Hintergrund

Gutscheine, Freunde & 5 Sterne: Was hinter Startup-Software-Reviews wirklich abgeht

Foto von der fynk-Startseite. © Trending Topics
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Startup Interviewer: Gib uns dein erstes AI Interview Startup Interviewer: Gib uns dein erstes AI Interview

Stell‘ dir vor, es ist Launch-Tag, und dein Startup kann auf der Startseite schon mit Fünf-Sterne-Bewertungen auf gleich drei Software-Bewertungs-Portalen glänzen – ideal, um potenzielle Neukund:innen von der neuen Cloud-Software zu überzeugen. Der Launch wird groß zelebriert, Medien, die berichten, werden auch gleich gebeten, auf die Landing Page zu verlinken. Parallel dazu wird das Millionen-Investment zelebriert, und alles ist darauf vorbereitet, möglichst viel Traffic zu bekommen.

Doch das wirft auch die große Frage auf: Wie kann eine Cloud-Software, die erst den „offiziellen Marktstart“ machte, bereits zahlreiche 5-Sterne-Reviews auf den großen Software-Bewertungs-Plattformen haben und sich mit entsprechenden Badges schmücken?

Gute Ratings für lebenswichtigen Traffic

Ab hier begeben wir uns in die komplexe und fragwürdige Welt der Review-Portale und Software-Bewertungen. Wer schon einmal nach einer (Startup-)Software gesucht hat, der weiß: Die Suchergebnisse sind voll mit Links zu Review-Portalen wie Capterra, GetApp, Software Advice, OMR Reviews oder G2. Google spuckt dabei nicht nur die Links aus, sondern liest sogar die Sterne-Bewertungen aus, um sie in seinen Suchergebnissen prominent zu platzieren. Jede:r, der Software anbietet, tut also gut daran, gute Ratings präsentieren zu können.

Nur: Wie kommen diese Bewertungen zustande? Dahinter steckt ein komplexes Geflecht des Geben und Nehmens. Nennen wir das Startup, das sich kürzlich mit solchen Bewertungen am Launch-Tag schmückte, Blank*. Blank* geht mit den Sternen sehr offensiv um: Auf der Startseite des Startups werden die 5/5-Sterne-Bewertungen auf den Portalen Capterra, GetApp und Software Advice prominent dargestellt. Was viele nicht wissen: Capterra, GetApp und Software Advice gehören alle dem selben Unternehmen, nämlich der Sparte Gartner Digital Markets des großen börsennotierten Marktforschungsunternehmens Gartner.

Da alle drei Portale dem selben Betreiber gehören, ist es auch Usus geworden, dass die Reviews von A nach B nach C kopiert werden. Bedeutet: Reviews, die auf Capterra veröffentlicht werden, werden 1:1 auch bei GetApp und Software Advice veröffentlicht. Der Effekt: Die Google-Suche ist voll mit den Links zu den Review-Portalen. Aber nicht nur das: Für das Schreiben von Reviews gibt es Gutscheine etwa bei Amazon, und die Review-Portale lassen sich von den Software-Anbietern für Web-Traffic und Leads bezahlen.

Incentives für Software-Reviews

Bei Blank* lief das in etwa so: Es wurde ein Account auf Capterra eröffnet, und dann wurden Freunde, Nutzer:innen der Alpha-Version sowie sogar ein Investor des Startups dazu eingeladen, Reviews zu hinterlassen. Das Ergebnis: Mehr als zehn 5-Sterne-Reviews, die dann von Capterra auf GetApp und Software Advice kopiert wurden. Aufmerksamen Nutzer:innen fällt dort schließlich der kleine, etwas versteckte Hinweis auf:

Vendor Referred – Incentive Offered: This reviewer was invited by the software vendor to submit an honest review and offered a nominal incentive as a thank you“ (bei Software Advice fehlt der Hinweis, obwohl die selben Reviews wie auf Capterra und GetApp zu finden sind, Anm.).

Heißt übersetzt: Laut Capterra und GetApp wurden die Bewerter:innen vom Softwarehersteller eingeladen, eine „ehrliche Bewertung“ abzugeben, und ihnen wurde als Dankeschön dafür ein „kleiner Anreiz“ angeboten. Dazu hat Gartner Digital Markets eigene Programme, um „Bewertungen direkt bei Ihren Kunden mithilfe von Multichannel-Vorlagen und verfolgbaren Landing Pages“ zu sammeln. Man kann die Angelegenheit aber auch Gartner überlassen und automatisierte Kampagnen im eigenen Namen starten.

Wer wird zum Bewerten eingeladen?

Hier gehen die Angaben auseinander: Während die Gartner-Portale angeben, dass der Software-Anbieter die Incentives anbieten würde, sagt das Startup, dass das Capterra erledigen würde. Laut dem Blank*-CEO würde Gartner die Amazon-Gutscheine ausgeben – man wisse aber nicht, ob diese auch von den Reviewern beansprucht wurden.

Die Belohnung von Reviews ist eine zwiespältige Sache. Zum einen hat das natürlich einen bitteren Beigeschmack, wenn Freund:innen und Investor:innen 5-Sterne-Bewertungen hinterlassen und mit diesen dann für die Software geworben wird. Zum anderen wird betont, dass es die Incentives unabhängig vom Review geben würde – also auch dann, wenn nur ein Stern vergeben wird. Es gibt auch eine Studie, die besagt, dass Online-Reviews in Quantität und Qualität besser werden, wenn die Bewertenden belohnt werden.

