Interview

Richard David Precht: „Tu‘ das, wofür du wirklich brennst“

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Er ist einer der populärsten zeitgenössischen Philosophen im deutschsprachigen Raum und wird immer dann zu Rate gezogen, wenn es um die ganz großen Fragen der Digitalisierung, der Robotisierung und der Zukunft der Arbeit geht: Der deutsche Publizist und Buchautor Richard David Precht hat sich auch bei der Eröffnung der Digital Days in Wien diesen Themen gewidmet. Weil er – wie wir aus den Zugriffszahlen wissen – auch einer der populärsten Persönlichkeiten unserer Leser ist, haben wir Precht zum Interview getroffen.

Mit Trending Topics hat der 1964 in Solingen geborene Professor für Philosophie (zuletzt erschien „Jäger, Hirten, Kritiker. Eine Utopie für die digitale Gesellschaft“) über das Bedingungslose Grundeinkommen, eine Steuer auf Online-Bestellungen, Startups und darüber gesprochen, warum er keinen Video-Blog macht.

Trending Topics: Sie haben in Ihrer Keynote der Digital Days über Automatisierung, Roboterisierung gesprochen. Wie groß ist die Gefahr, dass dadurch viele Jobs wegfallen werden?

Richard David Precht: Die Chance ist groß. Es werden viele neue Jobs entstehen, es werden viele alte wegfallen. Das wäre normalerweise nicht so beunruhigend, wenn wir nicht das Problem hätten, das in den Bereichen, wo Arbeit wegfällt, die Leute nicht in der Lage sein werden, in die Bereiche rüber zu wechseln, in denen neue Arbeit entsteht. Entweder weil sie es nicht können oder weil sie es nicht wollen.

Junge Leute, die an ihre Zukunft denken – welche Ausbildungen sollten sie angehen, um in Zukunft noch einen Job zu haben?

Ich würde keine Banklehre mehr machen, ich würde auch nicht zu einer Versicherung gehen, zumindest nicht auf der unteren Ebene. Der allgemeine Rat lautet: Tu‘ das, wofür du wirklich brennst. Wenn du in dem Bereich gut bist, wirst du dich immer durchsetzen. Wähle den Job nicht mehr nach dem Gesichtspunkt, wie man das früher meistens gemacht hat – da schlüpfe ich irgendwo unter und dann habe ich einen sicheren Job und werde irgendwann verbeamtet. Das wird nicht mehr so lange laufen in vielen Bereichen.

Sie haben davon gesprochen, dass wir uns in einer Übergangsphase weg von der Lohnarbeit befinden hin zu einem neuen Szenario bewegen. Wie sieht dieses neue Szenario aus?

Es wird weniger vorgefundene Arbeit geben. Jetzt ist es so: Ich lerne irgendwas und dann fange ich bei irgendeiner Firma oder so an. Nicht, dass es das nicht mehr gibt, aber es wird weniger werden. Es wird mehr Eigeninitiative, Kreativität gefragt werden, selber etwas auf die Beine zu stellen. Dieser Sektor wird deutlich größer werden. Und deswegen ist die wichtigste Befähigung, die man hat, diese Kreativität und die Eigeninitiative.

Richard David Precht. © Trending Topics
Richard David Precht. © Trending Topics

Heißt dass, das junge Leute in Zukunft vor allem Freelancer sein werden, Startup-Gründer sein werden oder in Startups arbeiten werden?

Na, ich würde das mit den Startups nicht völlig übertreiben. Es gibt ja nicht nur technische Startups, es gibt auch unglaublich viele neue gesellschaftliche Herausforderungen. Wenn jemand verdammt gute Ideen für die Kommunalpolitik entwickelt, wie man wieder Öffentlichkeit in der Stadt herstellt – als ein Beispiel unter tausenden -, dann is das genauso wichtig wie ein Startup zu gründen. wir sollten das nicht technisch verengen, sondern wir brauchen Eigeninitiative in allen gesellschaftlichen Bereichen.

Sie setzen sich auch intensiv mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) auseinander. Sind sie nun ein Verfechter? brauchen wir es? Und: Wird es kommen?

