Scheiterkultur in China: Wie Unicorns das Ideal der „eisernen Reisschüssel“ verdrängen
China ist in den Startup-Rankings auf dem Vormarsch. China hat 2018 mit $30.9 Milliarden Venture-Capital-Investments Nordamerika in der Summe von investiertem VC-Kapital überholt. Die Summe an Investments steigt weiter und einige der erfolgreichsten Unicorns kommen aus dem Reich der Mitte. Beispielsweise Bytedance, mit $75 Milliarden Bewertung das wertvollste Startup der Welt, oder SenseTime, das global wertvollste AI-Startup. Doch wie überall auf der Welt sind unternehmerische Erfolgsgeschichten auch direkt mit Risiko, existentiellen Ängsten und Rückschlägen verbunden. In einem Land wie China, wo sich unternehmerisches Denken erst seit Beginn der Öffnung der Planwirtschaft 1978 entwickelt hat, ist die Kultur des Scheiterns in der Gesellschaft noch nicht ganz angekommen, hält jedoch langsam Einzug.
铁饭碗 („tie fan wan“) – Die eiserne Reisschüssel als kommunistisches Karriereziel
Traditionell haben in China vor allem Jobs in der Regierungspartei (Kommunistische Partei Chinas) und in öffentlichen Institutionen einen hohen Stellenwert. Aufgrund der langjährigen Ein-Kind-Politik fokussieren sich in der Erziehung insgesamt sechs Personen (vier Großeltern, Vater und Mutter) bis zum Erwachsen werden auf ein einziges Kind. Den Kindern wird von diesen zwei Generationen mitgegeben, dass ein Job für den Staat ein stabiles, risikoloses Einkommen verspricht und somit eine sichere Zukunft für die gesamte Familie. Diese versprochene Sicherheit im Job als Beamte spiegelt sich in der weit verbreiteten Redewendung 铁饭碗 („tie fan wan“) wieder, was „eiserne Reisschüssel“ bedeutet. Eine eiserne Reisschüssel kann schließlich nicht zerbrechen und verspricht stets gefüllte Mägen.
5,8 Mrd. Dollar für „Emerging Industries“ vom Staat
Der chinesischen Regierung ist allerdings bewusst, dass ein kultureller Wandel notwendig ist und Unternehmertum gefördert werden muss, um international kompetitiv zu sein. In der Reformpolitik wird daher seit einigen Jahren versucht, jungen Menschen die Angst vor dem Scheitern zu nehmen und das Gründen von Unternehmen attraktiver zu machen. Unter anderem stellt die Regierung viele Subventionen und Funds bereit, die Startups mit Geld versorgen, um den Unternehmern mehr finanzielle Stabilität zu ermöglichen. So wurde zum Beispiel 2015 ein Nationaler Venture-Capital-Fund für Emerging Industries in der Höhe von $5,8 Milliarden ins Leben gerufen.
中庸 („zhong yong“) – Der Konfuzianische Gedanke von Balance
In China haben die traditionellen Lehren des Konfuzius noch eine wichtige Bedeutung. Grundgedanke davon sind Balance und Harmonie im Handeln und im Leben. Obwohl Chinesen traditionell also Misserfolg vermeiden wollen und hohe Jobsicherheit bevorzugen, ist den Menschen bewusst, dass Erfolg und Scheitern Hand in Hand gehen und zu einer Balance im Leben führen. Insofern ist Scheitern ein Teil von Erfolg und Erfolg ohne Scheitern nicht vollkommene Balance. Gepaart mit dem Verständnis, dass in einer freien Marktwirtschaft höheres Risiko zu höherem Erfolg führen kann, wird vielen Chinesen klar, dass im Scheitern eine Chance liegt.
世上无难事,只怕有心人 („tiān xià wú nán shì , zhǐ pà yǒu xīn rén“) – Nichts ist schwierig, solange man den Willen hat
Ein Grund, dass vor allem junge Chinesen beginnen, mehr Risiko zu akzeptieren und Scheitern weniger zu fürchten, ist, dass sie Erfolgsgeschichten von Unternehmern wie Jack Ma hören. Jack Ma, der Gründer von Alibaba, hat vor seinem Werdegang als Unternehmer als Lehrer gearbeitet. Nachdem in China auch trotz wachsender Mittelschicht ein großer Teil der Gesellschaft weiterhin wenig zu verlieren hat, wird das Risiko zu Scheitern eingegangen, um den großen Traum vom Reichtum zu realisieren. Die jüngere Generation, die nicht mehr in der geschlossenen Marktwirtschaft aufwächst, hat Träume und ist optimistisch, diese erreichen zu können.
Eine chinesische Weisheit besagt, dass nichts in der Welt zu schwer ist, solange man es wirklich will. In diesem Sinne hält eine Kultur des Scheiterns als Mutter des finanziellen Erfolgs langsam Einzug. Vielleicht wird in einigen Jahren ja eine Redewendung einer goldenen Reisschüssel der Unternehmer die alte eiserne Reisschüssel der Beamten ersetzen.
Über den Autor
Gerald Pollak schließt derzeit einen Global Master in Management Doppelabschluss an der London Business School und der Fudan University Shanghai ab, ist Mitgründer von www.chinatechblog.org und hat in Österreich während und vor seinem Studium bei Apple und Speedinvest Erfahrung im Tech und VC Bereich gesammelt.