Open Austria: „Wir raten nicht jedem Startup, ins Silicon Valley zu kommen“
Hat das Silicon Valley seinen Zenith überschritten? Wandern Startups ab, weil sie es sich in der Bay Area einfach nicht mehr leisten können zu operieren? erstickt die „Killzone“ rund um Facebook, Google oder Apple junge, innovative Unternehmen im Keim? Diese Fragen hat ein Artikel von The Economist aufgeworfen (Trending Topics berichtete).
Mit Open Austria rund um die beiden Co-Direktoren Georg Fürlinger und Martin Rauchbauer haben das Außenministerium und die WKÖ 2016 gemeinsam ein eigenes Büro in San Francisco errichtet, das als österreichische Landezone für Startups, Unternehmen oder Wissenschaftler im Silicon Valley dient. Das Team von Open Austria veranstaltet vor Ort etwa Events und unterstützt bei der Vernetzung heimischer Unternehmer mit potenziellen Geschäftspartnern in der Hightech-Hochburg.
Im Interview sprechen Fürlinger und Rauchbauer mit Trending Topics darüber, wie und ob es sich für österreichische Startups lohnt, ins Silicon Valley zu gehen.
Trending Topics: The Economist schreibt über „Peak Valley“. Ist das Silicon Valley wirklich am Zenit angelangt?
Martin Rauchbauer: Niemand kann das mit Sicherheit sagen. Das Silicon Valley wurde in der Vergangenheit schon oft totgesagt und hat sich trotz periodischer Rückschläge immer wieder erholt. Es gibt sicher einige Anzeichen dafür, dass das boomende Wachstum der letzten Jahre in der Bay Area an seine Grenzen stößt. Wie der Economist richtig feststellt, ist das Silicon Valley da auch Opfer seines eigenen Erfolgs. Denn die hohen Lebenshaltungskosten sind ja auch ein Ergebnis des Tech-Booms hier.
Georg Fürlinger: Wir haben mehr als 10 Jahre starkes Wachstum in der Region gesehen und es fliesst mehr Kapital nach Silicon Valley als je zuvor. Das zeigt sich auch an der Höhe der Bewertungen der Startups und der Finanzierungsrunden. Es werden daher auch Stimmen lauter, die von einer anstehenden Korrektur sprechen. Doch diese Diskussion wird nicht nur in Hinblick aufs Silicon Valley geführt, sondern auch auf die USA generell bzw. die Weltwirtschaft allgemein. Das Silicon Valley zieht jedoch nach wie vor die besten Startups und Talente, sowie Investitionskapital aus der ganzen Welt an und wird daher auch in Zukunft eine führende Rolle im globalen Innovationssystem einnehmen.
Horrende Mieten, exorbitante Löhne für Mitarbeiter – ist es überhaupt noch machbar für ein europäisches Startup, im Valley Fuß zu fassen?
Fürlinger: Für viele europäische Startups ist USA nach wie vor ein wichtiger Markt und das Silicon Valley oft das Ziel, wenn es darum geht Anschlussfinanzierung aufzustellen, oder Zugang zu den großen Technologiekonzernen zu bekommen. Für diese Vorhaben ist es unabdinglich, in der ein oder anderen Weise auch vor Ort präsent zu sein. Das heißt jedoch nicht, dass das gesamte Team ins Silicon Valley umsiedeln muss. Wenn ein oder zwei Schlüsselpersonen regelmässig hier vor Ort sind, kann das oft schon ausreichend sein, um entscheidende Beziehungen aufzubauen und zu pflegen.
Rauchbauer: Es macht sicher nicht für alle Startups Sinn. Aber das hat für das Silicon Valley immer schon gegolten. Wir raten nicht jedem Startup hierherzukommen. Trotzdem gibt es auch heute europäische Startups, die sich hier durchsetzen.
Gibt es noch Stadtteile in San Francisco bzw. Regionen im Valley, wo es halbwegs leistbar ist?
Rauchbauer: Es wird sicher immer schwieriger. Es gibt weiterhin einen Nettoüberschuss an ausländischen Talenten, die hierherziehen. Was einerseits beweist, dass das Silicon Valley weiterhin attraktiv ist. Was aber die Situation für diejenigen, die eine Wohnung suchen, nicht einfacher macht. Das wirkliche Problem in der Bay Area ist, dass hier zu wenige leistbare Wohnungen gebaut werden.
Fürlinger: Dazu kommt noch ein starker Influx von ausländischem Kapital, dass oft auch in Immobilien investiert wird und damit die Preise in der Bay Area weiter in die Höhe treibt. Das Resultat ist, dass auch Personen die lange im Valley gelebt haben, weiter in den Osten und den Süden der Bay Area ziehen. Das gleiche gilt auch für die Büros von Startups und etablierten Unternehmen.
Ist es eine kluge Strategie, die Entwicklung in Europa zu belassen und nur mit Sales-Leuten im Valley zu operieren?
Rauchbauer: Das kann eine kluge Strategie sein, und ist auch ein Modell, das viele europäische Startups praktizieren. Das senkt nicht nur die Kosten. Softwareingenieure sind in Europa auch viel loyaler als hier, wo man mehr zahlt und immer in Gefahr ist, seine Leute an die Konkurrenz oder an die großen Tech-Giganten zu verlieren.
Fürlinger: Wir sehen auch die Tendenz bei österreichischen Startups und etablierten Firmen, dass diese weiterhin F&E bzw. Produktentwicklung in Österreich behalten und gezielt Mitarbeiter für Business Development ins Valley schicken. So profitieren sie weiterhin von ihren oft langjährig aufgebauten Netzwerken und Kooperationen mit lokalen Partnern in Österreich und können gleichzeitig Teil vom starken Ökosystem in Silicon Valley sein. Wenn es um das Thema Investment aus dem Silicon Valley geht, ist es aber oft Voraussetzung, das Hauptquartier in die USA zu verlegen.
