Interview

Prewave: „Es ist wichtig, dass Lieferkettengesetze nicht in Bürokratie ausarten“

Lisa Smith, Mitgründerin von Prewave. © Prewave
Lisa Smith, Mitgründerin von Prewave. © Prewave
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Wie behält man als Unternehmen den Überblick über eine komplexe Lieferkette, in der tausende, vielleicht sogar zehntausende Zulieferer auf der ganzen Welt stecken? Zum Beispiel mit der Software des Wiener Scale-ups Prewave, das Datenströme aus unterschiedlichsten Quellen überwacht und Alarm schlägt, wenn es Probleme bei einem Zulieferer gibt. Entstanden ist Prewave auf Basis der Doktorarbeit von Mitgründerin Lisa Smith an der TU Wien.

Wie Prewave funktioniert, woran die heute 180 Mitarbeiter:innen derzeit werken und wie man mit Fake News umgeht, das erzählte uns Smith im Interview.

Trending Topics: Unsere Einstiegsfrage: Was am 24. April 2024 passiert?

Lisa Smith: An dem Tag ist das europäische Lieferkettengesetz verabschiedet worden, und das war ein ganz, ganz wichtiger Meilenstein für Europa, aber auch für uns als Firma. Es war aber auch der 11. Jahrestag von einem sehr tragischen Ereignis: Der Einsturz der Fabrik Rana Plaza in Bangladesch 2013. Aufgrund der Instabilität des Gebäudes ist es zu einem Fabrikseinsturz gekommen und der hat mehr als 1.100 Leben gekostet. Das war damals zu Beginn meiner Doktorarbeit, wo ich angefangen habe an der Technologie hinter Prewave zu arbeiten. Ich habe mir dieses Ereignis im Detail angeschaut und gesehen: Wenn es bessere Daten gegeben hätte, dann hätte man diesen Vorfall verhindern können. Es gab damals schon Wochen, bevor dieser Fabrikseinsturz passiert ist, Signale vor Ort, also Menschen, die protestiert haben vor der Fabrik und sich Sorgen über die Sicherheit des Gebäudes gemacht haben. Das war auch dort in den lokalen Medien zu lesen, aber es war nicht international genug sichtbar. Hätte man diese Daten früher gehabt, hätte man diesen Fabrikseinsturz verhindern können, und das war immer so eine treibende Idee hinter Prewave.

Was bedeutet die Corporate Sustainability Due Diligence Directive, also das Lieferkettengesetz der EU, für Prewave? Ist das der absolute Business Turbo für euch?

Es bedeutet natürlich in erster Linie, dass Europa jetzt vorangeht, einen neuen Standard zu setzen, wenn es um die Nachhaltigkeit von Lieferketten geht. Und das bedeutet für große Unternehmen, die jetzt hier vor allem im Fokus sind, dass es jetzt Bemühungen geben muss, die Transparenz in der Lieferkette zu erhöhen. Natürlich sind wir ein Software-Anbieter, der genau in diesem Bereich tätig ist, deswegen sehen wir das sehr stark als Rückenwind, aber wir sehen es vor allem positiv, dass wir hier in Europa vorangehen. Die Transparenz der Lieferkette im Sinne der Nachhaltigkeit führt auch zu größerer Stabilität der Lieferketten, und genau an dieser Schnittstelle befinden wir uns als Prewave.

Lieferketten sind sehr komplex. Müssen da nun Container auf Frachtschiffen mit Sensoren ausgestattet werden oder wie funktioniert es am Ende?

Lieferketten sind extrem komplex. Ein Automobilhersteller hat normalerweise 10.000 bis 70.000 Lieferanten nur im Tier 1, also also direkte Vertragspartner und dann gibt es die Zulieferer der Zulieferer und deren Zulieferer und so weiter. Da geht es dann in die hunderttausenden verschiedenen Unternehmen. Unternehmen müssen jetzt Verantwortung dafür übernehmen, was in diesem gesamten Netzwerk passiert. Ohne Software oder AI-Technologie ist das nicht mehr bewältigbar ist, und wir als Prewave helfen unseren Kundinnen und Kunden Transparenz herzustellen. Es geht darum zu wissen, ob die Arbeitsbedingungen und Umweltbedingungen passen. Mit unserer Technologie kann man ein Screening machen, das verwendet verschiedenste Datenquellen einerseits aus Medien und Social Media, aber andererseits auch von den Webseiten der Lieferanten selber und Datenquellen von öffentlichen Behörden. Daraus können wir dann ein Bild zeichnen, also einen Score berechnen, der dann unseren Kunden die Auskunft gibt, ob man sich auf einen Lieferanten besonders fokussieren muss. Man kann dann einerseits Daten direkt von dem Lieferanten einholen oder auch dritte Partner dazu holen, die Audits oder Trainings in den Fabriken anbieten können.

