische Talente nach Österreich locken.
Welche Branchen sind für Speedinvest am interessantesten?
FinTech – da haben wir auch schon einen gewissen Vorsprung – Marketplaces und Industrie – vor allem durch die enge Verbindung zu den USA. Das sind unsere drei Hauptthemen.
Wie sieht es mit Krypto- bzw. Blockchain-Startups aus?
Wir haben das Thema schon auf der Agenda, sind aber nicht die enthusiastischsten Krypto-Investoren.
Warum?
Die Blockchain halte ich tatsächlich für eine sinnvolle Basis-Infrastruktur. Man muss nur bei den Use Cases sehr genau hinschauen, denn fast alles wird bereits von großen Firmen abgedeckt. Im Banking-Bereich hat da zum Beispiel fast kein Startup mehr Platz. Andrerseits gibt es viele Use Cases, bei denen Blockchain nicht unbedingt ein Mehrwert ist. Dann bleibt gar nicht mehr so viel übrig.
Im Krypto-Bereich sind wir sehr froh, dass wir die erste Welle ausgelassen haben. Wir haben sehr viele Startups erfolgreich ICOs machen gesehen, die für uns nicht finanzierungswürdig waren. Nur weil ICO draufsteht, ist das Geschäftsmodell ja nicht besser.
Was halten Sie von ICO-Finanzierungen?
Wir haben ein, zwei Startups im Portfolio, die einen ICO überlegen. Es gibt durchaus Use Cases wo das Sinn macht, zum Beispiel bei sehr stark Community-getrieben Geschäftsmodellen. Im Fintech- und Energie-Bereich gibt es auch viele sinnvolle ICOs.
An der Wiener Börse wird der Dritte Markt wieder geöffnet. Würden Sie einem Startup zu einem Börsengang raten?
Ich selbst war ja live dabei, wie der sonstige Handel in Wien schon einmal funktioniert hat oder eigentlich nicht funktioniert hat. Anfang der 2000er war meine Firma im sonstigen Handel gelistet und das war nicht sehr sinnvoll. Das war ein rein formales Listing und es war null Liquidität im Markt. Mit der Börsennotierung hat man quasi nur internationalen Fonds vorgegaukelt, dass man gar kein Startup ist, sondern eine börsengelistete Firma. Das hat uns große Probleme beschert.
Welche?
Wir waren ein 15-Personen-Unternehmen und hatten plötzlich Streubesitz. Wir haben dann mit zwei anderen Startups fusioniert und das geht mit Streubesitz nicht. Wir mussten als Mini-Unternehmen einen Delisting-Prozess mit enormen Kosten auf uns nehmen, um überhaupt wieder Transaktions-fähig zu sein. Letztlich würde uns auch kein großer Konzern kaufen, wenn wir Anteile haben, die gar nicht mehr greifbar sind. Das war ein großer Fehler, das zu machen. Ohne wirkliche Liquidität im Markt ist so ein Listing sinnlos. Ob es diese Liquidität heute gibt, muss man erst herausfinden.
Ich habe gelesen, Sie wollten als Kind Wasserskifahrer werden?
Ich habe sogar an vielen Wettkämpfen teilgenommen und war im Nationalteam. Das ist bis heute eigentlich mein einziges Hobby. In den USA hab ich ein halbes Jahr lang als Wasserskilehrer gearbeitet, aber auf Dauer war das nichts für mich.
Wollen Ihre eigenen Kinder Wasserskifahrer oder Entrepreneure werden?
Unsere Kinder sind schon erwachsen und haben sehr viele unterschiedliche Einflüsse mitbekommen. Sie haben natürlich das Unternehmertum sehr stark mitbekommen, haben aber auch gesehen wie anstrengend das ist. Keiner von den dreien geht jetzt in eine Unternehmer-Laufbahn, aber das kann sich ja noch ändern.
Sollte man Kinder schon ganz früh zu Unternehmern erziehen? Was halten Sie von Betriebswirtschaft und Programmieren im Lehrplan?
Ich denke, man muss da differenzieren. Ja, Kinder sollen sich mit Computern auseinandersetzen und nicht nur damit spielen. Meine Tochter ist jetzt zehn und sie hat eine enorme digitale Kompetenz, es würde ihr aber sicher gut tun, auch Coding zu lernen. Unternehmertum als Schulfach halte ich für einen Blödsinn. Das ist eine Lebenseinstellung oder eine gewisse Angstfreiheit, die man mitbekommt. Als Lernfach halte ich es ähnlich irrelevant wie BWL. Ich habe selbst BWL studiert und ich muss sagen, es gibt sehr wenige Dinge, die man da für seinen tatsächlichen Berufsalltag mitnehmen kann.
Sollten wir an einer humanistischen Grundausbildung festhalten?
Ich habe Philosophie studiert, nach Wasserskifahren meine zweite Leidenschaft. Wenn man das richtig macht, fördert es Unternehmertum sicher besser als eine betriebswirtschaftliche Management-Ausbildung an den Schulen. Eine humanistische Ausbildung ist relevant, um Zusammenhänge zu erkennen. Ob da jetzt Latein oder Griechisch notwendigerweise dazugehören, weiß ich nicht.
Offenlegung: Speedinvest ist Investor von Trending Topics.