Europas Renaissance 2.0
Der erste Roboter der Welt. Das Kopernikanische Weltbild. Die Erfindung des Bankwesens und der Doppelten Buchführung. Die Taschenuhr. Der Fallschirm. Fluggeräte. Die Brille. Die Kutsche. Das Fernrohr. Das Teleskop. Das Mikroskop. Und natürlich das Massenmedium Buchdruck.
Die Rennaissance hat Europa aus unterschiedlichen Gründen aus dem dunklen Mittelalter geholt und Erfindungen gebracht, die den kleinen Kontinent zu den größten Playern am Weltmarkt aufstreben ließ. Nun steckt Europa heute zwar nicht in einem neuen Mittelalter fest, sieht aber neben den Hightech-Imperien USA, China und auch zunehmend Indien ziemlich alt aus. In den USA wurden seit Oktober 2020 mehr als 150 neuen Unicorns (= nicht börsennotierte Tech-Firmen mit einer Bewertung von mehr als 1 Milliarde Dollar) geschaffen, in Indien 11, in China neun, und in Europa – 25.
Genau, 25, und es werden täglich mehr. Neue Online-Payment-Dienste, Amazon-Alternativen, eVTOLs, Neobroker, grüne Batterien, Lieferdienste, Bildungs-Tech: Europa muss sich vor dem Silicon Valley nicht mehr verstecken und schafft eigenständige Dienste und Unternehmen, die weltweit ihresgleichen suchen. Wir denken: Europa steht, angetrieben durch Innovation, Wettbewerbsdruck und der Post-Corona-Phase vor einer Renaissance 2.0!
So viel Geld für Tech wie noch nie
Nicht nur Österreich erlebt mit seinen beiden neuen Unicorns GoStudent und Bitpanda einen Tech-Boom sondergleichen. Ganz Europa ist „on fire“. Bereits jetzt, knapp vor Halbjahr 2021, wurde die Summe an Investments in europäisches Tech (v.a. Scale-ups) von 2020 übertroffen. Northvolt und Klarna, beide aus Schweden, ist es sogar gelungen, jeweils mehr als eine Milliarden Euro frische Kapital aufzunehmen. Insgesamt sieht die Finanzierungslage in Europa derzeit so aus:
Es gab nie eine bessere Zeit, Startup-Gründer in Europa zu sein
Stoff für Diskussion: Es gibt zwar so viel Geld wie noch nie für europäische Scale-ups wie nie zuvor, doch das meiste kommt aus den USA und aus Asien. Stimmt. Jedoch muss man auch anerkennen, dass der Aufbau von Infrastruktur auf den beiden amerikanischen Kontinenten oder Afrika ebenfalls durch massive Investments aus Europa gemacht wurde. Auch China zog und zieht enorm viel Kapital aus dem Westen. In der Neuzeit hat kein Kontinent ohne Investitionen aus anderen Kontinenten Großes erreicht.
Die Politik will ganz hoch hinaus
Am Spielfeldrand stehen und zuschauen, dass spielt es nicht mehr in Europa. Deswegen formulieren auch die hohen Politiker, die das Thema als PR-technisch wie strategisch wichtig erkannt haben, die ganz großen Ziele. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will dafür sorgen, dass Europa bis 2030 zehn 100 Milliarden Euro schwere Tech-Unternehmen hervorbringt. Heute gibt es mit ASML aus den Niederlanden (Halbleiter) und SAP aus Deutschland (Software) gerade einmal zwei echte Tech-Konzerne jenseits der 100-Milliarden-Grenze.
Auch auf Europa-Ebene ist das Thema ganz vorne angekommen. Bestes Anzeichen dafür ist Horizon Europe – über das Finanzierungsprogramm wird die EU insgesamt 95,5 Mrd. Euro über die kommenden sechs Jahre im Rahmen des Förderprogramms an Forschungseinrichtungen und Innovations-treibende Unternehmen und Startups. Das ist weltweit beispiellos und zeigt, dass am Alten Kontinent noch sehr viel Geld für Neues da ist.
Stoff für Diskussion: Der PR-Sprech von Politikern gilt maximal bis zur nächsten Wahl, und dann verpuffen die großen Ansagen in Ausreden und Kehrtwendungen. Stimmt. Doch große Ziele müssen einmal formuliert werden, damit die Arbeit an ihnen begonnen werden kann. Das weiß jeder gute Gründer.
