Reform des Insolvenzrechts soll „Gesetz der zweiten Chance“ schaffen
Derzeit ist es ja paradox. Die Wirtschaft ächzt unter der Corona-Krise und fürchtet sich vor neuen Maßnahmen gegen die zweite Welle – aber die Zahl der Insolvenzen ist im Keller. Gemeinsam mit dem KSV1870 zeigt Trending Topics jede Woche in einer Grafik, wie viele neue Firmen in den Konkurs gehen mussten. Der Jahresschnitt von 97 Insolvenzen pro Woche wurde schon lange nicht mehr erreicht – die wöchentlichen Zahlen pendeln seit Monaten auf niedrigem Niveau zwischen etwa 30 und 60.
Das hat natürlich Gründe – denn die Antragspflicht bei einer Überschuldung des Unternehmens ist bis zum 31. Jänner 2021 ausgesetzt worden. Außerdem gibt es großzügige Stundungen bei Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, um Firmen weiter Luft zum Atmen a.k.a. Geld zum Bezahlen der Rechnungen zu lassen. Doch irgendwann, wenn die Rettungspakete und Fristen auslaufen, wird viele Firmen die Realität einholen. Ab dem zweiten, spätestens dritten Quartal 2021 befürchten Experten eine Insolvenzwelle.
Entschuldung beschleunigen
In dieser Situation will Justizministerin Alma Zadić (Grüne) eingreifen – und kündigte diese Woche gegenüber derstandard.at eine Gesamtreform des Insolvenzrechts an. „Das wird eine Gesamtreform des Insolvenzrechts, weil viele Unternehmen im Zuge der Corona-Krise vor Insolvenzen stehen“, so Zadić. Die Entschuldung solle so beschleunigt werden, dass diese binnen drei und nicht wie bisher binnen fünf Jahren erfolgt. Und: Für gescheiterte Unternehmen soll eine „zweite Chance“ kommen.
Und das soll grob so aussehen: „Droht eine Insolvenz, unterstützt das Gericht ein Unternehmen bei der Restrukturierung. Wir glauben, dass wir so Unternehmern helfen, schneller wieder Fuß zu fassen, Gläubiger zu ihrem Geld kommen und gleichzeitig Arbeitsplätze erhalten werden“, so Zadić zu den Plänen. Die Reform des Insolvenzrechts soll bis Ende Jänner – also dann, wenn die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ausläuft – stehen.
USA und Deutschland als mögliche Vorbilder
Bei Walter Ruck, Präsident der Wirtschaftskammer Wien, etwa wird Zadić mit ihren Pläne auf offene Ohren stoßen. „Wir müssen Unternehmen in Schwierigkeiten entstigmatisieren und Möglichkeiten schaffen, rechtzeitig zu reagieren. Dazu brauchen wir ein modernes Insolvenzrecht“, ließ er die Öffentlichkeit vor einigen Wochen wissen. Sein Vorschlag: Österreich solle sich am „Chapter 11“-Verfahren der USA ein Vorbild nehmen. Dieses lässt Unternehmen, die noch nicht insolvent sind, die Chance, unter einen Schutzschirm zu schlüpfen, um selbstbestimmt mit einer Krise fertigzuwerden.
Ein Gericht überwacht in dem Fall bei einem Sanierungsverfahren die Vorgänge und stellt den Betrieb unter einen besonderen, zeitlich begrenzten Schutz. Es gibt kein Fälligstellen von Krediten und keine Exekutionsmaßnahmen. „Ersetzen wir fehlende Gläubigerzustimmung durch eine gerichtliche Verfügung, nimmt das viele Emotionen heraus. Natürlich braucht es auch steuerliche und unternehmensrechtliche Begleitmaßnahmen”, sagt Ruck. So müsse es Steuererleichterungen während dem Sanierungsverfahren geben – mehr dazu hier.
In Deutschland wurde vor wenigen Tagen erst eine Reform des Insolvenzrechts beschlossen – vor allem deswegen, um Firmen, die während Corona in Schieflage gerieten, zu helfen. Ab 1. Jänner 2021 können deutsche Unternehmen, die eine Mehrheit ihrer Gläubiger mit einem Plan überzeugen, die Sanierung auch ohne Insolvenzverfahren umsetzen.