Saphenus & Surgebright: Wie HealthTechs an humanoiden Ersatzteilen arbeiten
Eine fühlende Prothese und ein Transplantat mit Hai-Namen und humanbiologischen Eigenschaften: Zwei Startups aus Wien und Oberösterreich revolutionieren die Medizin. Beide eint ein Auftritt bei der #glaubandichchallenge – und der unbedingte Wille, Patient:innen ein besseres Leben zu ermöglichen.
„Wir machen die Beinprothese fühlend”, erklärt Rainer Schultheis, CEO von Saphenus Medical Technology. „Wir sorgen dafür, dass die Betroffenen mit ihrem Prothesenfuß wieder Untergrund spüren und sich damit sicherer bewegen. Gleichzeitig ‚füttern‘ wir das Gehirn mit sensorischen Informationen vom Stumpf ausgehend, und das Gehirn akzeptiert die Informationssignale als Signale des verlorengegangenen Fußes – der Phantomscherz reduziert sich.“
„Fundamental neu“
Den Gründern sei „sofort klar“ gewesen, hier etwas „fundamental Neues“ zu schaffen – schließlich waren und sind Prothesen in der Regel gefühllos. Schultheis berichtet von tollen Erfolgen: „In einem Fall ließ ein Patient, der bei der Erstversorgung mit Stock zu uns kam, selbigen nach 30 Tagen zu Hause. ‚Brauch ich nicht mehr‘, waren seine Worte. Da müssen wir auch nicht mehr viel überprüfen, augenscheinlich hat sich die Gangqualität verbessert.“
Davor steht allerdings erst der Probelauf: „Wir bieten eine 30-tägige Probeversorgung an. Die Informationsübertragung über vibrotaktile Aktuatoren am Stumpf ist sehr niederschwellig. User:innen erzählen uns, dass sie eigentlich wenig bis gar nichts spüren. Aber nach etwa zwei Wochen merken sie einen gravierenden Unterschied. Sie haben eine andere Körperhaltung, schauen nicht mehr so oft auf den Boden zum Prothesenfuß und einige berichten nach dieser Zeit auch von massiver Reduktion der Schmerzen.“
Stück für Stück ans Ziel
Nun ist es nicht ganz einfach, medizinische Produkte auf den Markt zu bringen – und Hardware, insbesondere Prothesen, schon gar nicht. Schultheis hat seine Erfahrungen gemacht – und warnt: „Blind verschiedenen Beratern, die in dem Moment der Gründung mehr Wissen als du selbst besitzen, zu vertrauen, kann ein Fehler sein. Das bringt nichts, bloß um vielleicht Meilensteine schneller zu erreichen. “ Wichtiger sei es, sich Stück für Stück zu entwickeln. So hat der Auftritt bei der #glaubandich-Challenge für Saphenus dazu geführt, ein Jahr später für den EIC Accelerator der Europäischen Kommission pitchen zu können. „Eine gute Probebühne also“, erinnert sich Schultheis zurück. Generell seien Wettbewerbe eine „tolle Gelegenheit, um junge Unternehmen in die Auslage zu stellen“.
Die Schraube aus Knochenmaterial
Ist etwa einem gebrochenen Bein noch operativ zu helfen, kommt Surgebright aus Oberösterreich ins Spiel. Jährlich werden in Österreich ca. 40.000 Osteosynthesen durchgeführt, heißt es vom Unternehmen, man versteht darunter eine Knochenverbindung. Bei der Osteosynthese werden die Bruchstücke mit Hilfe von Schrauben, Platten, Nägeln oder Drähten verbunden – oder mit der Shark Screw von Surgebright. Dabei handelt es sich um die „weltweit erste funktionierende humanbiologische Knochenschraube ihrer Art“.
„Der Vorteil ist, dass dieses humane Material als eigener Knochen erkannt wird und voll in den Knochen des Patienten integriert wird“, sagt Lukas Pastl, der in der Firma die Rolle des Geschäftsführers übernommen hat, während Bruder Thomas sich um den Vertrieb und ums Marketing kümmert. Gegründet wurde surgebright 2016 vom Oberhaupt der Familie, Klaus Pastl. Er suchte nach Alternativen zu Metallimplantaten, um Komplikationen und Metallentfernungen für Patient:innen zu vermeiden und entwickelte gemeinsam mit der TU Graz die „Shark Screw“.
Lizenzierte Gewebebank
Im Labor im oberösterreichischen Neulichtenberg werden die Knochenschrauben unter hohem Aufwand – sterile Umgebung, gefilterte Luft, etc. – aus Spenderknochen gefräst, in Deutschland werden sie von einer Partnerfirma sterilisiert. Surgebright ist eine lizenzierte Gewebebank, der es erlaubt ist, Humanmaterial zu verarbeiten. „Es gibt in Europa ein Netzwerk an Gewebebanken, wo auch wir integriert sind. Von dort beziehen wir unser Spendermaterial“, sagt Pastl. Aus einem Oberschenkelknochen lassen sich 50 bis 100 der Knochenschrauben herstellen.
Im Anschluss versorgt das Startup versorgt Ärzt:innen und Patient:innen mit den Schrauben.
Bis dato seien rund 1.400 der Knochenschrauben bei Operationen eingesetzt worden. In den nächsten Jahren will man wachsen: „Wir möchten weitere internationale Märkte, wie etwa Deutschland, erschließen“, erzählt Pastl. „Wir wollen möglichst viele Ärzt:innen und Patient:innen auf die Shark Screw aufmerksam machen, damit möglichst viele die bestmögliche Versorgung bekommen.“
Keine zweite Operation notwendig
Die sollen von den weiteren Vorteilen der Erfindung von Dr. Pastl profitieren: „Die mögliche Operation zur Metallentfernung und das Risiko einer zweiten Operation entfallen. Die Schraube wird zu ‚patienteneigenem‘Knochen, somit bleiben Patient:innen nach der Fusion der Knochenfragmente Jahrzehnte von Fremdkörpergefühl und Komplikationen verschont. Gleichzeitig ermöglicht es Shark Screw den Ärzt:innen, enorme Ressourcen für das Gesundheitssystem zu sparen.“
Geniales Produkt reicht nicht
Herausforderungen in den ersten gut sechs Jahren Firmenexistenz habe es zuhauf gegeben. Was rät die Geschäftsführung Junggründer:innen? Lukas Pastl: „Ich denke, viele Startups unterschätzen die Wichtigkeit des Vertriebs. Auch wir haben gedacht, dass es reicht, ein ‚geniales Produkt‘ anzubieten, da gehört leider viel mehr dazu. Ein zweiter Irrtum ist oft die Angst, dass jemand das Produkt oder die Idee nachmachen wird. Als Startup muss man möglichst vielen Leuten von der Idee erzählen und diese verbreiten.“ Und wenn alles klappt, bekommen Patient:innen fühlende Prothesen und Schrauben aus Knochen.
Text: Oliver Janko
Foto: David Visnjic / Surgebright
Diese Story stammt aus dem Gründer:innen-Guide 2022. Der ist hier kostenlos als Download abrufbar.