Macron will bis 2030 zehn 100-Milliarden-Euro-Tech-Companies in Europa schaffen
3 Szenarien
Investorengelder, große politische Ziele, Startups, Förderprogramme – aber was heißt das konkret? Wo kann Europa punkten und sich von den Tech-Riesen USA und China abheben? Eigenständige europäische Lösungen zeichnen sich etwa in diesen drei kritischen Bereichen ab:
1. Batterien, aber in grün
Erst 2016 gegründet, hat sich das schwedische Scale-up zu einem Unternehmen mit einem Wert jenseits der zehn Milliarden Euro aufgeschwungen. Ehemalige Tesla-Manager haben die Vision, die weltweit nachhaltigsten, umweltfreundlichsten und grünsten Lithium-Ionen-Batterien für Elektroautos zu bauen. Dafür gab es zu letzt von Investoren mehr als zwei Milliarden Euro an frischem Risikokapital.
Auch wenn der Markt für Auto-Akkus noch in den Händen asiatischer Hersteller wie CATL und BYD aus China, LG Chem aus Südkorea oder Panasonic aus Japan (und bald auch Tesla aus den USA) liegt – Northvolt zeigt vor, dass ein europäisches Unternehmen in einem verloren gegangenen Rennen durchaus gegen internationale Größen punkten kann. Volkswagen als Großinvestor und Kunde wird entscheidend für den Erfolg sein.
Stoff für Diskussion: Wenn es Northvolt mit europäischen Partnern schafft, Akkus über die nachhaltige Optimierung der Lieferkette, fairen Rohstoffen und erneuerbare Energie wirklich grün und in Masse herzustellen, ist das ein Wettbwerbsvorteil gegenüber Herstellern aus anderen Regionen. Europa kann hier tatsächlich weltweit Standards setzen.
Northvolt holt 2,26 Milliarden Euro im Batteriewettstreit mit Tesla
2. Chips für Artificial Intelligence
Das alles dominierende Herz der Chip-Industrie liegt derzeit auf einer Insel: Taiwan. Dort droht der weltweit führende Halbleiterkonzern TSMC mit Großkunden wie Apple immer mehr zwischen die Fronten USA und China zu geraten. Ein klares Zeichen für Europa, dass es auch bei Prozessoren viel unabhängiger werden muss.
Mit der European Processor Initiative (EPI) gibt es das immer konkretere Bestreben, europäische Unabhängigkeit bei High Performance Computing Processor Technologies (HPU) zu schaffen. Neben etablierten Größen wie Infineon spielen hier auch Scale-ups eine wichtige Rolle. Graphcore, spezialisiert auf Chips für Artificial Intelligence, wird in der Heimat Großbritannien bereits das „Intel der AI“ genannt und hat 2019 Unicorn-Status erreicht. Nun engagiert sich die Firma im Rahmen der EPI und scheut sich nicht vor einem Schlagabtausch mit dem US-Chip-Riesen Nvidia.
Stoff für Diskussion: Damit Europa relevant bei High-End-Chips bleibt, muss eigentlich der Prozessor-Spezialist ARM, der die Blaupause für nahezu alle Mobile-Prozessoren liefert, unabhängig von USA und Asien bleiben. Derzeit sieht es danach aus, als würde die ARM-Übernahme durch Nvidia blockiert werden können, doch was dann? Schon bietet sich mit Qualcomm, ein weiterer US-Chip-Riese, als Investor an. Wird es aber dicke Investments aus Europa selbst brauchen, um ARM unabhängig bleiben zu lassen? Und wenn ja, woher soll das Geld kommen?
3. Cloud mit Datenschutz: Gaia X
Die Welt der Startups und Scale-ups läuft gefühlt zu 90 Prozent in den Clouds von Google, Amazon und Microsoft. Der Marktvorsprung ist gewaltig, und nicht einmal SAP hat es geschafft, der US-Dominanz etwas entgegen zu setzen. Doch mit Gaia X gibt es eine europäische Initiative, der sich zum einen immer mehr europäische Unternehmen anschließen, und zum anderen von den US-Anbietern verlangt, sich strengen europäischen Datenschutzregeln zu unterwerfen.
Stoff für Diskussion: Noch ist nicht so klar, wie Gaia X funktionieren wird. Doch das Konstrukt hat viel Potenzial. Man denke nur an die vielen Krankenhäuser in Europa, die irgendwann für Hightech-Medizin digitalisiert werden. Diese werden Gaia X brauchen, wenn sie die hochsensiblen Gesundheitsdaten der europäischen Bürger unabhängig von US-Clouds verarbeiten wollen.
