Pestizide: Einsatz der chemischem Pflanzenschutzmittel weltweit enorm gestiegen
Mit der wachsenden Weltbevölkerung steigt auch die Nachfrage nach Lebensmitteln. Und somit der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft. Diese sollen Unkräuter (Herbizide) oder störende Insekten (Insektizide) abtöten, um somit die Wachstumsbedingung für die angebauten Pflanzen zu verbessern. Doch dieser Einsatz von Pestiziden führt zu anhaltenden Belastungen von Natur, Umwelt und nicht zuletzt auch dem Menschen selbst.
Aktuell stellten nun die Heinrich-Böll-Stiftung, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und das Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany) gemeinsam den ersten „Pestizidatlas – Daten und Fakten zu Giften in der Landwirtschaft 2022“ vor. Aus Österreich wirkte die Umweltschutzorganisation Global 2000 an der „Österreich-Ausgabe“ mit. In dem Pestizidatlas 2022 wird deutlich: Bisher gehören Pestizide weltweit zum Alltag.
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Menge der Pestizide weltweit um 80% gestiegen
Im Bier und im Honig, auf Obst und Gemüse, im Gras auf Spielplätzen und sogar im Urin oder in der Luft – überall lassen sich, laut den Herausgeber:innen des Atlasses, mittlerweile Spuren von Pestiziden aus der Landwirtschaft nachweisen. Das ist kein Wunder. Die Menge weltweit eingesetzter Pestizide ist zwischen 1990 bis 2017 um 80 Prozent gestiegen und in einigen Regionen wie Südamerika ist das Wachstum mit über 140 Prozent sogar schier explodiert, so die Ergebnisse der Analyse. Dafür ist, laut Barbara Unmüssig, Vorstand in der Heinrich-Böll-Stiftung, unter anderem der westliche Fleischkonsum verantwortlich: Der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen, wie zum Beispiel Soja, für die Tierhaltung, macht diesen erst möglich. Doch in den Ländern des Anbaus hat dieser Konsum zu einer gravierenden Ausweitung des Einsatzes an Herbiziden, insbesondere Glyphosat, geführt.
Pestizideinsatz in EU gestiegen
Auch in der EU liegt der Pestizideinsatz, laut dem Atlas basierend auf den Daten aus 2019, mit rund 480.000 Tonnen auf hohem Niveau. Hier werden fast zwei Drittel der Menge an Pestiziden eingesetzt, die in ganz Südamerika verwendet werden, obgleich die EU lediglich ein Viertel der Fläche bewirtschaftet, so ein Resümee der Autor:innen. Zudem kritisieren sie die EU für ihre Exportgeschäfte: In der EU existieren strenge Kriterien für die Zulassung von Pestiziden. Pestizide, die in Europa aus ökologischen oder gesundheitlichen Gründen jedoch nicht zugelassen sind, werden dennoch dort produziert und in andere Länder exportiert.
Auch deutsche Unternehmen beteiligen sich laut der Veröffentlichung an diesem Geschäft. Deshalb appellierte Unmüssig in einer Pressekonferenz: “Mir ist wichtig, dass die hier verbotenen und nicht mehr angebotenen Pestizide, endlich nicht mehr exportiert werden.” Zudem fände sie den Pestizid-Export skandalös, da hochgefährliche Pestizide in Deutschland nur einen geringen Anteil ausmachten, während sie in den Importländern wie Brasilien oder Indien teilweise an über der Hälfte der Pestizideinsätze beteiligt seinen. Deshalb fordert sie: “Wir brauchen eine Landwirtschaft, die mit der Natur wirtschaftet und nicht gegen sie.”
Pestizide in Österreich und Deutschland
In Österreich ist die gesamten Pestizidabsatzmenge zwischen 2012 und 2020 ungefähr konstant geblieben, so der Report. Laut dem Pestizidatlas wurden im Jahr 2020 in Österreich 13.395 Tonnen Pestizide verwendet.
