NAO-Gründer Robin Binder: „Es ist generell keine gute Idee, den Markt ‚timen‘ zu wollen“

Aktien und ETFs sind heute über eine Vielzahl an Apps für jeden zugänglich, mit wenigen Klicks am Smartphone kann man in sie investieren. Schwieriger ist die Sache bei Investitionen in nicht börsennotierte Unternehmen – so genanntes Private Equity. Das Berliner Startup NAO von CEO und Gründer Robin Binder will das ändern und bietet seinen Nutzer:innen eine Co-Investment-Plattform für Private und Alternative Investments.
Im Interview spricht Binder über den kürzlichen Börsen-Crash, über die Ursachen und Auswirkungen – und auch darüber, wie und wann alternative Anlagen wie Private Equity und Private Debt eine Ergänzung zu klassischen Anlageklassen Sinn machen – und mit welchen Vor- und Nachteilen sie kommen.
Trending Topics: S&P500, DAX und Co haben durch die jüngste US-Zollpolitik innerhalb kürzester Zeit eine wahre Achterbanfahrt hingelegt. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage an den Finanzmärkten ein?
Robin Binder: Die neue US-Zollpolitik hat definitiv für erhebliche Schwankungen an den Finanzmärkten gesorgt. Wichtige Indizes wie S&P500 und DAX haben innerhalb kurzer Zeit starke Kursausschläge erlebt. Ein klares Zeichen dafür, wie sensibel global vernetzte Märkte auf handelspolitische Entscheidungen reagieren. Für Unternehmen bedeutet das, dass sie sich schnell auf veränderte Rahmenbedingungen einstellen müssen, während Anleger mit neuen Unsicherheiten konfrontiert werden. Am schlimmsten ist aber aus meiner Sicht die Unsicherheit über den Kurs der USA, die durch Präsident Trump herrscht – sowas ist toxisch für die Börse.
Die Finanzmärkte haben historisch betrachtet immer wieder unruhige Phasen durchlebt und sich anschließend stabilisiert. Auch wenn die kurzfristigen Schwankungen beunruhigend sein können, streben Unternehmen weiterhin Innovationskraft, Produktivitätssteigerungen und eine langfristige sowie nachhaltige Weiterentwicklung an.
Wie sollten Anleger:innen auf solch extreme Marktbewegungen reagieren – Ruhe bewahren oder aktiv gegensteuern?
Bei extremen Marktbewegungen ist Besonnenheit entscheidend. Emotionale Reaktionen führen oft zu Panikverkäufen, wodurch viele Anleger:innen den Anschluss an die spätere Markterholung verpassen. In volatilen Phasen empfehle ich, an einer langfristigen Anlagestrategie festzuhalten, die auf Diversifikation und einem klaren Verständnis des eigenen Risikoprofils basiert.
Es ist generell keine gute Idee, den Markt ‚timen‘ zu wollen. Kurzfristige Schwankungen sind kaum vorhersehbar und aktives Gegensteuern birgt zusätzliche Risiken. Sinnvoller ist es, strategisch ein gut diversifiziertes Portfolio aufzubauen und bei hoher Unsicherheit gegebenenfalls Absicherungsmechanismen einzusetzen, die als Puffer gegen Marktschwankungen wirken können. Zusätzlich kann man solche Marktphasen auch für taktische und eher kurzfristig gelagerte Investitionen nutzen. Indem man an der langfristigen Strategie festhält und taktisch die Marktphase für sich nutzt, lassen sich solche Schocks besser abfedern und bieten Gewinnpotenzial, ohne dass kurzfristige Emotionen die Oberhand gewinnen.
Welche Möglichkeiten gibt es für Anleger:innen, ihr Portfolio in Zeiten erhöhter Volatilität widerstandsfähiger aufzustellen?
Eine Anlageklassen übergreifende Diversifikation ist hier der Schlüssel. Anleger:innen sollten nicht ausschließlich auf klassische Anlagen wie Aktien oder ETFs setzen, sondern auch alternative Asset-Klassen in Betracht ziehen. Dazu gehören festverzinsliche Wertpapiere, Rohstoffe oder Private Assets, die oft weniger mit traditionellen Märkten korrelieren. Hier haben in der Historie vor allem Anlageklassen wie Infrastruktur oder Private Debt gezeigt, dass sie einen positiven Effekt hinsichtlich Stabilität auf das eigene Portfolio haben können.
Eine dynamische Vermögensaufteilung durch gezielte Risikomanagement-Strategien oder Absicherungsinstrumente kann ebenfalls dazu beitragen, das Portfolio widerstandsfähiger zu machen. In volatilen Zeiten ist es besonders wichtig, die eigenen Anlageziele und Risikoparameter regelmäßig zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Gerade im institutionellen Umfeld wird in solchen Phasen auch aktiv die Volatilität verkauft und dadurch ein Zusatzertrag generiert.
Welche Fehler beobachten Sie aktuell bei Anleger:innen besonders häufig, wenn sie versuchen, auf Marktkrisen zu reagieren?
