Die unbeabsichtigten Folgen der neuen Home Office-Ära
Shopify, Twitter, Coinbase, Facebook werden es machen, viele andere Unternehmen werden erwartungsgemäß nachziehen: Home Office und Remote Working wird in vielen Firmen zum Standard werden. War Home Office bisher eher etwas für Freelancer im Prekariat oder wurde von Chefs als Zuckerl im Arbeitsvertrag erlaubt, so wird die Heimarbeit künftig für Millionen Menschen zum Standard werden (Trending Topics berichtete).
Derzeit hört man allerortens, dass Home Office ja überraschend gut klappt und es sich viele Mitarbeiter dauerhaft vorstellen können, von zu Hause zu arbeiten. Klar: Man spart sich den Arbeitsweg, kann sich die Zeit freier einteilen, und die nervigen Arbeitskollegen kann man im Zoom-Call auch mal muten. Doch dieser Wechsel, mit dem viele durch die Lockdowns überrumpelt wurden und dann meistens ganz gut klar kamen, wird mittelfristig und langfristig massive Folgen haben.
Du brauchst eine größere Wohnung
2020 haben viele Menschen ihren Küchentisch zum Büro umfunktioniert. Das ist keine Dauerlösung. Echtes Home Office mag im Junggesellen-Appartment funktionieren, doch mit Lebensgefährten, Kindern und Familie braucht es einen dezidierten Arbeitsplatz in der Wohnung – am besten einen, den man mit Türe vom Rest der Wohnung abgrenzen kann.
Heimarbeit verlangt auch nach entsprechender IT-Ausstattung. Ein paar Wochen Lockdown kann man mit einem Notebook noch durchdrücken, doch echtes Home Office braucht entsprechend große Displays, lokale Rechen-Power, einen ergonomischen Bürosessel und so weiter – und das alles wiederum braucht Platz. Für viele Menschen ist das zu Hause schlichtweg nicht möglich, und viele andere Menschen werden sich künftig auf die Suche nach mehr Quadratmetern machen.
Umwälzungen am Immobilienmarkt
Das führt uns gleich zu Punkt zwei. Millionen Menschen auf der ganzen Welt werden größere Wohnungen brauchen – und umgekehrt benötigen Firmenzentralen künftig viel weniger Raum. Das kann massive Auswirkungen auf Business-Distrikte haben. Diese sind jetzt schon verwaist, und wenn viele Mitarbeiter einfach dauerhaft im Home Office bleiben, wird das langfristig ordentliche Effekte auf Mietpreise und Auslastung in den heutigen Office-Gegenden haben.
Bisher war Nähe zum Arbeitsplatz ein wichtiges Kriterium bei der Job-Suche. Durch vermehrtes Remote Working wird dieses Kriterium für viele wegfallen. Das wiederum wird derzeit noch günstigeren Wohngegenden an der Peripherie oder am Land verstärkten Zuspruch verschaffen, während heute teure Lagen in den Stadtzentren eine Abwertung erfahren können.
Profitieren könnten während der Krise gebeutelte Coworking-Space-Anbieter wie WeWork, Talent Garden oder IWG. Wenn Firmen große Teile ihrer Belegschaft ins Home Office entlassen und nur mehr zu wichtigen Meetings und Events physisch anwesend brauchen, dann braucht es auch flexible Arbeitsumgebungen. Diese können Coworking Spaces bereits heute bieten.
Weniger Gehalt, weniger andere Vorteile
Facebook-Chef Mark Zuckerberg hat es bereits angekündigt: Jene Mitarbeiter, die künftig dauerhaft ins Home Office gehen und umziehen, werden das melden müssen (Trending Topics berichtete). Dementsprechend werden die Gehälter dann auch an die jeweiligen Wohnorte angepasst – etwa, wenn Entwickler aus dem Silicon Valley wegziehen und sich eine günstigere Stadt oder einen günstigeren Wohnsitz aussuchen.
Auch in Österreich gilt es, diese Entwicklung im Auge zu behalten. Die Lebenserhaltungskosten unterscheiden sich auch hierzulande, so gibt es ein Gefälle zwischen Stadt und Land. Auch Arbeitgeber wissen das und könnten sich – gerade in der hereinbrechenden Wirtschaftskrise – versucht fühlen, die Gehälter entsprechend anzupassen, wenn auf einen neuen Home-Office-Vertrag gewechselt wird.
Und: Dinge wie eine Pendlerpauschale, die man in Österreich als Abgeltung von Kosten für tägliche Fahrten von Pendlern zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bekommt, werden natürlich wegfallen. Auch die Annehmlichkeiten, die Firmenzentralen gerne bieten (vom Obstkorb über gestütztes Kantinenessen bis hin zu Sportangeboten), werden für Remote Worker wegfallen. Da werden sich Arbeitgeber andere Perks überlegen müssen.
