Runtastic: Haben sich die 220 Millionen Euro für Adidas ausgezahlt?
Runtastic wird Sterben geschickt. Das ist seit heute, Montag vormittag, klar. Adidas, das das ehemalige österreichische Vorzeige-Startup Runtastic 2015 um 220 Mio. Euro kaufte, hat bestätigt, dass die Büros in Wien, Salzburg und Pasching bei Linz bis Mitte 2025 geschlossen werden. Betroffen sind 170 Mitarbeiter:innen, denen lediglich angeboten wird, dass sie sich für Stellen bei Adidas in der Firmenzentrale in Herzogenaurach, in Amsterdam oder im spanischen Saragossa bewerben können.
Damit wird ein Schlussstrich über ein Kapitel der österreichischen Startup-Geschichte gezogen. Runtastic war einmal DAS heiße Ding der österreichischen Startup-Szene. Das drückte sich nicht nur im Exit an den deutschen Sportriesen aus, sondern auch an anderen Dingen. 2017 kam es im damals neu eröffneten Runtastic-Büro in der Paschinger PlusCity gar zum ungewollten Gipfeltreffen zwischen dem damaligen Außenminister Sebastian Kurz (VP) und Ex-Bundeskanzler Christian Kern (SP), später direkte Kontrahenten ums Kanzleramt. Derweil wurde Runtastic-Mitgründer und CEO Florian Gschwandtner zum Star, er veröffentlichte ein Buch und wurde TV-Investor bei „2 Minuten 2 Millionen“.
Seit dieser Phase gibt es allerhand Theorien darüber, warum Adidas denn nun Runtastic WIRKLICH gekauft haben will.
Theorie 1: Es ging nur um die User-Daten
Runtastic erreichte beim Verkauf an Adidas 2015 40 Millionen App-Downloads und 70 Millionen registrierte Nutzer. Bis 2017 stiegen die Zahlen sogar auf 210 Millionen App-Downloads und 110 Millionen registrierte Nutzer, 2019 sollen es sogar 140 Mio. User gewesen sein – auch unter dem Adidas-Dach konnte man also noch ordentlich zulegen.
2018 war dann aber auch ein Wendejahr für Runtastic. Mit Jahresende ging der langjährige CEO Gschwandtner und wurde damals durch den heutigen Noch-CEO Scott Dunlap ersetzt. Im Geschäftsjahr 2018 stand beim Ergebnis nach Steuern ein Minus von 2,64 Millionen Euro. Im Adidas-Jahresbericht 2018 wurden die Markenrechte und sonstigen immateriellen Vermögenswerte an Runtastic mit 31 Millionen Euro beziffert – also viel weniger als die 220 Mio. Euro, die noch 2015 gezahlt wurden.
2019 dann der nächste Rückschlag: 2019 wurde das Runtastic-Logo von den Apps entfernt, die drei Streifen draufgepappt, und künftig wurden die Apps unter der Brand es weltbekannten Sportausrüsters vermarktet. Hier zeigte sich vielen das wahre Antlitz des Konzerns: Durch den Anschluss der Runtastic-Apps an das Kundenbindungsprogramm „Creators Club“ (heute: adiClub) wurde deutlich, dass es Adidas nicht um die österreichische Brand gegangen war, sondern um die User, die man nun zum (Wieder-)Kauf von Adidas-Produkten via App bewegen wollte. Von vernetzten Bällen, Schuhen oder Sportbekleidung wurde nicht mehr gesprochen.
Ob das für Adidas erfolgreich war, ist schwierig zu sagen – gut möglich, dass man so viel neue User in den adiClub hinüber schaufeln konnte. Die App selber (von Runtastic blieb eigentlich nur die Lauf-App übrig, die heute „adidas Running“ heißt) dürfte für ihre Verhältnisse ganz gut laufen, die Runtastic GmbH warf in den letzten Jahre noch Gewinne zwischen 500.000 und 1,6 Mio. Euro ab – ob das aber nur die App ist oder sich aus Synergien mit anderen Adidas-Bereichen ergibt, lässt sich nicht aus den Bilanzzahlen herauslesen.
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Theorie 2: Es ging nur um das Entwickler-Team
Das ist die zweite Theorie, die sich um den Runtastic-Kauf durch Adidas um 220 Mio. Euro rankt. Bis 2015 hatte Runtastic ein Team von etwa 120 Mitarbeiter:innen aufgebaut, darunter viele Expert:innen für mobile Apps. Ein solches Team aufzubauen, hätte für Adidas wohl sehr großen Aufwand und Zeit bedeutet, die man damals vielleicht nicht hatte.
2015, wir erinnern uns, war die Smartphone-Revolution in vollem Gange, auch in der Welt des Sports. Nike, der große US-Konkurrent von Adidas, hatte bereits eine große Apple-Partnerschaft, die dann auch eine Watch umfasste, in der Tasche, und Under Armour hatte sich für 475 Millionen Dollar MyFitnessPal und für weitere 85 Millionen Dollar Endomondo zugekauft. Adidas stand also, was Mobile anging, unter Zugzwang und musste auch den Investoren beweisen, dass man es mit Apps und Co ernst meinte.
