Rainer Will vom Handelsverband: „Jetzt muss Geld fließen“
Die Coronakrise stellt viele Branchen vor große Herausforderungen. Das gilt auch für den Handel, vor allem die Bereiche Mode, Sport oder Luxusgüter. Es gibt aber auch Profiteure der aktuellen Ausnahmesituation, beispielsweise Amazon. Wir haben uns mit Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverband Österreich, über die Auswirkungen der Krise unterhalten.
Konsumenten gewöhnen sich “ jetzt während des Shutdowns immer mehr an den Online-Einkauf“, weiß Rainer Will. Er übernahm bereits 2014 die Leitung des Handelsverbands. Für den Handel erwartet er dieses Jahr deutliche Umsatzeinbußen und fordert von der Politik „Jetzt muss Geld fließen!“. Warum das notwendig ist, wie die Digitalisierung Chancen bieten kann und welche Maßnahmen der Handelsverband ergreift, verriet uns Rainer Will im Interview.
Der Handel in der Coronakrise
Trending Topics: Wer sind aktuell die Gewinner und Verlierer im Handel?
Rainer Will: Eines ist klar: Die Corona-Krise ist für viele heimische Händler existenzgefährdend. In der gesamten westlichen Welt ist Amazon vermutlich der einzige Händler, der von der Corona-Pandemie massiv profitieren wird. Amazon hat ja bereits angekündigt, wegen Corona allein in den USA 100.000 Menschen zusätzlich einzustellen, um den explodierenden Mitarbeiter-Bedarf zu decken. Die Amazon-Aktie hat Ende März innerhalb weniger Tage um 100 Milliarden Dollar an Wert zugelegt. Durch die aktuelle Krise gewinnt der weltgrößte Onlinehändler weitere Marktanteile, und diese werden zumindest teilweise bleiben.
Warum ist das so?
Weil wir Konsumenten uns jetzt während des Shutdowns immer mehr an den Online-Einkauf gewöhnen. Insbesondere auch die älteren Konsumenten über 65, die vor der Krise eigentlich nur im stationären Handel eingekauft haben. Mittlerweile verfügt jeder zweite österreichische Haushalt über ein Amazon Prime Abo. Prime-Kunden geben im Durchschnitt um 140 Prozent mehr für ihre Einkäufe bei Amazon aus als Nicht-Mitglieder – und sie sind für den Mitbewerb im eCommerce kaum noch erreichbar. Wir sprechen hier von einem Lock-in-Effekt.
Amazon ist aber nicht der einzige, und vor allem nicht der erste Online-Händler, der von einer Epidemie profitiert. Die eine oder andere kann sich vielleicht noch an die SARS-Epidemie 2003 in Asien erinnern. Wegen SARS musste der Chinese Richard Liu seine zwölf Ladengeschäfte schließen. Der Rest ist Geschichte: Liu gründete den Webshop JD.com. Heute ist JD.com der zweitgrößte chinesische Online-Marktplatz mit einem Jahresumsatz von mehr als 55 Milliarden Dollar.
Wie sieht es bei den heimischen Händlern und im Hinblick auf die unterschiedlichen Handelsbereiche aus?
Österreichweit waren im Einzelhandel von 16. März bis 14. April insgesamt 23.000 Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von fast 10 Millionen Quadratmetern geschlossen. Das entspricht mehr als 60 Prozent der österreichischen Einzelhandelsgeschäfte. Ausnahmen gibt es bekanntlich für den Lebensmittelhandel sowie für Drogerien, Apotheken, Tierfutter-Händler, Tankstellen und Trafiken. Seit 14. April dürfen auch kleine Geschäfte mit weniger als 400 m2 Verkaufsfläche sowie Baumärkte und Gartencenter wieder offen haben. Die verbleibenden größeren Händler und die heimischen Shopping Center werden dann voraussichtlich am 2. Mai folgen.
Für alle stationären Händler gelten jetzt strenge behördliche Sicherheitsvorschriften und Hygienevorgaben, weil die Sicherheit der Konsumenten sowie der eigenen Mitarbeiter oberste Priorität hat. Das geht von der Schutzmaskenpflicht über die Begrenzung der Kunden auf maximal eine Person pro 20 Quadratmeter bis hin zur Bereitstellung von Desinfektionsmitteln im Eingangsbereich. All das ist natürlich mit Mehrkosten verbunden und wird sich definitiv negativ auf den Umsatz auswirken.
