Reset: Grazer Startup ermöglicht mit adaptiven E-Bikes Gehbeeinträchtigten das Abenteuer im Wald

Wenn sich auf einmal alles verändert: Simon Walch ist ein leidenschaftlicher Mountainbiker und Motorradfahrer. Nach einem Motorradunfall, der mit einer Querschnittlähmung einherging, beschloss er, das Mountainbiken zu adaptieren. Gemeinsam mit seinem Business-Partner gründete er das Startup Reset: Entwickelt wurden zwei E-Bikes, die richtiges Radfahren im Wald auch für Menschen mit Beeinträchtigung ermöglichen.
Im Trending Topics Interview erzählt Simon von seinen Plänen mit Reset und verrät, welches Feature bei den Bikes besonders gelungen ist.
Trending Topics: Wie lautet die Vision von Reset?
Simon Walch: Meine grundlegende Intention war, ein Bike zu entwickeln, mit dem man trotz Handicap ein vollwertiges Fahrerlebnis genießen kann. Vor vier Jahren hatte ich einen schweren Unfall. Für mich war es damals ein Schock zu sehen, dass es kaum gute technische Möglichkeiten im Bike-Sektor gibt. Er spiegelte überhaupt nicht wider, was ich eigentlich gewohnt war. Das hat in mir den Ehrgeiz geweckt, etwas zu verändern.
Heute lautet die Vision, adaptive Mobilitätslösungen für Menschen mit Handicap zur Verfügung zu stellen. Unsere entwickelten Räder sind Hightech-Produkte und sollen jeder und jedem wieder die Möglichkeit geben, in den Wald zu fahren und Sport auf Augenhöhe mit anderen zu betreiben. Angefangen hat alles vor drei Jahren mit einem plumpen Prototypen. Jetzt stehen wir mit zwei Bikes da und haben gemeinsam mit dem Science Park Graz den Slogan „Back to the Woods“ entwickelt.
Die zwei entwickelten Bikes heißen Ranger und Scout. Was macht die Modelle aus und wie unterscheiden sie sich?
Das Enduro-Trike, auch Ranger genannt, ist ein E-Mountainbike, das ohne Pedale auskommt. Es eignet sich für all jene, die ihre Beine nicht benutzen können und trotzdem Offroad fahren wollen. Stattdessen liegt der Fokus darauf, das Gleichgewicht und die Balance zu trainieren und zu fördern. Es geht darum, sich auf das Bike zu setzen, wirklich reinzukippen und ein richtiges Fahrerlebnis zu spüren. Der vollgefederte Ranger verfügt über einen Motor, der im Chassis verbaut ist, sowie über einen Lenker und drei Räder – zwei vorne und eines hinten.
Das zweite Modell ist unser Scout – eine Neuheit auf dem europäischen Markt. Ähnliches kennt man eventuell aus dem klassischen Handbike-Markt aus den USA, aber diesen Bikes fehlt oft die technische Finesse. Deshalb haben Thomas und ich ein modulares E-Handbike inklusive Einzelradaufhängung und einem Haufen Gimmicks entwickelt. Scout hat ein Rad vorne, zwei Hinten und wird mit den Händen betrieben. Die Füße sind dabei ausgestreckt, und die Sitzposition ähnelt der einer Liege. Unser Ziel war es, ein technologisch kompetitives, mittelpreisiges Produkt zu schaffen, auf das jede:r aufsteigen und es für sich anpassen kann.
Für welche Zielgruppe wurde der Ranger entwickelt, wen soll Scout primär ansprechen?
Wir haben zwei unterschiedliche Konzepte verfolgt: Das Ranger-Bike ist in erster Linie für den Wald-Downhill-Einsatz gedacht. Es betont den sportlichen Charakter und soll zum Beispiel ermöglichen, eine schnelle Runde mit Kumpels im Wald zu fahren.
Scout hat seinen Fokus auf der Alltagstauglichkeit und wurde als gesamtheitliches Mobilitätskonzept gedacht. Man muss sich vorstellen, wenn man im Rollstuhl sitzt oder eine schwere Gehbeeinträchtigung hat, kann man nicht mal schnell zum Supermarkt radeln. Man ist stets auf ein Hilfsmittel angewiesen. Mit Scout gibt es die Möglichkeit, den Rollstuhl oder Krücken zu transportieren. Dadurch kann man beispielsweise auch einkaufen gehen oder ins Schwimmbad fahren. Aber nicht nur, das Bike ist auch für den typischen Afterwork-Ride ausgelegt und macht durch seine Spitzentechnologie sämtliche Unterböden fahrbar.
Mit diesen beiden Modellen haben wir wirklich etwas geschaffen, das die derzeit auf dem Markt verfügbaren Bikes in jeder Hinsicht übertrifft.