Ihr habt eine der größten Finanzierungsrunden des Jahres aus österreichischer Sicht an Land gezogen. Wie kam es dazu?

Wir haben uns letztes Jahr umsatztechnisch verdreifacht. Jetzt gibt es dieses Zeitfenster für Lösungen wie unsere, und wir sollten das nutzen, um jetzt weiter zu expandieren und das Wachstum weiter voranzutreiben. Deswegen haben wir gesagt, okay, wir gehen raus, machen noch eine Finanzierungsrunde und haben Gott sei Dank sehr schnell einige Angebote vorliegen gehabt. Wir sehen uns eigentlich nicht als ein System, wo es nur darum geht, gesetzliche Vorgaben zu erfüllen, sondern das ist ein Teil davon. Wir sehen uns als wirklich holistisches und ganzheitliches Risikomanagement-System. Es gab ja sehr viele Faktoren, die die Lieferketten in den letzten Jahren beschäftigt haben. Angefangen bei der Corona-Pandemie, bei dem Problem mit dem Schiff im Suezkanal, oder auch die Engpässe im Bereich der Halbleiter. All das hat dazu geführt, dass Lieferketten einfach einen sehr hohen Stellenwert haben in den Unternehmen. Nebenbei gab es dann den Trend zur Nachhaltigkeit und das gesteigerte Bewusstsein von Konsumentinnen und Konsumenten, die einfach keine Produkte mehr kaufen wollen, die mit Kinderarbeit oder Menschenrechtsverletzungen assoziiert werden. Das hat zu den neuen gesetzlichen Vorgaben geführt.

Und das ist aus deiner Doktorarbeit heraus entstanden, die wiederum auf dem tragischen Fabriksunfall in Bangladesch aufbaut?

Genau, das war damals ein Ereignis, das die Entwicklung inspiriert hat. Da ist der Gedanke entstanden, dass wir etwas tun müssen, um besser zu wissen, wo solche tragischen Vorfälle passieren werden. Man muss eigentlich vorher schon die Signale erkennen können, um handeln zu können, bevor etwas Schreckliches passiert. Das hat dazu geführt, dass ich an dem Thema geforscht habe, wie man Datenquellen und Algorithmen dazu einsetzen kann, um Lieferkettenrisiken besser zu verstehen und schneller zu erkennen. Daran habe ich fünf Jahre geforscht an der Technischen Uni Wien und habe sehr viel Unterstützung bekommen, um dann auch das Startup auszugründen.

Also ein TU-Spin-off, wie es im Lehrbuch steht.

Ja, wir haben großartige Unterstützung von der TU bekommen und blicken immer wieder gern zurück.

Mittlerweile habt ihr 180 Mitarbeiter:innen. Wie seid ihr strukturiert?

Wir sind ein Tech-Startup und haben 45 Prozent unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bereich Product & Engineering, also dort, wo die AI-Algorithmen entwickelt werden, aber auch die Software. Dann haben wir etwa 40 Prozent unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die das Ganze an den Markt bringen, also Marketing und Sales. Der Rest sind dann die anderen Funktionen, die auch sehr wichtig sind natürlich.

Was sind für euch die wichtigen Sales-Channels?

Digitales Marketing ist ein sehr wichtiger Kanal. Darüber hinaus gibt es natürlich Fachmessen, Veranstaltungen, auf denen wir präsent sind und dann haben wir auch unsere eigenen Veranstaltungen. Es gibt zum Beispiel den Prewave Day einmal im Jahr, wo sehr viele Kundinnen und Kunden und potenzielle neue Kunden vor Ort sind.

Prewave zapft unterschiedliche Datenquellen an um eben über diese Zulieferer zu lernen. Wie schaut es da mit der Datenqualität aus? Es gibt ja  auch Länder, wo keine Informationsfreiheit gegeben ist.

Es gibt immer verschiedenste Quellen. Das ist immer sehr wichtig, dass man sich nicht nur auf eine Quelle verlässt. Es sind vor allem Nachrichtendaten in lokalen Landessprachen. Wir monitoren 140 verschiedene Ereignistypen und viele davon sind zum Beispiel selbst in China auch sehr gut abgedeckt, wenn es zum Beispiel um Naturkatastrophen geht. Es ist nicht in jedem Ereignistyp so, dass es eine schwierige Informationslage gibt. In den meisten Ländern funktioniert das sehr gut, in den lokalen Nachrichten und Social-Media-Daten Muster zu erkennen, sobald ein bestimmtes Ereignis eintritt, wie zum Beispiel ein Streik oder eine Schließung einer Fabrik oder ein Feuer, eine Explosion. Diese Dinge kann man in den Daten sehen, in den Mustern, wenn so ein Ereignis eintritt. Genau darauf hat sich unsere Technologie fokussiert, in über 140 Ereignistypen, in über 400 Landessprachen diese Spitzen zu erkennen und dann möglichst schnell einen Alert daraus zu machen, der unsere User informiert, dass es zu einem Problem kommt. Wir können das nicht nur in Echtzeit, sondern eben auch historisch über die letzten zehn Jahre. Man kann zusätzlich noch Informationen vom Lieferanten selber oder aber auch von anderen Drittdatenquellen, wie zum Beispiel Finanzdaten, einschließen, um ein möglichst vollständiges Bild automatisiert zu erzeugen.