Ja, wir werden es brauchen. Wir können es heute nicht einführen, denn dann würden wir als erstes eine Teuerung und eine Inflation kriegen. es würden die Mieten steigen und alles würde teurer, und dann ist das wieder aufgezehrt. Aber im gleichen Maße, wie wir den Strukturwandel in der Arbeitsgesellschaft haben, werden wir sukzessive ein Grundeinkommen einführen müssen, weil die Leute, die arbeiten diejenigen, die nicht mehr arbeiten, nicht mehr finanzieren werden können. Da werden wir an alternative Geldtöpfe ran müssen auf diesem Weg.

Wie kann das finanziert werden? Gibt es da schon Ansätze?

ja, es gibt natürlich alle möglichen Modellrechnungen. Richtig genau rechnen kann das natürlich keiner, so wie alle diese Zukunftsdinge nicht genau berechenbar sind. Das ist Scharlatanerie, da exakte Zahlen zu nennen. Aber wenn man kuckt, wo das meiste Geld ist, das man produktiv machen müsste, dann würde ich sagen: bei Finanztransaktionssteuern. Die Summe von Finanztransaktionen, alleine was Deutschland anbelangt, beläuft sich auf etwa 250 Billionen. Wenn Deutschland auch nur eine einzige davon abbekäme, wäre das Grundeinkommen finanziert, von 1.500 Euro pro Nase. Am Reissbrett. In der Realität wird das alles ein bisschen anders aussehen. Natürlich wird man nicht mit 0,3 Prozent Finanztransaktionssteuern starten, sondern mit 0,1. aber das müsste man erst mal machen, und da sollte man ein paar andere europäische Länder finden. Ich weiß, Österreich ist dabei.

Angenommen es gibt ein Grundeinkommen von etwa 1.000 Euro im Monat – was würden Sie damit machen?

Es müssten 1.500 sein, weil ein Transferleistungsempfänger in Deutschland im Durchschnitt jetzt schon mehr als 1.000 Euro kriegt. Ich würde es spenden. Ich brauche es nicht, und ich glaube, es wäre ja wohl ein Gentlemen’s Agreement, dass die Leute, die es nicht unbedingt brauchen, es in Stiftungen oder in gemeinnützige Zwecke investieren.

Die ehemalige und vielleicht zukünftige wirtschafts- und Digitalisierungsministerin Österreichs, Margarete Schramböck, ist schon mal als ihre Erzfeindin bezeichnet worden. Stimmt das?

Naja, auf der persönlichen Ebene hab ich gar nichts gegen Frau Schramböck. Ich liebe es auch, mit ihr zu diskutieren, weil das ja leidenschaftlich geht. Sie ist sehr offen und sehr vehement in ihren Positionen, das finde ich alles in Ordnung. Ich glaube nur, dass sie sich das Kind ein bisschen schön trinkt, dass sie die künftigen Turbulenzen auf dem Arbeitsmarkt unterschätzt. Alleine in dieser sachbezogenen Diskussion haben wir Divergenzen, nicht auf der menschlichen Ebene.

+++ Wirtschaftsministerin Schramböck: „Ich glaube, das bedingungslose Grundeinkommen braucht es nicht“ +++

In Deutschland sind Sie kürzlich aufgefallen mit der Meinung, dass Internet-Bestellungen eine Steuer von 25 Prozent bekommen sollten. Warum?

Ich bin sicher, dass das genauso kommt wie das Grundeinkommen, weil es nicht anders geht. Es gibt bestimmte Dinge, die muss man irgendwann machen. Das hängt damit zusammen, dass die Städte – und das gilt für die österreichischen Städte genauso – nur mehr Ketten haben und sukzessive leerstehende Geschäfte. Zuerst kamen die Ketten und haben den Einzelhandel abgedreht, und jetzt kommt der Online-Handel und dreht den Ketten das Wasser ab. wenn wir die Besteuerung nicht machen, dann hat man irgendwann so gut wie keine Geschäfte mehr in der Stadt. Wenn man keine Geschäfte mehr in der Stadt hat, dann gehen die Leute nicht mehr in die Stadt – ja, nach Salzburg die Touristen, klar -, aber in meiner Heimatstadt Solingen, da geht keiner mehr in die Stadt.