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Welches Teil ist euch bei den Bikes besonders gelungen – worauf bist du stolz?
Die ergonomischen Handgriffe sind wirklich cool. Sie sind auf die Handflächen abgestimmt, passen aber für eine breite Zielgruppe. Rollstuhlfahrer:innen und Gehbeinträchtigte kennen das Problem: Schlechte Griffe können bei längeren Fahrten zu eingeschlafenen Fingern führen, besonders beim Kurbeln. Wir haben die Druckverteilung optimiert, um das zu verhindern. Das Ergebnis: Eine ganz wilde Form, die im Metall-3D-Druckverfahren gefertigt wurde – ein Highlight des Bikes.
Das ist eine Notwendigkeit, die viele nicht nachvollziehen können, weil sie selten damit konfrontiert werden. Doch für Rollstuhlfahrer:innen sind das entscheidende Details: Alles, was Druckstellen verursacht, scheuert oder die Haut belastet, kann sofort zu Schäden führen. Solche Probleme sind nicht nur unangenehm, sondern können lebenseinschneidende Auswirkungen haben.
Inwiefern werden die Bikes individuell angepasst?
Die Bikes können stark personalisiert werden. Sollte beispielsweise die Handkraft nicht ausreichen oder ein Bein kürzer sein, haben wir die Möglichkeit, bei speziellen Elementen Anpassungen vorzunehmen. Das würde dann vor Ort bei der Kundin oder beim Kunden passieren – österreichweit fahren wir alles. Wir bringen den Prototypen mit, sodass Interessierte das Produkt live sehen und eine Probefahrt machen können. Ich glaube, das ist total wichtig. Grundsätzlich sind sowohl Ranger als auch Scout so konzipiert, dass jede:r das Bike selbst einstellen kann.
Wir legen großen Wert auf direkten Kundenkontakt, um sicherzustellen, dass jedes Bike perfekt auf die Bedürfnisse des Nutzers abgestimmt ist – vor allem, wenn man 9.500 bis 15.000 Euro ausgibt. Bei einem sehr hochpreisigen Nischenprodukt ist der Kundenkontakt essenziell. Bestellt werden kann über die Website bzw. können Kund:innen direkt Kontakt mit uns aufnehmen.
Produziert ihr die Räder in Österreich?
Ja, produziert wird direkt in Graz. Als Partner haben wir hier den Bike Store Nord gewonnen, der uns super unterstützt. Wir bemühen uns, so wenig wie möglich zuzukaufen und versuchen, eine Wertschöpfungskette in Österreich aufzubauen.
Bei der Elektromobilität sind wir aufgrund von Faktoren wie Kosten und Verfügbarkeit aber auch auf asiatische Zulieferer angewiesen.
Wann plant Reset mit dem Vertrieb zu beginnen?
Wir sind auf der Zielgeraden: Die letzte Prüfung läuft, die Risikoanalyse ist abgeschlossen, die Betriebsanleitung fertig und alles andere geklärt. Nun werben wir die ersten Pilotkunden an, um ab der zweiten Jahreshälfte 2025 zu testen, ob das Produkt bereits marktreif ist. Erst danach werden wir in die nächste Phase, den Product Launch, starten. Mit Ende des Jahres hätten wir gerne zehn Bikes vertrieben.
Wir setzen unter anderem auf Bandagisten als Vertriebsnetzwerk, um direkten Kontakt zu den Kunden herzustellen und Glaubwürdigkeit aufzubauen. Die ersten Gespräche waren sehr vielversprechend. Bandagisten sind Nahversorger für Menschen mit Beeinträchtigungen, und wenn die Bikes dort präsentiert werden, erreichen wir direkt die richtigen Kund:innen.
Hast du eine Zahl im Kopf, wie viele Österreicher:innen Bedarf haben könnten?
Der Mikrozensus Austria zeigt: Rund 50.000 Personen (0,6 Prozent der Bevölkerung) sind auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen.3,5 Prozent der österreichischen Bevölkerung haben eine schwere Gehbeeinträchtigung und sind auf Hilfsgeräte angewiesen. Es gibt also einen echten Bedarf.
Wie finanziert sich Reset?
Von der aws gab es die Pre-Seed-Förderung, ansonsten sind wir zu einem großen Teil gebootstrapped. Aktuell sind wir super dabei und haben schon erste Interessent:innen. Das große Ziel ist, 2026 30 Bikes zu verkaufen.
Allerdings sind unsere Bikes in der Herstellung sehr kostenintensiv, was zu hohen Ausgaben führt. Es ist ein schmaler Grad. Deshalb möchten wir einen Investor ins Boot holen, der etwa 300.000 Euro mitbringt. Darüber hinaus unterstützen uns Wolfgang Reichl von Parken Plus und der Science Park Graz. Ohne die beiden würde es nicht gehen.
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