Im Valley spricht man von einer „Killzone“ rund um Riesen wie Facebook, Google und Apple, die alles aufkaufen oder imitieren, was ihnen gefährlich werden könnte. Gibt es diese „Killzone“ wirklich?
Fürlinger: Viele der derzeit führenden Tech-Konzern sind selbst im Silicon Valley gross geworden und haben mit ihren innovativen Produkten und Services die bestehende Landschaft nachhaltig verändert. Sie wissen nur zu gut, dass “irgendwo da draussen” die nächste Generation von Disruptoren darauf wartet, zum Zug zu kommen. Die Großen von heute wollen es garnicht erst soweit kommen lassen und kaufen die Wettbewerber von morgen gleich in einem frühen Stadium auf – oder investieren in sie. Daher haben auch fast alle grossen Tech-Konzerne aktive Venture Capital Departments, die aktiv nach vielversprechenden Investments Ausschau halten.
Rauchbauer: Es stimmt natürlich, dass die Bilanz der großen Tech-Giganten zwiespältig ist, wenn es um Innovation geht. Viele Startups werden aufgekauft, viele Talente abgeworben. Manchmal werden sogar Ideen zugekauft, damit diese erst gar nicht erst umgesetzt werden. Trotzdem gibt es auch immer wieder das umgekehrte Phänomen. Wir kennen einige Österreicher, die mitten in ihrer erfolgreichen Karriere bei Google und Co beschlossen haben, auszusteigen und wieder in die Startup-Welt einzutauchen. Wer ein unternehmerischer Mensch ist, wird auf die Dauer mit Job-Sicherheit und Gratis-Essen, bzw. Rund-um-die-Uhr-Betreuung keine Befriedigung finden.
Gibt es aus Startups, die es erfolgreich schaffen, dieser Killzone zu entkommen?
Fürlinger: Für viele Gründer, aber vor allem für deren Investoren, ist ein Exit – also der Verkauf des Startups – oft ein dezidiertes Ziel. Denn erst durch den Verkauf der Firma bzw. von Anteilen kann Geld für die involvierten Personen lukriert werden. Ausserdem rühmen sich viele Unternehmer mit der Tatsache, dass sie ein Startup erfolgreich an einer der grossen Tech-Firmen verkauft haben.
Rauchbauer: Aber natürlich gibt es trotzdem Startups, die es schaffen groß zu werden, ohne frühzeitig die Firma bzw. Anteile von ihr zu verkaufen. Letztendlich ist es eine bewusste Entscheidung der im Startup involvierten Personen, ob man das Startup verkauft oder nicht.
Im Valley wird immer noch ein Gros des VC-Geldes in den USA ausgegeben. Gibt es Tendenzen, dass dieses Kapital anderswo hinwandert?
Rauchbauer: Es geht weniger darum, dass das Geld aus dem Silicon Valley woanders hinwandert. Global gesehen sind in den letzten Jahren alternative Ökosysteme in Asien und in abgeschwächter Form auch in Europa enorm gewachsen. Insofern wächst zwar das Silicon Valley weiterhin, die relative Bedeutung ist allerdings global gesunken.
Fürlinger: In den USA sind neben dem Silicon Valley, in dem nach wie vor die meisten VC-Deals abgeschlossen werden, vor allem Boston und New York zu erwähnen. Des Weiteren haben auch Städte wie Los Angeles, Seattle, Austin und Boulder stark wachsende Startup Ökosysteme. Darüber hinaus ist auch der Trend zu erkennen, dass etablierte VC Firmen nun auch aktiver in den zentral gelegenen Staaten der USA werden, die zuvor als “Flyover States” wenig Beachtung gefunden haben.
Los Angeles, Miami, London, Berlin, Hongkong, Singapur, Shenzhen, Peking – welcher Hub ist aus eurer Sicht künftig der größte Konkurrent des Valley?
Fürlinger: Es gibt weltweit einige Städte und Regionen mit einer aktiven Innovations- und Startupszene und es entwickeln sich laufend neue Hotspots, v.a. in China. Ich habe bereits 2014 bei dem Buch “Abseits von Silicon Valley: Beispiele erfolgreicher Gründungsstandorte” (FAZ Verlag) mitgeschrieben, in dem wir uns andere Startup Hotspots – wie Singapur, Helsinki, Santiago de Chile, oder Tel Aviv – genauer angesehen haben. Ich denke trotzdem, dass das Silicon Valley auch in Zukunft weltweit eine tragende Rolle spielen wird. Es ist die Vielzahl von Faktoren – zusätzlich zu den hohen Summen von Venture Capital – die die San Francisco Bay Area so einzigartig machen. Vor allem die Diversität in Bezug auf die Leute – mehr als die Hälfte der Startup-Gründer kommt von ausserhalb der USA – als auch die Breite der Themen die hier behandelt wird man sonst nirgends auf der Welt finden.
Rauchbauer: Konkurrenz entsteht dem SIlicon Valley eher in globaler Perspektive als von einzelnen Standorten. In der Zukunftstechnologie Künstliche Intelligenz ist mit China etwa sicher ein großer Konkurrent entstanden. Das hat nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine geopolitische Komponente für die westlichen, freien Demokratien. Wir stellen fest, dass die spezifische Werthaltung im Silicon Valley, die trotz aller Widersprüche von einer offenen, freien Gesellschaft ausgeht, weltweit unter Druck und in die Kritik gerät. Gerade in Europa, wo man das Silicon Valley gerne auch kritisch betrachtet, sollten die ethischen Implikationen bei einer Verlagerung des Schwerpunktes in Richtung Asien bedacht werden.