Im Nachbarland Deutschland zeigten die Autor:innen auf, welche die pestizidintensivste Anbaukulturen Deutschlands sind: der Apfelanbau führt die Liste deutlich an – gefolgt von Wein und Hopfen. In Deutschland wurden in den letzten Jahren konstant insgesamt zwischen 27.000 und 35.000 Tonnen Pestizidwirkstoffe pro Jahr verkauft. Die Absatzmenge von Pestiziden allein sagt aber laut den Autor:innen wenig über die Risiken für Mensch, Tier und Natur aus. Weitere Faktoren wie die Gesundheitsgefährdung oder die Umweltgefährdung der Mittel, die Art und Weise der Ausbringung, der Anwendungstermin und die Anwendungshäufigkeit spielen ebenso eine Rolle.
Vor allem Insektizide wirken häufig in niedrigen Konzentrationen bereits hochgiftig – nicht nur für die Zielorganismen, sondern auch für andere Tiere wie Bienen. Sie könnten daher bereits in kleinen Mengen und mit seltener Anwendung große Schäden verursachen, so der Bericht.
Auswirkungen
Die Auswirkungen dieses ausgeprägten Einsatzes gehen dann auch über das eigentlich ausgesuchte Feld oder den auswählten Acker hinaus. Das drückte auch Doris Günther, Vorstand von PAN Germany, in der Pressekonferenz aus: “Pestizide kennen keine Grenzen.“ So lassen sich laut ihr noch an Luftmessstellen, die bis zu 1000 Kilometer weit entfernt vom Pestizid-Verwendungsort ausgebracht wurden, Pestizide nachweisen. Auch in Naturschutzgebieten fänden sich Pestizidrückstände. Insbesondere Gewässer, die in der Nähe von landwirtschaftlich genutzten Gebieten sind, weisen eine hohe Pestizidbelastung auf.
Kritik an Pestizid-Atlas
Diese Auswirkungen zweifeln jedoch andere Verbände an. Der Industrieverband Agrar (IVA), der zum Verband der Chemischen Industrie gehört, bezweifelt die Angabe von 385 Millionen erkrankten Menschen jährlich. Er kritisiert, Basis dafür sei eine Schätzung der „PAN-Aktivisten“, die nicht wissenschaftlich geprüft sei.
Die Landwirtschaftskammer Österreich (LKÖ) reagierte auf den Bericht mit einer eigenen Pressemitteilung. In dieser bezeichnet Landwirtschaftskammer den Atlas als „skurrile Vermischung von Kraut und Rüben“ und unterstellt den Autor:innen des Pestizidatlas mangelnde Seriosität. „Gerade in der heutigen Zeit sind Fakten statt Fake News gefordert“, so die LKÖ. In einer Stellungnahme griff die Umweltorganisation Global 2000 die Kritik bereits auf und lud die LKÖ zu einem Gespräch ein.
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Möglichkeiten zur Reduzierung der Pestizide
In Europa werden immer öfter Stimmen laut, die eine Reduktion von Pestiziden fordern. In Kampagnen wie “Save the bees and farmers” fordern gerade junge Menschen stärkere Einschränkungen. In einigen Regionen der Welt werden bereits weniger Pestizide eingesetzt und besonders gefährliche Pestizide verboten. In Dänemark gibt es beispielsweise bereits einen nationalen Pestizid-Aktionsplan, der unter anderem mit einer Pestizid-Steuer besonders problematische Pestizide unattraktiver macht.
Und auch in ganz Europa gibt es Fortschritte: Die Europäische Kommission hat im Mai 2020 die Farm-to-Fork-Strategie vorgestellt. Ein Ziel dieser Strategie ist, den Einsatz und das ökologische Risiko durch chemische Pestizide in der EU bis zum Jahr 2030 zu halbieren.
Olaf Bandt, Vorsitzender des BUND sieht jedoch weiterhin Grund zum Handeln: “Wir brauchen weiter politischen Druck”. Laut ihm sei die Lösung ein Dreiklang aus Maßnahmen: Staatliche Regelungen, Pestizid-Abgaben, als Motivation sparsam mit Pestizide umzugehen und Förderung der nachhaltigen Landwirtschaft. Ob dies jedoch national, oder sogar auf EU-Ebene erzielt werden kann, bleibt abzuwarten.