Gastbeitrag

Serienreife statt Showeffekt: Warum Europas Raumfahrt jetzt skalieren muss

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Der erste Testflug der Spectrum-Rakete von Isar Aerospace war ein technisches Ausrufezeichen für Europas New-Space-Szene. Ein sauberer Start, 30 Sekunden Flugzeit, ein Feuerball über dem Nordmeer. Für Isar Aerospace ein technischer Erfolg. Für Europa ein Symbol: Wir können Raketen starten. Aber der wahre Test liegt woanders – in der Wiederholung.

Denn der nächste Flug entscheidet. Und der übernächste. Nicht in Jahren, sondern in Monaten. Die große Frage lautet: Wie kann Europa Raketen nicht nur entwickeln, sondern zuverlässig in Serie produzieren? Mit industrieller Effizienz, technologischer Exzellenz – und geopolitischer Konsequenz.

Europas Raumfahrt vor dem nächsten Level

Europas Souveränität im All entscheidet sich nämlich nicht an der Startrampe, sondern in der Produktionshalle. Denn wer eigene Satellitenkonstellationen für Kommunikation, Navigation oder Verteidigung betreiben will, benötigt verlässliche Trägersysteme – nicht punktuell, sondern dauerhaft verfügbar. Bislang dominiert in Europa das Denken in Projekten, weniger in Serienfertigung. Doch die geopolitische Lage und die wirtschaftliche Bedeutung des Orbits machen klar: Ein nachhaltiges Raumfahrtangebot erfordert industrielle Reproduzierbarkeit. Nur wer regelmäßig starten kann, bleibt unabhängig – von internationalen Partnern, politischen Spannungen und logistischen Engpässen.

Geschwindigkeit ist zur strategischen Frage geworden

In der europäischen Luft- und Raumfahrt zeigt sich deutlich: Technologische Pionierarbeit reicht allein nicht mehr aus. Entscheidend ist jetzt die Fähigkeit, diese Innovation auch in eine stabile, belastbare Produktionsstruktur zu überführen. Der Engpass liegt nicht bei der Rakete an sich – sondern bei der Fähigkeit, sie mehrfach, zuverlässig und mit gleichbleibender Qualität zu bauen.

Start-ups wie Isar Aerospace, RFA oder PLD Space stehen unter starkem Erwartungsdruck: Sie sollen in kurzer Zeit funktionierende Trägersysteme entwickeln, testen und serienreif machen. Doch zwischen erfolgreichem Prototyp und industrieller Fertigung klafft eine Lücke, die sich nicht mit Improvisation schließen lässt. Es braucht Prozesse, die Entwicklung, Fertigung, Test, Zertifizierung und Betrieb lückenlos miteinander verbinden. Genau hier kommt der sogenannte „Digital Thread“ ins Spiel – ein durchgehender Datenfluss, der alle technischen und organisatorischen Schritte digital miteinander verknüpft. Wird zum Beispiel ein Softwaremodul geändert, sind die Auswirkungen auf Steuerung, Sicherheitssysteme und Zulassungsanforderungen sofort nachvollziehbar. Ein Strukturbauteil kann mit Materialdaten, Produktionsverfahren, Simulationsergebnissen und Prüfberichten verknüpft werden – alles digital dokumentiert, auditierbar und rückverfolgbar.

So lassen sich etwa Konfigurationsänderungen nicht nur schneller umsetzen, sondern auch regulatorisch absichern. Genehmigungen werden beschleunigt, weil Behörden nicht mehr Dutzende manuelle Dokumente prüfen müssen, sondern Zugriff auf valide Echtzeitdaten haben. Und auch der Betrieb profitiert: Wartungsdaten fließen zurück in die Entwicklung, Fehlerquellen können frühzeitig erkannt und behoben werden – noch bevor sie zu Problemen im Feld führen. Ohne diese digitale Grundlage bleibt jede Skalierung ein Risiko.

Erfahrungen aus der Luftfahrt nutzen

Ein oft genannter Vergleich für die aktuellen Herausforderungen der europäischen Raumfahrt ist die militärische Luftfahrt. Tatsächlich gibt es hier strukturelle Parallelen: komplexe, sicherheitskritische Systeme, ein hoher Integrationsaufwand zwischen Software, Elektronik und Mechanik – und der Anspruch, all das über internationale Partner hinweg beherrschbar zu machen. Doch die Erfahrungen aus europäischen Rüstungsprojekten wie dem A400M oder dem Eurofighter zeigen auch: Diese Projekte waren oft geprägt von Verzögerungen, Budgetüberschreitungen und eingeschränkter Einsatzfähigkeit.

