„Pop-Up-Bikelane“: Wien eröffnet temporäre Fahrspur für RadfahrerInnen
Wien hat ab sofort eine erste „Pop-Up-Bikelane“ entlang der Praterstraße. Das erklärte Ziel: mehr Platz für RadfahrerInnen zu schaffen. Die eine Fahrspur breite Bahn für für alle Pedalritter soll aber erst der Anfang sein, weitere Radwege „sollen folgen“. Glücklich sind damit aber nicht alle.
Fahrrad statt Auto in der Coronakrise
Der Bedarf sei offensichtlich, heißt es von Vizebürgermeisterin Birgit Hebein und der Bezirksvorsteherin der Leopoldstadt, Uschi Lichtenegger. Gerade in der Coronakrise würden mehr Menschen auf das Fahrrad umsteigen und die Stadt Wien trage dem jetzt Rechnung. Hebein: „Mehr Platz für alle bedeutet weniger Risiko für den Einzelnen. Denn Abstandhalten ist auch im Freien wichtig, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren. Gerade jetzt, wo der Platz kostbar ist wie noch nie, brauchen wir innovative Lösungen für eine fairere Verteilung des öffentlichen Raumes. Knapp zwei Drittel der Straßenflächen in Wien sind mit Autos belegt. Gleichzeitig zeigen uns die aktuellen Zahlen, dass in der Krise deutlich mehr Menschen mit dem Fahrrad unterwegs sind“. Dafür brauche es Platz und sichere Wege.
66 Prozent mehr Radfahrer
Geschaffen wird der Platz, in dem bis zum Sommer eine temporäre, eigene Fahrradspur errichtet wird. Die ist genau eine (Auto-)Fahrspur breit und wird durch “ Trennelemente vom restlichen fließenden Autoverkehr getrennt“. Und warum zum Start die Praterstraße? Auch das hat nachvollziehbare Gründe: Zum einen sei die Praterstraße „vor allem stadtauswärts eine wichtige Radverbindung, über die viele WienerInnen zur Erholung ins Grüne gelangen“. Zum anderen diene sie als „Anbindung zur Hauptallee im Prater oder zur Donauinsel“. Im Frühjahr 2020 sei die Zahl der registrierten Radfahrenden bei der Zählstelle Praterstern bei der Mündung der Praterstraße um 66 Prozent im Vergleich zu einer durchschnittlichen Aprilwoche 2019 gestiegen.
„Auf Sicherheitsaspekte und Verkehrsverträglichkeit überprüft“
Stadtauswärts werden Radfahrende ab der Ferdinandstraße ab sofort also vom bestehenden Radweg auf den Pop-up-Radweg geleitet und so weiter zum Praterstern geführt. Uschi Lichtenegger zeigt sich erfreut: „Der Radweg auf der Praterstraße ist besonders eng und sicheres Überholen kaum möglich. Wir wollen diese Gelegenheit nutzen, für die überlastete Fahrradroute kurzfristig mehr Platz zu schaffen“. Die Umsetzung des Pop-Up-Radweges wurde von der zuständigen Dienststelle MA46 auf Sicherheitsaspekte und Verkehrsverträglichkeit geprüft: Nachdem nur eine von zwei Spuren stadtauswärts wegfällt, sei mit keinen größeren Belastungen für den motorisierten Verkehr zu rechnen. Auch das Abbiegen sei bei allen Kreuzungen nach wie vor möglich.