Wenn die Leute nicht mehr in die Stadt gehen, dann fühlen sie sich nicht mehr verantwortlich für die Stadt, dann gibt es keine Öffentlichkeit mehr, keine Gemeinsamkeit mehr, dann veröden die Städte. Wenn die Städte veröden, dann radikalisieren sich die Leute. Jeder ist jedermanns Feind, und das zerstört die demokratische Kultur. wenn es eine bessere Idee gibt als 25 Prozent Online-Steuer, dann bin ich sofort dabei, ich sehe nur keine.

Ist da nicht die Gefahr, dass die großen Internet-Riesen, Amazon allen voran, diese Steuer an den Konsumenten weiterreichen und einfach die Preise erhöhen?

Ja. Ist gut so. Also wenn es so ist, dass das Buch, dass ich bei Amazon bestelle, fünf Euro mehr kostet als in der Buchhandlung, dann ist das genau der Sinn der Übung, das soll ja passieren. wenn sie das weiterreichen, dann wird man sich überlegen, ob man drei Bücher oder fünf Bücher zu Weihnachten kauft oder nicht doch besser in die Buchhandlung geht. Außerdem würde ich das Geld, dass ich dadurch bekomme, den Kommunen für Strukturentwicklung zur Verfügung stellen. Man könnte ja Mietzuschüsse damit zahlen zum Beispiel. Sie können ihre heimische Wirtschaft damit unterstützen. Wäre großartig.

Aber das Interessante ist: wenn Sie einen solchen Vorschlag in Deutschland machen, sind 99 Prozent ohne lange nachzudenken dagegen. Die ganzen Vorteile, über die ich spreche, die werden nicht gesehen. Man sagt: Wenn Österreich das nicht macht, dann werden die Deutschen ihre Pakete in Österreich bestellen. Man überlegt, sich, was gibt es für Tricks, um da rauszukommen, anstatt sich mal zu überlegen, wie wünschenswert es wäre, es zu tun.

Ein großes Thema für Sie ist die Bildung. was sollten junge Menschen in der schule, auf der Universität künftig im Unterschied zu jetzt lernen? Muss jeder programmieren lernen?

Nein, es muss nicht jeder programmieren lernen, weil nicht jeder ein Talent dazu hat. wenn diejenigen ohne Talent das lernen, dann werden sie keinen Job finden. Eine ganz einfache Geschichte. Nur die Hochbegabten mit Talent, die gefördert worden sind, nur diejenigen haben nachher eine Chance. Diejenigen, die talentfrei programmiert gelernt haben, die braucht kein Mensch. die sollen das machen, wofür sie selber Talent haben.

Eine letzte Frage: Sie als zeitgenössischer Philosoph schreiben viele Bücher. Wäre es nicht zeitgemäßer, einen Video-Blog zu machen? Haben sie da schon mal darüber nachgedacht?

Meine begrenzteste Ressource ist Zeit. Das auch noch zu machen neben alldem, das ich mache, da habe ich eigentlich keine große Lust zu. was ich am allerliebsten mache, ist nicht auf Bühnen zu stehen – auch wenn ich das oft mache -, am liebsten sitze ich zu Hause an meinem Schreibtisch, schreibe an meinen Büchern, gehe nicht ans Telefon – das ist stumm geschaltet -, kucke mir keine E-Mails an und lebe in meiner Welt. Und das brauche ich, weil ich sonst meine Gedanken gar nicht entwickeln kann. Sonst quatscht man sich einfach nur leer. Darüber hinaus jetzt noch was zu machen, wäre ein bisschen viel.

Alles klar – Offline-Zeit ist wertvolle Zeit – vielen Dank für das Gespräch!

 

+++ Richard David Precht: „Die Arbeitswelt der Zukunft wird sein, sich selbst etwas aufzubauen“ +++

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