Für die Raumfahrt kann und sollte daraus gelernt werden. Nicht im Sinne einer eins-zu-eins-Übertragung der Strukturen, sondern durch die Übernahme erprobter technischer Prinzipien. Dazu gehört insbesondere ein konsequentes Konfigurations- und Schnittstellenmanagement, das Änderungen an Systemkomponenten nachvollziehbar macht – auch über Jahre und mehrere Zulassungszyklen hinweg. Ebenso wichtig sind modellbasierte Entwicklungsprozesse, die bereits in der Konzeptphase alle technischen Disziplinen zusammenführen. Und schließlich braucht es digitale Produktmodelle, die alle relevanten Daten entlang des gesamten Lebenszyklus integrieren – von der Entwicklung über die Fertigung bis hin zur Wartung.

Der entscheidende Unterschied zur militärischen Luftfahrt: Die europäische New-Space-Szene hat die Chance, von Beginn an digital und interoperabel zu arbeiten – ohne historisch gewachsene Altlasten. Genau das macht die Raumfahrtindustrie zu einem potenziellen Vorreiter für eine neue Form der sicherheitskritischen, hochregulierten Hochtechnologieproduktion in Europa. Wenn Skalierung und Qualität von Anfang an zusammengedacht werden, kann Europa nicht nur technologisch mithalten – sondern strukturell besser aufgestellt sein als viele bestehende Systeme.

Europas Raumfahrtökosystem skalierfähig machen

Will Europa im Raumfahrtsektor eine dauerhafte Rolle spielen, muss das Ökosystem entlang der gesamten Wertschöpfungskette auf Skalierung ausgerichtet werden – nicht abstrakt, sondern ganz konkret:

  • Start-ups wie Isar Aerospace brauchen frühzeitig Zugang zu skalierbaren Entwicklungs- und Fertigungssystemen, etwa durch modellbasiertes Systems Engineering, automatisiertes Anforderungsmanagement und vollständig rückverfolgbare Konfigurationen.
  • Zulieferer – beispielsweise Unternehmen wie Peak Technology, die Drucktanks für Raketenstufen liefern – müssen in digitale Lieferketten eingebunden werden. Dazu gehören standardisierte Schnittstellen, klare Datenformate und die Möglichkeit zur Qualitätssicherung über gemeinsame Plattformen.
  • Zertifizierungsbehörden benötigen Zugriff auf Echtzeitdaten aus Simulation, Test und Betrieb, um Genehmigungsprozesse zu beschleunigen – insbesondere bei wiederverwendbaren Systemen. Der digitale Zwilling wird hier zum Beschleuniger, nicht zum Selbstzweck.
  • Investoren und Fördergeber sollten ihre Kriterien erweitern: Neben Technologie-Reife zählt auch die Produktionsreife – also die Fähigkeit, ein Produkt nicht nur zu demonstrieren, sondern skaliert in Serie zu bringen.

Diese vier Hebel entscheiden, ob Europa in der Lage ist, mehr als nur einen erfolgreichen Start zu feiern – nämlich ein nachhaltiges, wettbewerbsfähiges Raumfahrtangebot zu etablieren.

Fazit: Europas Raumfahrt muss jetzt industriell denken

Der erfolgreiche Testflug der Spectrum war ein sichtbares Signal. Doch die eigentliche Herausforderung beginnt jetzt: aus einem Einzelereignis eine skalierbare Serie zu entwickeln. Dazu braucht es keine Raketenwissenschaft, sondern industrielle Exzellenz – in der Fertigung, im Engineering und in der regulatorischen Umsetzung.

Digitale Durchgängigkeit, vernetzte Entwicklungsprozesse und ein belastbares Ökosystem sind der Schlüssel. Europa hat die einzelnen Komponenten – jetzt müssen sie systematisch zusammengeführt werden.

Über den Autor: Marc Rivière ist Strategic Advisor Aerospace & Defense bei PTC, mit über 20 Jahren Erfahrung in der militärischen Luftfahrt, unter anderem als Programmleiter des A400M bei der französischen Luftwaffe. Heute unterstützt er internationale Luft- und Raumfahrtunternehmen bei der digitalen Transformation komplexer Systeme.

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