Climate

Schwammerl-Styropor: Auf der Suche nach ökologischem Baumaterial

Aus diesen Pilzen wird eine Styropor-Alternative © Henriette Fischer
Aus diesen Pilzen wird eine Styropor-Alternative © Henriette Fischer
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Es war vor einigen Jahren im Dschungel Ecuadors: Henriette Fischer arbeitet nach ihrem Schulabschluss als Freiwillige für die Jatun Sacha Foundation. Sie wohnt in einfachen Hütten und spricht mit den Bewohnerinnen und Bewohnern über Ressourcenschonung und Abfall. Das biologische Zentrum erforscht nicht nur die Gegend. Es forstet auch auf und unterrichtet in Schulen. Es ist Aufklärungsarbeit und Bewusstseinsschaffung zugleich.

„Wir haben geholfen eine Grube zu graben, wussten aber zunächst nicht genau wozu“, erinnert sie sich heute zurück an ein einschneidendes Erlebnis. Was danach unter die Erde kam, hat sich eingeprägt und ihre Forschungsrichtung bestimmt. Denn dort war ein Behälter für jeglichen Müll, „für Fernsehgeräte, Batterien und Ähnliches“. War er voll, kam Erde darauf, daneben hob man das nächste Loch aus, schildert die 27-jährige Wienerin. Sie gibt den Ecuadorianern keine Schuld. Vielmehr machte ihr diese Handlungsweise Einiges für ihre eigene Heimat klar: „Der eigentliche Wahnsinn ist, dass wir in unserem Alltag in Europa so vieles tun könnten. Wir haben nicht nur das Wissen sondern auch die Wahl beim Konsum!“ findet sie. Es brauche nicht viel Anstrengung, sich bei Kleinigkeiten umzustellen. Stattdessen leben viele egoistisch, dabei hätte es gesamt gesehen viel Output, würde jeder zumindest ein wenig auf einen nachhaltigen Lifestyle achten. Fischer betont auch die Dringlichkeit ökologisch nachhaltiger Zugänge in der Architektur – das sei eine höchst relevante Stellschraube für Nachhaltigkeit.

Der Pilzwerkstoff

Seit ihrer Zeit in Südamerika geht sie nun Baumaterialien und Ressourceneinsatz auf den Grund. Sie hat einen unkonventionellen Zugang an die Materie und schreckt nicht vor neuartigen Rohstoffen zurück. Das zeigt besonders die Weiterentwicklung eines Werkstoffes: Aus Pilzen! Für ihre Abschlussarbeit an der Technischen Universität Wien (TU Wien) entwickelte die Jungforscherin einen Pavillon aus Pilzwerkstoff. Das Projekt trägt den sinnigen Namen „Mush Room“ und wurde vom Onlinemagazin BauNetz mit dem Architektenpreis ausgezeichnet.

Eine Wienerin ist auf der Suche nach ökologisch nachhaltigen Werkstoffen © Henriette Fischer
Eine Wienerin ist auf der Suche nach ökologisch nachhaltigen Werkstoffen © Henriette Fischer

Schauplatzwechsel: Fischer steht im Hörsaal und zeigt an die Decke. Diese  Schallabsorptionsplatten könnte man mit dem Werkstoff ersetzen, ist sie überzeugt. Bei Verpackungsmaterial  und überall wo expandiertes Polystyrol (bekannt unter dem Markennamen „Styropor“) eingesetzt wird, könnte man den Pilzwerkstoff testen. „Die Wärmedämmeigenschaft ist ähnlich wie bei Styropor, allerdings ist die Dichte  und das Feuchteverhalten anders. Der Pilzwerkstoff ist schwerer und außerdem nicht so feuchteresistent“, fügt sie hinzu. Weil die Ergebnisse je nach Pilzart und Substanz stark variieren, ist eine große Bandbreite der Verwendung möglich. „Ein Unternehmen in den USA macht daraus Lederimitat, ein anderes Lampenschirme“, weiß die Wissenschaftlerin.

Der ewige Kreislauf

Warum Schwammerl? Sie suchte nach einem Material, das sich zu 100 Prozent in einen Kreislauf einfügen lässt. Ein Stoff, der mit wenig bis gar keiner Energie erzeugt werden kann und sich genauso unproblematisch wieder in die Natur rückführen lässt, sollte es werden. „Ich konnte nicht glauben, dass kein Material sowohl biologisch abbaubar als auch in der Herstellung ressourcenschonend ist“, sagt sie. Biogene Stoffe hingegen wachsen natürlich, also ohne Zutun. Fischers Werkstoff wuchs sogar im Wohnzimmer. „Ich habe immer 20 bis 40 Versuche gleichzeitig gemacht, in möglichst sterilen Versuchsboxen“, erklärt sie. Die Substrate, Mixturen, Verhältnisse und Pilzarten hat sie in unterschiedlichen Kombinationen ausprobiert, um zum idealen Endergebnis zu kommen. Druck, Zug, Feuchtigkeit und Brennbarkeit konnte sie im Labor für Werkstofftechnologie an der Technischen Universität Wien testen. Danach wurden die Versuchsboxen zu  Aufbewahrungsboxen, übrige Pilze verkocht und mit der Familie verspeist.

Mush Room und much room for improvement

Das Pilz-Material ist vollständig abbaubar. Man kann es einfach auf den Komposthaufen werfen. Es besteht nur aus Holz in Form von Sägespänen, Wasser, Baumwolle und Myzel, also dem unterirdischen Fadengeflecht von Pilzen. Das Myzel bindet quasi als natürlicher Leim das Substrat. Der entstandene Stoff ist in seiner Konsistenz mit Kunststoffen wie expandiertes Polystyrol vergleichbar. Mit dem großen Vorteil: Der Pilz-Werkstoff braucht kaum Energie zur Herstellung. Und: Er kann zu 100 Prozent biologisch abgebaut werden. Das liegt im wahrsten Sinne in der Natur der Sache. Pilze sind nämlich Destruenten im Kreislauf des Lebens, wo es außerdem noch Produzenten und Konsumenten gibt (die sich von Produzenten ernähren). Die Aufgabe der Destruenten im Kreislauf: einen Stoff auf organische Weise wie etwa abgestorbene Bäume und tote Wurzeln zu zersetzen. Die zersetzten Stoffe sind dann – und so schließt sich der Kreis – Nährstoffe für die Pflanzen, also die Produzenten. Fischers Pilzmaterial wird am Kompost aktiv und zersetzt mit Hilfe weiterer Destruenten wie Bakterien oder anderen Pilze. Sie nähren damit den Kompost, der dann dem Boden für neue Pflanzen zurückgegeben wird. Als konstruktives Baumaterial für Außenwände ist die Myzelmischung deswegen nicht so ideal. Durch längere Feuchtigkeitsperioden könnten neue Sporen entstehen.

Das ganze Projekt unterstützte ein Forschungsstipendium der TU Wien. Nun könnte man noch weiterforschen. Mit Chemikern und Biologen und unter Laborbedingungen. Fischer selbst startet demnächst mit ihrer Dissertation. Und es geht wieder um Materialien, diesmal allerdings tatsächlich für architektonische Zwecke.

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