Was dabei aber offen bleibt ist, wer nun mit einer Belohnung zum Review eingeladen wird. Denn zu Blank* kann man auch ein Review hinterlassen, ohne einen Gutschein angeboten zu bekommen. Das bedeutet, dass das Startup bzw. Capterra und Co Einladungen versenden können, damit die Reviews entstehen. Wer einfach so auf eine der Bewertungsseiten geht, um das Startup zu bewerten, der bekommt keinen Gutschein.

Capterra und Co. lassen sich für Traffic bezahlen

Was haben nun die Gartner-Portale Capterra, GetApp und Software Advice davon, Bewerter:innen mit Amazon-Gutscheinen zu bezahlen, dass sie möglichst viele und ausführliche Reviews hinterlassen? Nun, sie wollen erstens möglichst viel Content auf ihren Seiten, um so möglichst viel Google-Traffic abgreifen zu können. Und zweitens: Sie wollen ins Geschäft mit den Software-Anbieter:innen kommen. Denn Capterra sei für Nutzer:innen nur deswegen kostenlos verfügbar, weil „bietende Softwareanbieter für Webtraffic & Leads bezahlen, die sie dank unserer Seite generieren“, heißt es seitens der Betreiber.

Die Gartner-Portale bieten den Software-Herstellern alle erdenklichen Tools, um die Reviews und Sterne schön auf ihren Startseiten präsentieren zu können. Zum Beispiel gibt es ein eigenes Online-Tool, um verschiedenste Badges zu generieren, die als eine Art Gütesiegel auf Webseiten und in Apps verbaut werden können. Warum Blank*, wie im Fall unten zu sehen ist, Badges für „Best Ease of Use 2024“, „Best Functionality & Features 2024“, „Best Value 2024“ oder „Most Recommended 2024“ vorgeschlagen bekommt, ist unklar – das Startup ist ja erst gelauncht und hat diesbezüglich noch keine Bewerbe gewonnen. Weswegen es deswegen die Superlative „Best“ und „Most“ verdient, ist unklar – es könnte ja andere Anbieter mit ähnlicher Software geben, die besser sind. Das sieht zum Beispiel so aus:

© Screenshot

Schließlich aber sollen Startups und andere Software-Anbieter Kunden von Capterra und Co werden. Als Betreiber von Capterra, Software Advice und GetApp spricht Gartner Digital Markets von mehr als 100 Millionen aktiven Software-Käufer:innen, die man jährlich erreichen würde.

Ist nun auch Blank* unter diesen zahlenden Softwareanbietern, bezahlt also Capterra, Software Advice und GetApp dafür, wenn von den Bewertungs-Portalen Zugriffe für die Vertrags-Software kommen? Die Tracking-Links, die bei Capterra und GetApp auf den Blank*-Bewertungsseiten hinterlegt sind und zu der Blank*-Startseite führen, deuten jedenfalls mit UTM-Parametern und Referrern darauf hin. Gartner Digital Markets bietet Blank* und unzähligen anderen Software-Anbietern die Möglichkeit, gesponserte Profile auf seinen Portalen zu schalten. Gesponserte Profile sind farblich etwas anders dargestellt, haben aber einen entscheidenden Vorteil: Sie enthalten prominent platzierte Links zu externen Webseiten – also jenen Orten, an denen man die Software letztendlich auch nutzen und buchen kann.

Kein Sponsoring, keine Links

Wer kein gesponsertes Profil hat, der schaut beim Traffic durch die Finger. Nicht bezahlte Profile bei Capterra – z.B. jenes hier von Trello – haben keine weiterführenden Links zu Trello selbst, jedoch aber prominent einen Vergleich zum Konkurrenten MeisterTask, und der hat Links drinnen – natürlich mit Tracking-Links samt UTM-Parametern zur Klick- und Erfolgsmessung. Wer die Plattform durchsucht, wird viele bezahlte Profite finden, und viele, die nicht bezahlen. Der Unterschied jeweils: Sponsored Profiles enthalten weiterführende Links, unbezahlte keine. Bedeutet also: Wer den Traffic, den Capterra und Co via Google Search einfängt, zu sich durchlassen möchte, muss die Schleuse öffnen – und Kunde bei Capterra werden.

Hier ein Vergleich zwischen normalen Profilen (Adverity bzw. Monday.com) und gesponserten Profilen mit ausgehenden Links (Meistertaks bzw. Whatagraph):

Vor allem junge Software-Anbieter, die in den Markt starten, sind von den Bewertungsportalen teilweise abhängig. Denn die Reviews etwa zu Blank* werden von Google sehr hoch gerankt. Will man also Suchmaschinen-Ergebnisse optimieren, dann muss man bei Capterra und Co gut bewertet sein. Die Bewertungsportale lassen es sich dann eben etwas kosten, wenn sie Google-Traffic, der zu ihnen kommt, an die Software-Anbieter weitergeben. Und schon ist man drinnen im Geschäft mit Software-Reviews.

Anmerkung: Gartner Digital Markets als Betreiber von Capterra, GetApp und Software Advice wollte oder konnte Fragen von Trending Topics bezüglich Incentivierung von Bewertungen und bezahlten Profilen nicht beantworten.

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