Interview

Olympiasieger Toni Innauer: „Mut entsteht, wenn man sich in kleinen Schritten beweist“

Toni Innauer am Bergisel © kristen-images.com / Michael Kristen
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Schon als 15-Jähriger stand Anton „Toni“ Innauer auf der Weltmeister-Schanze im schwedischen Falun. Drei Jahre später war er Teil des Olympiateams in Innsbruck, Teil des Skisprungwunderteams der 1970er-Jahre. Innauer war bekannt für elegante Sprünge, holte sich den Weltrekord im Skifliegen und wurde der erste Skispringer, der von allen fünf Punktrichtern die Höchstnote erhielt. Der perfekte Sprung.

Innauer hat sich den Olympiatitel geholt und dann Philosophie und Psychologie studiert. Heute arbeitet er über seine eigene Firma Innauer & Facts mit Sportlern und Unternehmen zusammen, hält Vorträge und kommentiert im Fernsehen Wintersport. Außerdem hat Innauer in das MedTech-Startup Saphenus investiert und engagiert sich so für Jungfirmen.

Wir haben uns mit ihm über Parallelen zwischen Sport und Unternehmertum unterhalten und darüber, was Startups von Philosophen lernen können.

Sie waren mit 22 bereits Weltrekordhalter und Olympiasieger, was hat Erfolg in ihrer weiteren Laufbahn für eine Bedeutung gehabt?

Toni Innauer: In meiner Jugend war der Erfolg existenziell wichtig für mich. Das war wie die Luft zum Atmen, ich war fast süchtig. Nach dem Studium hat sich das relativiert, aber es hat mir noch immer viel Freude bereitet, schwierige Dinge zu entwickeln und die Nerven zu bewahren. Ich war aber in meiner Identität nicht mehr abhängig davon.

Ich stelle mir vor, dass es sehr viel Mut braucht, mit zwei Skiern aus so einer Höhe zu springen. Was lernt man dabei über Angst und Risiko?

Da muss man differenzieren. Das eine ist Tollkühnheit. Wenn man das nicht gelernt hat und macht, ist man dumm. Mut entsteht, wenn man sich in kleinen Schritten beweist und langsam lernt, die Grundvoraussetzungen für so einen Sprung zu lernen. Das ist die Methodik von guten Trainern, Kinder langsam an so etwas heranzuführen. Das ist ein Mut, der nicht eingeredet wird oder durch eine Offenbarung kommt, sondern einfach durch praktisches Üben und Scheitern in kleinen Schritten. Dann ist man plötzlich so mutig, dass man den Bergisel runterspringen kann.

Was können potenzielle Jungunternehmer daraus lernen, die aus Angst vor dem Scheitern vielleicht gar nicht erst anfangen?

Sport geht heute davon aus, dass nicht alles auf Talent beruht. Diese Sichtweise hat sich stark geändert. Es kommt darauf an, beharrlich zu sein, auch einmal warten zu können und nicht gleich am Anfang den ganz großen Erfolg zu erwarten. Man muss ja nicht gleich Steve Jobs werden, man kann auch kleinere Brötchen backen. Man kann ein Geschäftsmodell langsam aufbauen und Selbstvertrauen entwickeln. So funktioniert Sport auch. Wir entwickeln Erfolg langsam und strukturiert. Man muss lernen, auch mit weniger Erfolg und Anerkennung umzugehen und trotzdem nicht aufzugeben. Der Verzicht auf eine momentane Lustbefriedigung kann langfristig Vorteile bringen. Es geht eben darum, Durstphasen auszuhalten ohne in Panik zu verfallen. Wie meinte schon Nelson Mandela: Ich verliere nicht, entweder ich gewinne oder ich lerne…

Was können Unternehmer noch von Sportlern lernen?

Wenn man ein Team aufbaut, sollte man darauf achten, dass die Leute für die Sache brennen und erkennen, dass eben diese gemeinsame Sache wichtiger ist als man selbst. Wenn jeder immer nachrechnet, was für ihn selbst bleibt, ist das wenig inspirierend und der Untergang – das ist im Sport so und gilt auch für Unternehmen. Wenn man selbstvergessen an etwas arbeitet, geht auch etwas voran.

Sie haben selbst Kinder. Kann man Kinder zu unternehmerischem Mut erziehen?

