Patient21: Berliner HealthTech holt 100 Mio. Euro – Kritik am Geschäftsmodell
Sie bieten nicht nur eine Software an, mit der die gesamte Patient:innen-Journey abgebildet werden kann, sondern betreiben auch gleich die Arztpraxen mit: 2019 gegründet, hat sich Patient21 in Deutschland zu einer der größten Arztpraxenketten entwickelt, mit mehr als 300.000 Besuchen von Patient:innen pro Jahr, mehr als 30 zugekauften Arztpraxen etwa für Gynäkologie und Zahnheilkunde, und sogar einem Krankenhaus in Heidelberg im Portfolio. Dahinter steckt der Serienunternehmer Christian Muhr, der früher Citydeal (Exit an Groupon) mitgründete, als COO bei Auto1 tätig war und auch als Co-Founder von McMakler, HeavenHR und Endy Sleep auftaucht.
Nun macht Patient21 mit Hauptsitz in Berlin eine große Finanzierungsrunde von 100 Millionen Euro. Angeführt wird die Finanzierungsrunde vom israelischen VC Pitango, der sich teilweise auf HealthTech spezialisiert hat. Zu den weiteren Investor:innen zählen Bertelsmann Investments, Artian, Target Global, Piton Capital, PICO Venture Partners sowie Angel-Investor:innen wie Mario Kohle (Enpal) und Maria Raga. Die Finanzierungsrunde besteht teilweise aus Equity, teilweise aus Debt – letzteres bedeutet Fremdkapital in der Form von Krediten oder Darlehen und ist in den letzten Monaten angesichts der Wirtschaftslage nicht weiter ungewöhnlich. Zuletzt etwa holte auch das InsurTech wefox 110 Mio. Euro, die Hälfte als Kredit von Banken.
Kritik am Geschäftsmodell
Für Patient21 ist es nicht die erste Finanzierungsrunde. Anfang 2022 hat das Startup bereits 142 Millionen Dollar eingesammelt, damals war Target Global der Lead-Investor. Schon damals sprach der Lead-Investor davon, dass es wichtig sei, Kliniken und Software zu betreiben und die Ärzt:innen anzustellen. Dass von VCs und PEs finanzierte Unternehmen Arztpraxen aufkaufen und bündeln, schmeckt nicht jedem. In einer Online-Petition wird der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) dazu aufgerufen, den „Ausverkauf“ der Arztpraxen zu stoppen, weil das „teure Medikamente, unnötige Untersuchungen sowie überflüssige Operationen“ zur Folge habe.
„Investmentfirmen kaufen im ganzen Land Arztpraxen auf. Ihnen geht es dabei nicht um unsere Gesundheit – sondern um ihren Profit. Denn der Gesundheitssektor boomt: Mehr als 213 Milliarden Euro wurden 2020 im ambulanten Bereich ausgegeben. Investor:innen hoffen deswegen auf hohe Rendite“, heißt es in der Petition zum Geschäft mit den Arztpraxen.
Amazon steigt mit One Medical-Kauf ins Gesundheits-Business ein
„Persönliche Betreuung verbessern, nicht ersetzen“
Aber zurück zu Patient21. Vertikal integrierte Arztpraxen, die rund um Software gebaut werden, sind keine Seltenheit. In den USA etwa heißt das Vorzeigebeispiel Carbon Health. 2022 ist außerdem der E-Commerce-Riese Amazon durch den Zukauf von One Medical um mehrere Milliarden Dollar ins Gesundheits-Business eingestiegen (Trending Topics berichtete). Während die US-Pendants aber auch TeleHealth-Dienste anbieten, ist Patient21 (vorerst) auf den Betrieb seiner 32 Standorte in Deutschland mit mehr als 100 Ärzt:innen fokussiert, sowie auf die Sparte Zahnarzt.
„Das derzeitige Gesundheitssystem bürdet Ärzten und Klinikpersonal einen hohen Verwaltungsaufwand auf, wodurch sie weniger Zeit für ihre Patienten haben. In bestimmten Fachbereichen verbringt ein Arzt im Durchschnitt weniger als sieben Minuten mit einem Patienten während eines Besuchs. Unsere Technologie ist darauf ausgerichtet, die persönliche Betreuung zu verbessern, nicht zu ersetzen, da wir der Meinung sind, dass der Mensch im Mittelpunkt stehen sollte“, so CEO Muhr in einer Aussendung. Mit dem frischen Geld soll in weitere europäische Märkte expandiert werden.
Vertikale Integration im Health-Bereich ist an sich nichts Neues. 2021 etwa hat das Startup Qunomedical sich mit dem niederländischen Klinikverbund Bergman Clinics zusammen getan, um Medical One zu übernehmen. Dabei handelte es sich um einen Anbieter von Schönheits- und plastischer Chirurgie mit 12 Standorten in ganz Deutschland (Trending Topics berichtete). Das zeigt, das gerade im Gesundheitsbereich die physische Komponente enorm wichtig ist, und es oft nicht reicht, einfach nur Software anzubieten.