Bei jenen Non-Food Einzelhändlern, die zumindest bis 14. April vom Corona-Shutdown betroffen waren, lag der tägliche Umsatzverlust laut Berechnungen von Standort und Markt bei mindestens 113 Millionen Euro. Besonders stark getroffen hat es Branchen wie den Spielwarenhandel und den Sporthandel, denen im Prinzip das komplette Ostergeschäft verloren gegangen ist. Ähnliches gilt für den Modehandel sowie für den Luxusgüterbereich, weil die kaufkräftigen Touristen aus dem Ausland fehlen. Der gesamte stationäre Einzelhandel hat pro Shutdown-Tag rund die Hälfte seines täglichen Bruttoumsatzes verloren, pro Woche sind das fast eine Milliarde Euro. Das wahre Schadensausmaß liegt allerdings noch deutlich höher, weil hier die Umsatzverluste aus der Gastronomie und konsumnahen Dienstleistungsbetrieben wie Friseure, Fitnesscenter oder Kosmetiksalons noch nicht eingerechnet sind.
Viele Händler haben mehr als vier Wochen lang Null Euro Umsatz erwirtschaftet. Gleichzeitig galoppieren aber viele Fixkosten unverändert weiter, etwa Personal, Miete, Kreditraten, Zinsen oder Stromkosten. Gleichzeitig reichen laut KMU Forschung Austria bei 6 von 10 KMU-Händlern die verfügbaren liquiden Mittel nur für höchstens einen Monat, sofern keine Zuschüsse in Anspruch genommen werden können. Das zeigt, wie wichtig eine möglichst rasche Hilfe ist. Jetzt geht’s darum, die Liquidität der Betriebe zu sichern und eine Insolvenzwelle zu verhindern. Soweit die aktuelle Situation. Die Lage ist also wirklich dramatisch für viele österreichische Handelsbetriebe. Und hier sind natürlich auch wir als Handelsverband gefordert.
Sind die Lieferketten insbesondere im Lebensmittelhandel noch sicher? Wo rechnen Sie mit Engpässen?
Die Lieferketten im Lebensmittelbereich sind sicher, hier muss sich niemand Sorgen machen. Der Handelsverband koordiniert hierbei den bundesweiten „Krisenstab Lebensmittel“, wir stehen im ständigen Austausch mit dem Landwirtschaftsministerium und den österreichischen Lebensmittelhändlern. In den letzten Tagen hat sich die Versorgungslage nochmal deutlich beruhigt. Bis heute sind keine kritischen Meldungen seitens der Nahrungsmittel-Lieferanten bekannt. Alle Produzenten können liefern, nur manche noch nicht im vollen Umfang. Auch die Herausforderungen in der Logistik haben wir gut im Griff. Größere Engpässe gab es eigentlich nur zur Beginn des Shutdowns, als es etwa bei Klopapier, Nudeln, Reis, Sugo, Konserven und Hefe zu Hamsterkäufen gekommen ist. Mittlerweile hat sich die Lage entspannt.
Handelsverband zu eCommerce und Onlinehandel
Wie ist die Situation im eCommerce? Bei Lebensmittel-Lieferungen scheinen selbst große Anbieter mit der Logistik überfordert.
Viele der vom Corona-Shutdown betroffenen Unternehmen – mit immerhin 490.000 Beschäftigen – haben natürlich versucht, den Internet-Handel zu forcieren. Einen Teil der Umsatzverluste kann man damit schon auffangen, allerdings reden wir hier von maximal rund 50 Millionen Euro. Generell verzeichnet der heimische Onlinehandel aktuell zwei- bis dreistellige Umsatzsteigerungen bei Haushalts- und Sportgeräten, sowie bei Spielekonsolen, Drucker, Wandfarben und Spielzeug. Sortimentsbereiche wie Mode und Schuhe schwächeln hingegen. Erfreulich ist aber, dass wir ein deutlich gestiegenes Interesse seitens der Konsumentinnen und Konsumenten am regionalen Einkauf erleben.
So hat sich etwa der Umsatz auf der heimischen eCommerce-Plattform shöpping.at seit dem Start der Corona-bedingten Schutzmaßnahmen der Bundesregierung mehr als vervierfacht. Auch auf unser Webshop-Verzeichnis eCommerce Austria haben wir in den letzten Tagen jeweils deutlich über 20.000 Zugriffe verzeichnet. Hier tut sich was.
Lieferengpässe gibt es im eCommerce eigentlich kaum, lediglich bei manchen spezifischen Produkten wie Desinfektionsmitteln oder Schutzmasken kann es zu Lieferverzögerungen kommen. Die längeren Wartezeiten im Online-Lebensmittelhandel sind auf die deutlich gestiegene Nachfrage zurückzuführen. Für den eCommerce wird jetzt entscheidend sein, neben der raschen Auslieferung auf der letzten Meile auch die gesamte Lieferkette während der Corona-Krise sicherstellen zu können. Positiv sehen wir hier, dass die Produktionskapazitäten in China zuletzt wieder hochgefahren werden konnten.