Ich bin ein spätberufener Unternehmer, komme aber aus einer unternehmerischen Familie, die ein Gasthaus betrieben hat. Das Vorbild spielt sicher eine Rolle, denn wir sind alle Unternehmer geworden. Das muss etwas damit zu tun haben, dass wir Eltern hatten, die Probleme selbst gelöst haben und nicht darauf gewartet haben, dass es jemand anderer tut.

Haben Sie versucht, ihren Kindern das auch zu vermitteln?

Das Prinzip der Eigenverantwortung schon, weniger aber spezifisch unternehmerische Zugänge, ich bin ein spätberufener Unternehmer und erst seit wenigen Jahren auch bei Jungunternehmen beteiligt.

Sie sind in das Startup Saphenus investiert. Wie ist es dazu gekommen?

Über eine Bekanntschaft mit dem Geschäftsführer Rainer Schultheis. Den habe ich bei einem Interview kennengelernt. Damals war Hubert Egger mit, der die „fühlende Prothese“ erfunden hat. Er ist auch Nachrichtentechniker und hat aus Spaß die Tontechnik übernommen bei dem Interview. Ich habe das Thema sehr spannend gefunden und Hubert besser kennengelernt. Er wollte aber kein Unternehmer sein, sondern unabhängiger Wissenschaftler bleiben. Er hat uns angeboten, uns voll zu unterstützen, wenn wir die Firma gründen würden.

Ist Saphenus ein einmaliges Engagement oder haben sie Lust auf Startup-Beteiligungen bekommen?

Ich bin auch noch bei der Firma Bodengraf mit unserem biologischen Getränk IXSO, einem wahren Zaubertrank, investiert. Das ist aber kein Startup mehr, wir sind schon gut in ganz Österreich, Spar, Interspar, Eurospar, Merkur, dm, viva Märkten, Sutterlüty etc. vertreten.

Sportler und Unternehmer scheinen viel gemeinsam zu haben. Warum hört man so selten von ehemaligen Aktiven, die nach ihrer Sportkarriere Unternehmen gründen?

Sie kennen wahrscheinlich nur die bekannten Sportler, die auch relativ lange aktiv sind. Die werden danach meist selbst zu ihrem eigenen Unternehmen. Hermann Maier, Andi Goldberger, Franz Klammer – die vermarkten sich ein Leben lange selbst. Es gibt aber sehr viele Sportler, die früher ausgestiegen sind, keine berühmten Sportler wurden, aber als Unternehmer Karriere machten. Meistens weiß man halt nicht, dass das vorher Sportler waren.

Sie waren schon sehr jung ein Idol und haben gut verdient, steigt einem der Erfolg da leichter zu Kopf?

Wir haben damals eigentlich fast nichts verdient. Aber wir haben als 16-Jährige schon einen sehr hohen Bekanntheitsgrad gehabt. Das ist mir schon zu Kopf gestiegen. Ich war nicht vorbereitet auf diese Popularität.

Welche Schwierigkeiten bringt so eine hohe Popularität mit sich?

Wir haben als Sportler ein sehr dichtes Programm gehabt mit Profisport und Schule am Skigymnasium. Daneben gab es nicht viel. Das ist schon ein einseitiges Leben. Als bekannter Mensch muss man immer funktionieren und hat nicht die Zeit, die, in dem Alter übliche Dinge spielerisch zu erfahren, unbelastet auszuprobieren und in das Leben hineinzuwachsen. Unter erhöhter Beobachtung zu stehen überfordert, wenn man als Persönlichkeit noch unfertig und wacklig ist, sehr schnell und oft kann man mit dieser Doppelbelastung nicht umgehen. Psychologisch eine sehr interessante Situation.

Wie sind Sie damit umgegangen?

Am Anfang mit Rückzug. Ich habe versucht, mich abzuschotten und nicht viel in die Öffentlichkeit zu gehen. Dann habe ich begonnen, mir eine Rolle zuzulegen – eine freche, ein künstlich extravertierte. Ich habe bei diesem Experiment aber schnell gemerkt, dass ich das auch nicht bin. Letztlich waren die Familie und mein bester Freund sehr wichtig, das erdet.

Sie haben ebenfalls sehr jung ihre erste Karriere beenden müssen. Wie ist es Ihnen dabei gegangen?