Naturschäden oder Streiks in Fabriken werden oft ganz gerne unter den Teppich gekehrt. Entgeht euch manchmal etwas?

Wir sehen in der Praxis nicht, dass Dinge unter den Teppich gekehrt werden. Die Herausforderung ist eher, mit den Informationen umzugehen, möglichst schnell zu agieren, die richtigen Entscheidungen zu treffen, klare Prozesse zu haben, Workflows zu haben.

Wie handhabt ihr False Positives, also Falschmeldungen? Können ihr diese ausfiltern?

Das ist sicher ein wichtiger Punkt. Bei den Ereignistypen, die wir herausfiltern mit unserer Software, gibt es noch nicht das große Problem von Fake News. Würden wir uns mit den Wahlen in Ländern beschäftigen, dann hätten wir sicher eine größere Herausforderung. Es geht hier aber um wirklich ganz Spezifisches. Bei einem Feuer bei einem Zulieferer in einem Industriegebiet, da gibt es jetzt nicht so viel Falschmeldungen im Normalfall. Aber nichtsdestotrotz, es ist ein wichtiges Thema und wir haben einen mehrstufigen Qualitätssicherungsprozess. Es geht ja auch darum, dass man nie aufgrund einer einzelnen Meldung agiert, sondern es muss sich dieses Muster zeigen. Das ist schon schwieriger zu fälschen. Man muss hier eine Balance finden zwischen, wie schnell reportet man über ein Ereignis und wie glaubwürdig ist das Muster. Hier gibt es für uns auch die Möglichkeit, dass wir einen Alert zum Beispiel als Gerücht ausweisen.

Ihr habt 63 Millionen Euro eingesammelt, seid ihr jetzt in Europa eigentlich der Marktführer?

Gerade im deutschsprachigen Raum haben wir es geschafft, in den letzten Jahren als Tech-Leader zu etablieren. Es gibt andere Lösungen, die sich auf Fragebögen spezialisieren, wo es einen sehr hohen manuellen Aufwand gibt. Unser Ansatz ist der automatisierte.

Wie siehst du als Unternehmerin das EU-Lieferketten-Gesetz? Da gab es auch viel Kritik wegen einer gefürchteten Bürokratiewelle, die gerade für kleinere Unternehmen, die in einem Trickle-Down-Effekt mithalten müssen, nicht bewältigbar ist. Wie siehst du das?

Ich verstehe prinzipiell die Angst vor der Bürokratie, aber die kommt daher, dass sich in den letzten Jahren Fragebögen mehr oder weniger als das Tool, das man anwenden muss, etabliert haben, die aber langfristig nicht der richtige Ansatz sind. Also es ist nicht der Sinn der Sache, dass wir uns alle gegenseitig Fragebögen schicken, sondern es geht darum, wirklich herauszufinden, wo die Probleme sind. Es braucht einfach Automatisierung und Digitalisierung, um das Problem so zu lösen, damit keine Bürokratiewelle entsteht. Es natürlich ganz wichtig, dass es nicht in Bürokratie ausartet, sondern wirklich zielgerichtet den eigentlichen Zweck dieser Regeln erfüllt.

Unternehmen bezahlen eine monatliche Gebühr, um die Software benutzen zu können. Von welchem Preispunkt reden wir da?

Das beginnt bei wenigen tausenden Euren für Mittelständler im Monat und geht dann für Großunternehmen in den sechsstelligen Bereich und darüber hinaus. Es hängt von der Größe der Lieferkette und von den verschiedenen Funktionen, die man auf Prewave nutzen möchte, ab. Wir positionieren uns als eine All-in-One-Plattform.

Ihr habt die „Supply Chain Super Intelligence“ angekündigt? Um was handelt es sich da?

Die Supply Chain Super Intelligence ist die Technologie, die im Kern von Prewave steckt. Wir sehen Super Intelligence so, dass es eine sehr starke AI sein muss und eine sehr breite. Und genau das ist es, was wir als Prewave verkörpern. Im Prinzip geht es darum, alle verfügbaren Daten verwerten zu können, um dann wirklich so die Nadel im Heuhaufen zu suchen.

Prewave: Lieferkette als Scale-up-Turbo – feat. Co-Founderin Lisa Smith

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