Mehr Konkurrenz am Arbeitsmarkt
Wenn Home Office zum Standard wird, dann wird der Faktor Nähe zur Firma wegfallen. Bedeutet auch: Arbeitnehmer werden mit einem viel größerem Pool an Arbeitskräften um Stellen konkurrieren müssen. Es werden weniger Menschen umziehen müssen, um einen Job zu bekommen, und sie werden sich dadurch auch für Stellen bewerben können, die am anderen Ende des Landes oder gar im Ausland sind.
Im Kleinen sieht man diesen Trend bereits bei Startups, die schon vor der Krise teilweise komplett remote aufgebaut wurden. Das Linzer Startup Tributech ist ein Beispiel: Die Jungfirma hat Mitarbeitern Anfang des Jahres erlaubt, pro Jahr (auch durchgehend) von einem Ort ihrer Wahl auf der ganzen Welt arbeiten zu können (Trending Topics berichtete). Umgekehrt ist auch denkbar, dass man Menschen auf der ganzen Welt in die Firma holen kann, unabhängig vom Wohnort.
Weniger Verkehr
Weniger Stau, weniger Pendlerverkehr, weniger Autos in der Stadt, weniger Menschen in den Öffis: Das, was man jetzt im Zuge der Lockdowns gesehen hat, wird durch vermehrtes Home Office in abgeschwächter Form bleiben. Schritttempo auf der Tangente, unendliche Parkplatzsuche in den inneren Bezirken, die Rush Hour am Times Square – das alles könnte der Vergangenheit angehören.
Auch teure und oft unnötige Geschäftsreisen werden in Zukunft wegfallen – und umgekehrt einen höheren Stellenwert bekommen. Niemand wird mehr bei den zu erwartenden Preissteigerungen im Flugverkehr einfach mal so zur nächsten Konferenz jetten – aber wenn man dann mal in ein Flugzeug steigt, dann wird es wirklich wichtig sein.
Neue Versicherungen werden gebraucht
Im Büro ist die Sache einfach: Stolpert ein Arbeitnehmer auf dem Weg zur Kaffeemaschine und verletzt sich, ist die Angelegenheit klar, dann greift die gesetzliche Unfallversicherung. Doch wie ist das im Home Office genau? Wo hört die Arbeit auf, wo fängt sie an, und wer bezahlt am Ende den Schaden? Kompliziert wird es auch bei der Datensicherheit. Heimarbeitsplätze können nicht so abgesichert werden wie Bürogebäude, die oft einen eigenen Wachdienst haben oder wo Räume mit Rechnern, die besonders heikle Daten speichern, extra abgesichert werden.
Was aber, wenn der Stromausfall zu Hause für Datenverlust sorgt oder ein Wasserrohrbruch dafür sorgt, dass während einer wichtigen Phase der Arbeitsrechner des Mitarbeiters plötzlich nicht mehr funktioniert? Für diese und viele andere Fälle werden Unternehmen neue Versicherungen brauchen, um im Schadensfall abgesichert zu sein.
Noch mehr Computer-Arbeit
Für Arbeitnehmer wird der Trend zum Home Office dafür sorgen, dass man noch mehr Zeit als ohnehin schon vor dem Bildschirm verbringt. Die Kaffeepause mit den Kollegen, die Sitzungen zwischendurch, die Kantine usw. – all das fällt weg, und viele Menschen werden sich im Job-Stress zusätzlich noch verleitet fühlen, vor dem Computer zu essen.
Dieses Mehr an Computer-Arbeit verlangt von Menschen einen bewussteren Umgang mit der Work-Life-Balance. Wann ist Arbeit, wann ist Privatleben? Da könnten intelligente Time-Tracking-Systeme helfen, die etwa nach 18 Uhr verhindern, dass man doch noch auf die Office-Umgebung zugreift.
Und: wer nicht mehr jeden Tag zur Arbeit fährt und dadurch doch in Bewegung kommt, der muss auch darauf achten, während dem Home Office genug Bewegung zu bekommen.
Mehr Tracking der Mitarbeiter
Vertrauen ist die Grundlage für Remote Work. Das mag sein, jedoch werden Menschen im Home Office durch die physische Distanz noch mehr als jetzt durch messbare Leistung bewertet werden. Schon heute gibt es Time-Tracking-Tools, die am Computer messen, wie viel Zeit bestimmte Programme oder Fenster offen sind – und auch solche Tools, die während der Arbeitszeit den Zugriff auf bestimmte Anwendungen verhindern. Bei Zoom etwa können Chefs einsehen, wie, wann und wie lange Nutzer die Video-Conferencing-Lösung verwenden (Trending Topics berichtete).