Ein klassischer Fehler ist zu schnelles Verkaufen in Krisenzeiten, meist aus Angst vor weiteren Verlusten. Durch solche Panikverkäufe verpassen Anleger:innen häufig die anschließende Erholung der Märkte. Viele versuchen auch, den perfekten Zeitpunkt für Ein- und Ausstieg zu finden, statt einer fundierten, langfristigen Strategie zu vertrauen. Aus meiner Zeit in einem Family Office kann ich sagen, dass auch Profis meistens nicht den richtigen Einstiegszeitpunkt treffen.
Ein weiteres Problem ist das übermäßige Vertrauen auf kurzfristige Marktprognosen und Experteneinschätzungen. In Krisenzeiten steigt die Flut an Marktkommentaren und vermeintlichen Vorhersagen deutlich an. Wer sein Portfolio auf Basis solcher oft widersprüchlichen Kurzfrist-Prognosen umschichtet, handelt meist zu häufig und reduziert damit seine Rendite durch erhöhte Transaktionskosten und verpasste Erholungsphasen. Stattdessen sollten Anleger ihre individuelle Anlagestrategie im Blick behalten und Marktturbulenzen als normale Erscheinung der Kapitalmärkte betrachten. Wenn die eigene These hinter einem Investment noch Bestand hat, gibt es keine Gründe anhand von unfundierten “Zukunftsprognosen” das Portfolio umzuschichten.
Aktien kennt heute jeder, Private Equity und Private Capital hingegen nicht. Worum handelt es sich für den Laien, was sind die bekanntesten Beispiele?
Private Equity umfasst Investitionen in nicht börsennotierte Unternehmen, sei es als Beteiligung an etablierten Firmen oder als Wachstumskapital für aufstrebende Unternehmen. Private Capital ist breiter gefasst und schließt neben Private Equity auch andere alternative Investments wie Infrastrukturprojekte oder Private Debt ein. Dies ist also der Oberbegriff für nicht börslich gehandelte Anlagen.
Bekannte Namen in diesem Bereich sind Investmentfirmen wie Blackstone, Goldman Sachs Asset Management oder die Partners Group, die weltweit in verschiedene Branchen investieren und als Vorreiter in diesem Sektor gelten. Diese Unternehmen kaufen oft Firmen, entwickeln sie weiter und verkaufen sie später mit Gewinn oder bringen sie an die Börse.
Warum spielen gerade diese Anlageformen Ihrer Meinung nach aktuell eine so wichtige Rolle?
In Zeiten erhöhter Unsicherheit und volatiler Märkte bieten alternative Anlagen wie Private Equity und Private Debt eine wertvolle Ergänzung zu klassischen Anlageklassen. Diese Investments korrelieren oft weniger stark oder sogar teils negativ mit den Aktienmärkten, was zur Diversifikation beiträgt und das Gesamtrisiko im Portfolio senken kann.
Zudem eröffnen sie Chancen auf langfristiges Kapitalwachstum und können durch ihre strukturellen Besonderheiten, wie längere Investitionshorizonte und aktive Managementstrategien, auch in turbulenten Zeiten stabilisierend sowie renditesteigernd wirken. Ihre Flexibilität und die Möglichkeit, in eine Auswahl von mehr als achtmal so viele Unternehmen wie an der Börse gelistet sind oder direkt in Infrastrukturprojekte zu investieren, machen diese Anlageformen besonders attraktiv.
Können Sie erläutern, wie Private Assets konkret helfen, Schwankungen im Portfolio abzufedern? Gibt es Daten oder Studien, die diese stabilisierende Wirkung belegen?
Private Assets wirken häufig als Puffer, weil ihre Wertentwicklung weniger an kurzfristige Marktschwankungen gekoppelt ist. Private Equity-Investments profitieren beispielsweise von aktivem Management und langfristiger strategischer Ausrichtung, was kurzfristige Volatilität dämpfen kann. Bei Private Debt-Investitionen investiert man hingegen in einen anderen Bereich der Kapitalstruktur von Unternehmen – das Fremdkapital – und hat damit eine höhere Planbarkeit. Gleiches gilt für Infrastrukturinvestitionen. Durch den täglichen Bedarf nach Infrastrukturdienstleistungen wie die Stromerzeugung, Transportzentren oder das Internet, ist die Anlageklasse Infrastruktur viel weniger zyklisch als der Aktienmarkt.
Langzeitanalysen wie die von Schroders Capital zeigen, wie widerstandsfähig Private Equity in Krisen ist. Ein mit alternativen Investments diversifiziertes Portfolio weist entsprechend durchschnittlich geringere Schwankungen auf. Obwohl historische Performance keine garantierten zukünftige Erträge abbildet, zeigen Analysen, dass die Beimischung von Private Assets das Gesamtrisiko reduzieren kann, während gleichzeitig das Renditepotenzial erhalten bleibt oder sogar erhöht werden kann.
Viele Privatanleger:innen kennen Private Assets noch kaum. Wie kann man als Einzelperson Zugang zu diesen Anlageklassen finden?
