Running Tide: Algen als Mittel zur Bekämpfung des Klimawandels
Algen werden aktuell von einer Welle von Startups als vielversprechende Lösung gegen den Klimawandel angepriesen. Warum? Sie sind in der Lage, Kohlenstoff für Hunderte von Jahren zu binden, Nahrungsmittel für die Weltbevölkerung bereitzustellen, Biomasse für neue Arten von Kraftstoffen beizutragen und Treibhausgase zu reduzieren, da die Fütterung mit Algen Kühen ein rülpsfreies Leben ermöglicht. Dennoch warnen Wissenschaftler:innen vor möglicher überstürzter Massenproduktion.
Running Tide wirft Algen-Bojen ins Meer
Laut National Geographic wird in Island derzeit ein innovatives Experiment durchgeführt, um die Wirksamkeit von Algen in Bezug auf den Kampf gegen den Klimawandel zu überprüfen. So sollen in den nächsten Monaten Millionen mit Algen bedeckte Bojen, „die ungefähr so groß wie Basketbälle sind“, ins Meer geworfen werden. Sie wurden so konzipiert, dass sie auf den Meeresboden sinken können, wo der in ihnen enthaltene Kohlenstoff „mindestens 800 Jahre lang gebunden bleibt“.
Running Tide, das am Fischpier von Portland in Maine betrieben wird, steckt hinter dem Experiment. Das Unternehmen wurde von Marty Odlin, einem Ingenieur und Berufsfischer in der vierten Generation, gegründet. Vor etwa 15 Jahren soll Odlin einen Vortrag von dem Physiker Klaus Lackner gehört haben, der die Idee, Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu entfernen, verbreitet hat. Danach habe er beschlossen, diese Idee in die Tat umzusetzen.
Wie Algen die Umwelt schonen
Eine aktuelle Einschätzung des „Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen“ spricht im Grunde für die Idee. Das Gremium geht davon aus, dass wir bis 2050 nicht nur die Emissionen senken, sondern auch jährlich etwa zehn Gigatonnen CO2 aus der Atmosphäre entfernen und binden müssen, bis zum Ende des Jahrhunderts sogar das Doppelte. Derzeit gibt es weltweit Algenfarmen mit einer Fläche von etwa 2.000 Quadratkilometern.
Die Benefits wirken einleuchtend: Algen haben tatsächlich die Fähigkeit, atmosphärischen Kohlenstoff zu absorbieren, Methanemissionen von Rindern zu reduzieren, Rohstoffe für Biokraftstoffe bereitzustellen und die Ernährung der Weltbevölkerung zu unterstützen. Runnung Tide ist Teil einer neuen Generation von Startups, die Algen als umfassende Lösung für den Klimawandel betrachten. So planen auch andere Unternehmen Algen in den Ozeanen zu versenken, um Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu entfernen. Einige Startups möchten zudem kohlenstoffintensive Materialien wie Soja, Düngemittel, Plastik und Erdöl durch algenbasierte Alternativen ersetzen.
Trending Topics hat erst kürzlich auch von einer 30 Hektar großen Algen-Farm in Marrokko berichtet, die CO2 aus der Luft ziehen soll. Das britische Unternehmen Brilliant Planet hat im vergangenen Jahr 11 Millionen Euro eingesammelt, um die Algen-Plantage an der marokkanischen Küste zu bauen. Mit der Anlage strebt Brilliant Planet an, Kohlenstoff im „Gigatonnenmaßstab“ zu binden. Das Unternehmen setzt auf das Wachstum von Mikroalgen in eigens gebauten Teichanlagen vor der Küste Marokkos. Das Wasser stammt aus dem Ozean und das CO2 wird aus der Umgebungsluft gewonnen. Die benötigte Energie, zum Beispiel für Pumpen, wird von nahegelegenen Windparks bezogen.
Adam Taylor, CEO von Brilliant Planet, betont, dass naturbasierte Lösungen zur Bekämpfung des Klimawandels in der Regel am skalierbarsten und kostengünstigsten sind. Künstliche Lösungen wie die direkte Luftabscheidung seien zwar leicht zu überprüfen, aber aufgrund des hohen Energie-, Chemikalien- und Frischwasserbedarfs unerschwinglich, so Taylor.
Wie in Marokko eine 30 Hektar große Algen-Farm Tonnen von CO2 aus der Luft ziehen soll
Nicht zu früh freuen
Bedauerlicherweise erweist sich die reale Lösung als komplexer, als sie auf den ersten Blick erscheint. Wenn Algen tatsächlich als wirksames Mittel zur Bekämpfung des Klimawandels dienen sollen, müsste die Industrie erheblich wachsen. Hierbei gibt jedoch Bedenken seitens Wissenschaftler:innen, kleinen Landwirtschaftsbetrieben und Umweltgruppen, die meinen, man solle nicht voreilig handeln, bevor grundlegende Fragen in den Bereichen Wissenschaft, Ökologie, Regulierung und Ethik beantwortet sind.
Konkret betont beispielsweise Kristen Davis, Professorin für Bau- und Umweltingenieurwesen sowie Erdsystemwissenschaften an der University of California Irvine, dass die Wissenschaft noch nicht genügend Erkenntnisse hat, um tatsächlich bestätigen zu können, ob die Verwendung von Algen eine gute Idee ist. Sie erklärt im Gespräch mit National Geographic, dass der Klimawandel sich verschlimmert und die Menschen in Panik geraten, was jedoch nicht dazu führen darf, dass die Nutzung von algenbasierten Kohlenstoffentfernungsmaßnahmen nicht ohne ausreichende wissenschaftliche Erkenntnisse als Lösung in Betracht gezogen werden. Sie warnt vor Umweltschäden oder Ablenkung von effektiveren Strategien. Sie selbst war Teil eines Teams, das vor kurzem die Kosten und potenziellen Klimavorteile von Algen betrachtet hat. Die Forscher:innen kamen laut ihr zu dem Schluss, dass das Versenken von Meeresalgen zur Kohlenstoffbindung viel teurer ist als die alternative Verwendung von gezüchteten Meeresalgen als Ersatz für emissionsintensive Nahrungsmittel wie Soja. Davis erklärt, dass die von Menschen diskutierten Mengen an Algen nicht realistisch sind, zumindest nicht in naher Zukunft.
Bindung nur von kurzer Dauer
Die Verwendung von Meeresalgen zur Kohlenstoffbindung wäre ein interessanter Lösungsweg, wenn er dann aber auch tatsächlich in der Praxis funktionieren würde. Algenwälder, die eine Fläche von etwa zwei Millionen Quadratkilometern abdecken, können zwar genauso viel Kohlenstoff absorbieren wie der Amazonas-Regenwald. Allerdings soll ein Großteil dieser Bindung nur von kurzer Dauer sein, da der gespeicherte Kohlenstoff wieder freigesetzt wird, wenn die Algen geerntet, von Tieren gefressen oder an Land gespült werden.
Das Tide-Modell bietet jedoch zumindest in der Theorie eine Lösung, bei der der gebundene Kohlenstoff in die Tiefe des Meeresbodens sinkt, wo er bei kalten Temperaturen und Dunkelheit über Hunderte von Jahren verbleibt und langsam abgebaut wird. Es gestaltet sich jedoch herausfordernd, das Schicksal des gebundenen Kohlenstoffs genau zu verfolgen. Auch Odlin, der das Running Tide- Experiment leitet, gibt zu, dass sein Vorhaben sich als schwierig gestaltet, da Ähnliches bisher noch nie umgesetzt wurde. Es bleibt also abzuwarten, wie es mit den Algen gegen den Klimawandel weitergeht.
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