Das kam sehr unerwartet und war ein großes Problem. Ich hatte keinen Plan B und habe mich zwei Wochen vor Beginn der Saison sehr schwer verletzt. Plötzlich war alles anders. Das war ein großer Schock, ich war orientierungslos. Ich hatte einen guten Trainer, der mich ein bisschen aufgefangen hat – man fällt ja komplett aus dem System heraus. Ich hatte keine Aufgabe, kein Ziel und postwendend sowas wie eine Entlastungsdepression. Das war schwierig, denn wir wurden ja darauf getrimmt, hart zu arbeiten, Ziele zu verfolgen, um dann Erfolg zu haben. Ich habe drei bis vier Monate gebraucht, um neue Ziele zu erkennen und mit Hilfe meines Freundes Alois Lipburger entschieden, dass ich studieren will.

Sie haben nach ihrer aktiven Sportlaufbahn Philosophie studiert. Das ist ungewöhnlich.

Ich war noch sehr jung und es hat mich einfach interessiert. Es gab viele Erfahrungen während meiner Sportlaufbahn und ich wollte mit Philosophie und Psychologie genauer verstehen, wie der der Sportler, aber auch der Mensch an sich funktioniert. Wie lernt man, wie performt man, wie geht man mit Rückschlägen um? Im Sport gibt es sehr viel Pseudowissen und Guru-Knowhow, eigentlich Ideologien und hemdsärmelige Weisheiten, und ich war auf der Suche nach tragfähigen Erklärungen.

Was waren die Erkenntnisse aus dem Studium?

Die Erkenntnis war, dass wir es gut gemacht hatten, man es aber noch besser machen könnte. Und das habe ich nach dem Studium versucht als Trainer, Lehrer und Sportdirektor umzusetzen. Ich habe gelernt, wie wichtig die Gemeinschaft ist, wenn es hart wird.

Haben Sie durch die Philosophie auch einen neuen Blick auf das Skispringen selbst gewonnen?

Ja, in sechs Jahren Studium kann man viele eigene Glaubenssätze und Perspektiven in Frage stellen und aufarbeiten. Vieles von dem, was ich danach gemacht habe, hatte zwar die Wurzeln in meiner Skikarriere, hat aber durch das Studium eine weitere Dimension, einen anderen sportkulturellen Drall bekommen.

Was können Unternehmer von Philosophen lernen?

Ich glaube, dass jetzt eine Zeit kommt, wo das Übergeordnete Wissen, das nicht nur das Tagesgeschäft betrifft, immer wichtiger wird. Die Welt wird immer komplexer und die Menschen suchen Orientierung. Es gibt ja auch sehr viele Unternehmen, die mit fragwürdigen Praktiken sehr erfolgreich sind. Sehr große Unternehmen werden oft systemrelevant und können dann quasi nicht mehr scheitern – etwa große Banken, das ist langweilig und gefährlich zugleich.

Philosophen sollten wirtschaftlich und ideologisch unabhängig sein und sollen sich zu Themen Gedanken machen und einbringen, die für viele hinter Sachzwängen versteckt zu sein scheinen. Richard David Precht wäre ein gutes Beispiel dafür oder unser Konrad Paul Liessmann. Philosophen sind erkenntnistheoretisch geschult, sehen einen größeren Zusammenhang und können uns dabei behilflich sein unsere parteipolitischen, religiösen, erfolgssüchtigen oder ängstlichen Brillen abzunehmen. Philosophen müssen in guter Sokratischer Tradition auch unangenehme Fragen stellen und dort hinleuchten, wo man sich selber in seinem Irrtum ertappen kann.

Geht ihnen der Spitzensport ein bisschen ab?

Wir sind mit unserer Agentur Innauer & Facts sehr nahe am Spitzensport, da wir einige Sportler sehr eng betreuen, zum Beispiel die Riesentorläuferin Stefanie Brunner. Im deutschen Fernsehen bin ich seit 6 Jahren als Experte für Skispringen engagiert, bin im Spitzensport also gut am Laufenden und zwar in einer Dosis, die mir gut passt. Mit meiner Kooperation mit dem Sportresort HOHE SALVE im Brixental lebe ich den Sport in seinen ganzen, auch gesundheitlichen Facetten.

Würden sie gerne selbst wieder auf der Schanze stehen?

Nicht unbedingt, ich trainiere nicht mehr und deshalb wäre es jetzt Tollkühnheit wieder zu springen. Es wäre jetzt ein sehr riskantes Abenteuer, das mir der gesunde Menschenverstand und schöne Erinnerungen, an die Zeit als es mir leicht von der Hand ging, verbieten.

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