Traditionell waren Private Assets vor allem institutionellen Investoren und sehr vermögenden Privatpersonen vorbehalten. In den letzten Jahren haben sich jedoch neue Wege geöffnet. Spezielle Fondslösungen und digitale Anlageplattformen machen diese Anlageformen auch für kleinere Investoren zugänglich. Auch die ELTIF 2.0 Regulierung war ein wichtiger Schritt für Private Assets. Damit wurde erstmals ein praktikables Rahmenwerk für den Vertrieb von Private Market Investments an europäische Kleinanleger:innen geschaffen.
Bei NAO arbeiten wir gezielt daran, den Zugang zu diesen Anlagen so transparent und einfach wie möglich zu gestalten. Damit machen wir seit fast zwei Jahren einem breiteren Publikum die Vorteile dieser Anlageklassen zugänglich. Und das mit einer Mindestanlagesumme von nur 1.000 Euro und einem Kaufprozess, der dem Erwerb eines ETFs bei den einschlägigen Onlinebrokern ähnelt.
Welche Mindestanforderungen – etwa finanzieller Art oder hinsichtlich der Haltedauer – sollten Interessierte kennen?
Private Assets zeichnen sich grundsätzlich durch höhere Mindestanlagen und längere Haltefristen aus. Die Mindestanlagesummen liegen oft im fünf- oder sechsstelligen Bereich, mit Laufzeiten von teilweise mehr als zehn Jahren. Dies hat sich durch sogenannte Evergreens geändert, die regelmäßige Investitionen und die Möglichkeiten von Rückgaben zulassen. Am langfristigen Charakter der Anlageklassen ändert dies jedoch nichts. Die Mindestinvestitionen hingegen haben sich stark gelockert. Wir machen mit unserem Co-Investment-Ansatz Private Markets Strategien mit institutioneller Qualität für Privatanleger:innen bereits ab 1.000 Euro zugänglich.
Anleger:innen sollten auf jeden Fall ein gewisses Maß an Finanzwissen und Risikobereitschaft mitbringen. Häufig wird eine Akkreditierung oder entsprechende Erfahrung mit alternativen Investments vorausgesetzt. Diese Faktoren unterstreichen, dass diese Anlageformen grundsätzlich für gut informierte und durch den illiquiden Charakter für langfristig orientierte Investor:innen konzipiert sind, die bereit sind, für höhere Renditechancen auch Einschränkungen bei der Verfügbarkeit ihres Kapitals in Kauf zu nehmen.
Aktien sind sehr liquide, man kann sie theoretisch jederzeit verkaufen. Welche Nachteile haben Private Assets?
Der größte Unterschied von Private Assets zu Aktien und ETFs ist ihre eingeschränkte Liquidität. Da diese Investitionen in nicht börsennotierte Unternehmen oder in langfristige Projekte erfolgen, ist eine Anteilsrückgabe meist nur über längere Zeiträume und zu festgelegten Zeitpunkten möglich. Dies erschwert das aktive Liquiditätsmanagement im Vergleich zu börsengehandelten Aktien.
Zudem gibt es weniger Transparenz bei der Bewertung dieser Anlagen, da sie nicht täglich am Markt gehandelt werden. Dadurch kann nur unregelmäßig ein aktueller Preis festgelegt werden. Diese geringere Liquidität und die unregelmäßige Bewertung müssen Anleger:innen bei ihrer Portfolio-Planung berücksichtigen und entsprechende Puffer für kurzfristigen Liquiditätsbedarf einplanen.
Sehen Sie regulatorische Veränderungen, die den Zugang zu Private Assets weiter vereinfachen oder erschweren könnten?
Die Regulierungslandschaft entwickelt sich ständig weiter. In den letzten Jahren sind verstärkt Bestrebungen erkennbar, den Zugang zu alternativen Anlageklassen zu erleichtern, ohne den Anlegerschutz zu vernachlässigen. Am bekanntesten ist die seit Januar 2024 in Kraft getretene ELTIF-Novellierung (European Long-Term Investment Fund). EU-Initiativen und nationale Behörden arbeiten an mehr Transparenz und Standardisierung bei alternativen Investments.
Einerseits könnten Deregulierungsschritte und innovative digitale Plattformen den Zugang für Privatanleger:innen weiter vereinfachen. Andererseits müssen gewisse Anforderungen an die Anlagestrategie der Fondsmanager und die Anlegerqualifikation bestehen bleiben, um Risiken zu minimieren. Insgesamt erwarte ich eine ausgewogene Entwicklung, die sowohl Innovationen fördert als auch den Schutz der Anleger:innen sicherstellt.
Sehr positiv ist das Auftreten von vielen internationalen Asset Managern, die allesamt ihre Produkte durch den neuen regulatorischen Rahmen an Kleinanlegern vertreiben möchten. Dieser Wettbewerb von global führenden Firmen belebt das Geschäft und verbessert die Qualität der Anlagen für Privatanleger:innen.