„Diese Investition wird auf unserem Weg, neue Sporterlebnisse von Weltklasse zu schaffen, einen erheblichen Mehrwert schaffen. Darüber hinaus bietet sie die Möglichkeit, eine hoch engagierte Nutzerbasis von Sportlern zu vergrößern und die Stärke unseres breiten Produktportfolios zu nutzen. Ich freue mich daher sehr, die engagierten Mitarbeiter von Runtastic und ihre 70 Millionen aktiven Sportler und Sportbegeisterten in der adidas Konzernfamilie willkommen zu heißen“, sagte der damalige CEO der Adidas Group, Herbert Hainer, damals zum Deal. Genau, richtig gelesen: Die Mitarbeiter von Runtastic werden vor den Nutzern genannt – ein Hinweis darauf, um was es Adidas im Kern gegangen haben mochte.
Seit 2019, also nach dem Weggang von Ex-CEO Gschwandtner, wurden die Runtastic-Mitarbeiter:innen in der ganzen Adidas-Gruppe für Entwicklungsarbeit eingesetzt – laut einer Aussendung etwa für das Kundenprogramm adiClub, die adidas-App, die adidas Confirmed-App oder in der Kooperation mit dem Fitnessanbieter LesMills.
Fast forward 2024: Die nach Stellenabbau verbleibenden etwa 170 Runtastic-Mitarbeiter:innen haben für Adidas aber nun keinen Wert mehr – sie werden bis Mitte 2025 abgebaut. Haben sie ihren Job erfüllt? Für Adidas offenbar schon.
Runtastic: adidas sperrt Österreich-Standorte zu – 170 Mitarbeiter:innen betroffen (Update)
Theorie #3: Es ging nur um die Patente
Ein weniger bekannter Schauplatz, an dem Runtastic eine wesentliche Rolle spielte, ist ein jahrelanger Rechtsstreit zwischen Adidas und seinem US-Rivalen Nike gewesen. Dieser hat seine Wurzel bereits im Jahr 2012. Damals startete Nike mit seiner „FlyKnit“-Technologie auf dem Markt – also einem sehr leichten, atmungsaktiven Stoff, der das Tragen von Schuhen eher wie Socken anfühlen lässt. Nur fünf Monate später aber folgte dann Adidas mit einem sehr ähnlichen gestrickten Material namens „Primeknit“, das ebenfalls für verschiedenste Kollektionen zum Einsatz kam. Mit Produkten aus diesen haben beide Konzerne seither viele Milliarden umgesetzt, die Stoffe sind quasi zum Standard geworden.
Nachdem schon 2020 Adidas vor einem US-Berufungsgericht eine Klage gegen zwei Flyknit-Patente von Nike verloren hatte, verklagte dann 2021 Nike wiederum Adidas wegen der Verletzung seiner Sneaker-Stricktechnologie. 2022 holte dann Adidas wiederum zum Gegenschlag aus und führte die Runtastic-Patente ins Feld. Geklagt wurde nun Nike, weil der US-Sportriese Runtastic-Patente verletzt haben sollte, und zwar bei seinen Apps Nike’s Run Club, Training Club und SNKRS.
Im August 2022 schließlich legten Nike und Adidas ihre Patentstreitigkeiten schließlich bei – gut möglich, dass die Runtastic-Patente auf Adidas-Seite dazu beigetragen haben, dass die Deutschen sich gegen die US-Amerikaner behaupten konnten. Ob geplant oder nicht – der Rechtsstreit mit Nike, der die Wurzeln 2012 oder wohl schon davor hatte, wurde auch mit Hilfe der Patente aus Pasching geführt.
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Es ist wohl das Gesamtpaket
War es das Team, die Technologie und die Patente, oder die User? Vermutlich ist es eine Kombination aus mehreren Dingen; selten sind es einzelne Gründe, die Konzerne zum Kauf von anderen Unternehmen bringen, sondern Bündel aus guten Gründen. Adidas hat sich 2015 die Zitrone gekauft und in den folgenden Jahren ordentlich ausgepresst. Nun dürfte man in Herzogenaurach zu dem Schluss gekommen sein, dass man alles, was man alles, das man verwerten (User, Know-how, Patente), aus Runtastic heraus gepresst hat – und was man letztendlich nicht brauchte oder nicht mehr braucht (Marke, Team, App-Familie), wurde oder wird abgestoßen.
Auch das gehört zum Wirtschaftsleben dazu – insbesondere zu einem börsennotierten Unternehmen, dem nach dem Yeezy-Debakel und dem Reebok-Verkauf die ganze Business-Welt auf die Finger schaut. Und da passt eine österreichische Tochter-Firma, die von der Konkurrenz (Strava u.a.) abgehängt wurde und ein paar Millionen Gewinn zur Konzernleistung beisteuert, offenbar nicht mehr ins Budget.