Grundsätzlich ist es so, dass der Anteil des Onlinehandels am gesamten Einzelhandelsumsatz in Österreich je nach Studie zwischen 8,8 % und 11 % liegt. Das entspricht rund 7,5 Milliarden Euro brutto. Aufgrund der Corona-Krise wird sich diese Zahl 2020 deutlich nach oben steigern. Das Problem: Mehr als 50 % dieser Ausgaben fließen nicht an die rund 12.000 österreichischen Webshops, sondern unmittelbar ins Ausland ab – an globale eCommerce-Marktplätze wie Amazon, Alibaba oder Wish. Daher appellieren wir an alle österreichischen Konsumentinnen und Konsumenten: Gerade jetzt ist die Zeit, um möglichst regional einzukaufen. Kaufen Sie bei heimischen Onlineshops ein und nicht bei den großen Steuervermeidern aus Drittstaaten. Gleichzeitig appellieren wir an die Politik, auch die eCommerce-Plattformen aus Drittstaaten endlich in die Pflicht zu nehmen. Am besten durch Einführung einer Plattformhaftung auf Produktfälschungen, die Entrichtung der Mehrwertsteuer sowie der Abfallentsorgungsgebühren. Wer in Österreich Gewinne erwirtschaftet, sollte auch hierzulande in die Gesundheits- und Sozialtöpfe einzahlen.
Was macht der Handelsverband in Zeiten der Corona-Krise, gibt es spezielle Maßnahmen und Projekte?
Wir haben bereits Anfang März auf unserer Website ein Corona InfoCenter eingerichtet, wo wir die wichtigsten Fragen zur Krise aus Händlersicht beantworten. Die Seite wird fortlaufend aktualisiert und informiert, unter anderm über die verschiedensten Unterstützungsleistungen, die Corona-Kurzarbeit oder die Schutzmasken-Pflicht im Handel. Ich kann es nur empfehlen, wenn Sie Detailfragen haben, werfen Sie einen Blick auf diese Seite.
Apropos Maskenpflicht: Seit 14. April sind bekanntlich alle Konsumenten verpflichtet, beim Shoppen eine Schutzmaske oder zumindest einen Schal zu tragen. Das Problem ist nur, dass MNS-Masken (Mund-Nasen-Schutz) zurzeit sehr schwer zu bekommen sind. Viele Händler berichten uns von Lieferverzögerungen und Problemen an den Grenzen. Aktuell liegt der Preis für MNS-Masken bei 40 Cent bis 1 Euro pro Stück. Pro Tag werden rund vier Millionen Stück benötigt. Um den Handel zu unterstützen, haben wir unter www.schutzmasken.io ein eigenes Lieferantenverzeichnis angelegt.
Die größte Herausforderung ist hier, die seriösen Anbieter von betrügerischen Angeboten zu unterscheiden. Viele Lieferanten beziehen die Masken aus China und liefern nur bei 100%-iger Vorauszahlung. Dabei kommt es leider immer wieder vor, dass die Bestellung nicht eintrifft, verspätet ankommt oder nicht in der bestellten Qualität geliefert wird. Deshalb versuchen wir, die Spreu vom Weizen zu trennen. Für KMU-Händler haben wir übrigens auch entsprechende Anbieter recherchiert, die Sammelbestellungen für Kleinmengen ermöglichen.
+++„Wirtschaftliches Comeback“: Geschäfte dürfen ab 14. April schrittweise öffnen+++
Die österreichischen KMU-Händler und Webshops unterstützen wir schon seit Jahren mit unserer Initiative KMU RETAIL. Zahlreiche kostenlose und nützliche Services wie eine anwaltliche Erstberatung, automatisierte Rechtstexte und exklusive Mitgliederinfos haben KMU Retail zur größten Händler-Community Österreichs gemacht.
Darüber hinaus haben wir mit PARTNER HELFEN HÄNDLERN eine eigene Initiativen gestartet, um die österreichischen Händler während der Corona-Krise noch stärker zu begleiten. Die Plattform bietet kostenlose oder stark preisreduzierte Soforthilfe-Maßnahmen von Rechtsberatung bis zum Gratis-Webshop. Händler können die relevanten Leistungen sofort abrufen. Interessierte Dienstleister wiederum können über die Plattform kostenfrei ihre Services anbieten.
Sichtbarkeit ist im Onlinehandel kriegsentscheidend, daher unterstützen wir viele diesbezügliche Initiativen – von regionalen Marktplätzen wie shöpping.at und kaufdaheim.at über Plattformen wie Nice Shops und Webshop-Suchmaschinen wie anna-kauft.at bis hin zu eCommerce-Verzeichnisse wie nunukaller.com, die Falter Onlineshop-Fibel oder die letzte Woche präsentierte Online-Plattform von Wirtschaftsministerin Schramböck und Landwirtschaftsministerin Köstinger. Wir betreiben aber auch selbst das österreichische Webshop-Verzeichnis ECOMMERCE AUSTRIA. Mittlerweile sind bereits mehr als 4.000 heimische Onlineshops kostenlos auf der Plattform gelistet und es werden immer mehr.