Kritik von anderen Parteien
Dennoch sind nicht alle Parteien mit der zwischenzeitlichen Lösung zufrieden – der bevorstehende Wahlkampf lässt grüßen. SPÖ-Gemeinderat Erich Valentin beispielsweise zeigt sich „von der plötzlichen Umsetzung überrascht“ und fordert mehr Dialog mit den Bezirken ein: „Als Brigittenauer Gemeinderat bin ich über die Maßnahme gleichermaßen verwundert wie entsetzt. Wieder einmal aus der Vergangenheit nicht gelernt und wieder nicht mit den Betroffenen geredet. Wer eine Hauptverkehrsader verändert, drängt Verkehr auf Nachbarregionen unserer Stadt. Hier wird Verkehr in die Brigittenau verdrängt ohne mit der betroffenen Bevölkerung vorher auch nur einmal zu reden. So kommt man zu keinen verträglichen Lösungen, man schafft Unfrieden zwischen den Bezirken.“
Polizei habe „massive Bedenken“
Eine ähnliche Richtung schlägt SPÖ-Verkehrssprecher Siegfried Lindenmayr ein: „Mehr Platz für den Fuß- und Radverkehr sowie bessere und breitere Radwege sind grundsätzlich gut. Allerdings muss man sich schon fragen, warum solche Maßnahmen nicht in einen zusammenhängenden Plan integriert werden. Die bröckchenweise Umsetzung ohne Einbindung der AnrainerInnen entspricht nicht den Standards der Bürgerbeteiligung.“ Lindenmayr weist außerdem darauf hin, dass die Polizei massive Bedenken bei der Verkehrssicherheit eines solchen Radwegs geäußert habe.
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Auch ARBÖ unzufrieden
Der ARBÖ (Auto-, Motor- und Radfahrerbund Österreichs) übt ebenfalls Kritik. „Das, was derzeit im Wiener Verkehrsressort Tag für Tag passiert, ist an Realitätsverweigerung, Provokation und Planlosigkeit nicht mehr zu überbieten. Zuerst die leeren Begegnungszonen und jetzt ein Pop-up-Radweg auf der ohnedies bereits verstopften Praterstraße sind nicht mehr als teure ökoromantische Träumereien und haben mit nachhaltigen Verkehrslösungen für eine moderne Stadt nichts zu tun“, erklärt sich Günther Schweizer, ARBÖ Wien-Landesgeschäftsführer. Auch er stört sich daran, dass der Radweg „in einer Nacht- und Nebelaktion“ umgesetzt worden sei. Schweizer fordert ein Gesamtkonzept, „eine Einzelmaßnahme wie diese“ sei eine „klare Themenverfehlung“.
Kritik von FPÖ und DAÖ
Nachdem sich bereits gestern die FPÖ in Form von FPÖ-Verkehrssprecher Toni Mahdalik über die Pop-Up-Bikelane echauffiert hatte, zieht heute DAÖ nach. Die Truppe rund um Strache und Karl Baron kritisiert das Projekt ebenfalls. Baron: „Die Corona-Krise treibt immer seltsamere Blüten. So findet mittlerweile auch in Wien die Unkultur von Pop-up-Radwegen ihren Niederschlag. Der heute eröffnete ‚Radweg auf Zeit‘ in der Praterstraße ist nicht nur ein verkehrspolitischer Unfug, sondern als missbräuchlicher Auftakt für den grünen Wahlkampf zu werten. Er ist auch der nächste Schritt der sich prolongierenden Autofahrer-Hetze von Vizebürgermeisterin Hebein“. Es werde „Politik auf Basis von Überraschungen, teils rechtswidrigen Verordnungen und dem Aushebeln von Gesetzen betrieben“. Baron fürchte, die Grünen wollen Wien zu einer autofreien Stadt machen.
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Lob gab es dann aber auch, die NEOS meldeten sich zu Wort. Christian Moritz, Spitzenkandidat NEOS Leopoldstadt: „Wir begrüßen den Versuch mit einer Pop-Up-Bikelane die Situation für Radfahrer auf der Praterstraße kurzfristig zu entschärfen. Aber auch auf lange Sicht braucht es dauerhafte Maßnahmen, um den Radverkehr für die Wienerinnen und Wiener attraktiver und sicherer zu machen“. Die aktuellen Maßnahmen würden nur greifen, „wenn man stadtauswärts fährt“. Stadteinwärts stehe den Radfahrerinnen und Radfahrern „weiterhin nur ein schmaler Fahrstreifen zur Verfügung“. Hier zeige sich nun, „dass die Neugestaltung der Praterstraße bereits seit langem überfällig ist“.
Trotz der Kritik prüft die MA 46 derzeit die genaue Umsetzung für einen zweiten temporären Radweg in der Wagramerstraße im 22. Bezirk. Die Umsetzung ist für Mitte des Monats geplant. Der Wahlkampf ist eröffnet.