Gaia X: Hoffentlich funktioniert Europas Airbus-Trick noch einmal
Die größten Finanzierungsrunden in Europa 2021
Company | Funding | Investors | Vertical | Founded in |
Northvolt | 2,26 Mrd. Euro | VW, BMW, Goldman Sachs, Baillie Gifford, OMERS, AMF, ATP, Baillie Gifford, Baron Capital Group, Bridford Investments Limited, Compagnia di San Paolo, IMAS Foundation, EIT InnoEnergy, u.a. | Batteries | 2016 (SWE) |
Klarna | 1,35 Mrd. Euro | Softbank, Silver Lake, Sequoia Capital, Bestseller Group, Atomico, Northzone, Ant Group, Permira, Dragoneer, GIC | Fintech | 2005 (SWE) |
Celonis | 820 Mio. Euro | Durable Capital Partners, T. Rowe Price Associates, Franklin Templeton, Splunk Ventures, Arena Holdings | SaaS | 2011 (DE) |
Trade Republic | 740 Mio. Euro | Sequoia Capital, TCV, Thrive Capital, Accel, Founders Fund, Creandum, Project A | Trading | 2015 (DE) |
Mollie | 665 Mio. Euro | Blackstone Growth (BXG), EQT Growth, General Atlantic, HMI Capital, Alkeon Capital, TCV | Payment | 2004 (NL) |
Flixmobility | 533 Mio. Euro | General Atlantic, Permira, TCV, HV Capital, Blackrock, Baillie Gifford, Canyon Partners | Mobility | 2012 (DE) |
Wefox | 533 Mio. Euro | Target Global, TLV, Ace & Co, LGT, Lightrock, Partners Group, OMERS Ventures, G Squared, Horizons Ventures, Mubadala Capital, Salesforce Ventures, Speedinvest, u.a. | Insurance | 2015 (DE) |
Wolt | 435 Mio. Euro | Iconiq Growth, Tiger Global, DST, KKR, Prosus, EQT Growth, 83North, Highland Europe, Goldman Sachs Growth Equity, EQT Ventures, Vintage Investment Partners | Delivery | 2014 (FIN) |
Checkout.com | 370 Mio. Euro | Tiger Global, Greenoaks Capital, Insight Partners, DST Global, Coatue Management, Blossom Capital, Endeavor Catalyst, Singapore Sovereign Wealth Fund | Fintech | 2012 (UK) |
Hopin | 330 Mio. Euro | Andreessen Horowitz, General Catalyst, IVP | Online Events | 2019 (UK) |
Back Market | 276 Mio. Euro | General Atlantic Generation Investment Management, Goldman Sachs Growth, Aglaé Ventures, Eurazeo, daphni | E-Commerce | 2014 (FRA) |
GoStudent | 275 Mio. Euro | DST Global, SoftBank Vision Fund 2, Tencent Dragoneer, Coatue, Left Lane Capital und DN Capital, Speedinvest | EdTech | 2016 (AUT) |
KRY | 262 Mio. Euro | CPP Investments, Fidelity, Ontario Teachers‘ Pension Plan | HealthTech | 2015 (SWE) |
Blockchain.com | 246 Mio. Euro | DST Global, Lightspeed Venture Partners, VY Capital, Google Ventures | Crypto | 2011 (UK) |
Gorillas | 238 Mio. Euro | Tencent, Coatue, DST Global | Delivery | 2020 (DE) |
Volocopter | 200 Mio. Euro | BlackRock, Avala Capital, Atlantia S.p.A., Continental AG, NTT, Tokyo Century, Geely, Daimler, DB Schenker, Intel Capital, btov Partners, Team Europe, Klocke Holding | eVTOL | 2011 (DE) |
Sennder | 197 Mio. Euro | Baillie Gifford, Accel, Lakestar, HV Capital, Project A, Next47, Scania Growth Capital, Earlybird, Perpetual | Logistics | 2015 (DE) |
Bitpanda | 180 Mio. Euro | Valar Ventures, DST Global, Saurabh Sharma, David Chreng-Messembourg, Yoann Turpin | Neobroker | 2014 (AUT) |
Scalable Capital | 150 Mio. Euro | Tencent, BlackRock, HV Capital, Tengelmann Ventures | Neobroker | 2014 (DE) |
EnergyNest | 110 Mio. Euro | Infracapital | ClimateTech | 2011 (NOR) |