Trends, Innovation, Zukunft & Startups
Wie wird der Handel der Zukunft aus heutiger Sicht aussehen? Welche Veränderungen kommen auf uns zu und welche Rolle spielt Corona dabei?
Prognosen sind bekanntlich schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen. Anfang des Jahres hat noch jeder von Künstlicher Intelligenz als dem Megatrend für 2020 geredet, mittlerweile haben sich die Prioritäten Corona-bedingt deutlich verschoben. Drei Entwicklungen dürften sich durch die aktuelle Pandemie aber deutlich beschleunigen: Erstens hat die Bargeldnation Österreich Gefallen am bargeldlosen Bezahlen gefunden. Kontaktloses Bezahlen via NFC boomt, diese Woche wurde auf Initiative des Handelsverbandes das Limit für NFC Payment ohne PIN-Eingabe auf 50 Euro angehoben. Zweitens profitieren automatisierte, kassenlose Supermärkte – Stichwort Amazon Go – von Corona, da sie menschliche Interaktionen und damit das Infektionsrisiko im Geschäft reduzieren können. Drittens hat der Shutdown die Akzeptanz von Onlineshopping nochmal deutlich erhöht, und das in allen Altersgruppen sowie auch bei Branchen wie dem Lebensmittelhandel, wo der Onlineanteil am Umsatz bisher bei unter 1,5 % gelegen ist.
Wir Verbraucher wollen unsere Produkte schnell, bequem und stets zum Bestpreis erhalten, die Konkurrenz ist schließlich nur einen Klick entfernt. Jene Händler, die diese Anforderungen am besten abbilden können und gleichzeitig eine erstklassige Service-Palette – Qualitätssicherung, Produktbewertung, Retourenabwicklung, Beschwerdemanagement usw. – anbieten, werden langfristig erfolgreich sein. Die Benchmark ist ganz klar Amazon, das den modernen eCommerce quasi erfunden hat und sagenhaft kundenorientiert ist. Allerdings besitzt der Konzern von Jeff Bezos mittlerweile die Kundendaten von 93 Prozent aller österreichischen Online-Shopper. So bündelt Amazon die Profite, die früher vielen kleineren Unternehmen vorbehalten waren, denn im eCommerce gibt es nur wenige Gewinner. Aktuell erleben wir jedoch erfreulicherweise ein Umdenken auf Konsumentenseite: Faktoren wie Regionalität, Qualität und Nachhaltigkeit rücken wieder stärker in den Vordergrund – das ist eine Chance für die 12.000 heimischen Webshops, die es zu nutzen gilt.
Bietet die Krise auch eine Chance für Innovation und Digitalisierung und für Startups?
Jede Krise, wie existenzgefährdend sie auch sein mag, bietet Chancen, die wir nutzen sollten. Sei es ein Umdenken im Konsumverhalten Richtung Nachhaltigkeit und Regionalität, sei es mehr Wertschätzung für hochwertige Produkte made in Austria, oder eine Re-Kalibrierung globaler Supply Chains, die sich in Kombination mit unserer zu starken Abhängigkeit vom Produktionsstandort China als zu wenig resilient erwiesen haben. Österreichische Unternehmen, die ihren Geschäften aktuell nur eingeschränkt nachgehen dürfen, können die Zeit zumindest nutzen, um neue Innovationsstrategien zu entwickeln, neue Tools auszuprobieren und ihre digitale Transformation voranzutreiben. Hier sind natürlich auch Startups gefordert.
Klar ist allerdings auch: Für eine Digitalisierungsstrategie braucht es eine entsprechende Kriegskassa. Da sich die Kapitalsituation sowohl bei unseren KMU als auch bei den großen, beschäftigungsintensiven Unternehmen zunehmend verschlechtert, ist eine Liquiditätsoffensive alternativlos. Jeden Tag erreichen mich unzählige Nachrichten betroffener Händler, denen die Liquidität ausgeht. Das ist die Luft zum Atmen. 490.000 Arbeitsplätze sind akut gefährdet. Daher sagen wir ganz klar in Richtung Politik: Jetzt muss Geld fließen! Wir begrüßen die jüngst beschlossenen Maßnahmen, allerdings müssen die entsprechenden Hilfen auch rasch ausbezahlt werden.
Rainer Will ist seit 2014 Geschäftsführer des Österreichischen Handelsverbands.