Shell und Nestlé pfeifen auf CO2-Gutschriften. Das sagt einiges über CO2-Gutschriften.
Der Ölkonzern Shell hat seine Pläne für den Einsatz von CO2-Gutschriften, die von Umweltprojekten kommen und zur Kompensation der CO2-Emissionen dienen, vorerst eingestellt. Der neue CEO, Wael Sawan, präsentierte im Juni eine aktualisierte Strategie, in der er Kostenreduktionen und eine verstärkte Fokussierung auf profitablere Bereiche wie Öl und Gas ankündigte.
Dabei fiel Beobachter:innen schon auf, dass er keine Erwähnung der zuvor angekündigten Investition von bis zu 100 Millionen US-Dollar pro Jahr für den Aufbau eines Carbon-Credit-Portfolios machte. Dieses war eigentlich Teil des Unternehmensversprechens, seine Emissionen bis 2050 auf null zu reduzieren. Der Ölkonzern hatte im Juni seine Klimaziele insgesamt abgeschwächt und seine Pläne aufgegeben, bis 2030 jährlich bis zu 120 Millionen Dollar Natur-Offsets zu kaufen.
CO2-Zertifikate werden (noch) im großen Stil gehandelt. Sie funktionieren in etwa so: In einem Stück landet wird (theoretisch) die Menge X an Co2 gebunden; Konzern Y bezahlt dafür, und kann sich X von seinen eigenen CO2-Emissionen abziehen. Allerdings sind unter anderem Verra, die weltweit führende Organisation für CO2-Zertifikate, und vor allem seine REDD+-Projekte in Verruf gekommen. Der britische Guardian und Die Zeit recherchierten, dass die meisten auf Waldschutzprojekten basierenden CO2-Zertifikate „weitgehend wertlos“ seien. Verra musste dann ankündigen, dass die Bewertung der REDD+-Projekte überarbeitet werden müsse.
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Shell ist damit das jüngste Unternehmen, das sich von Carbon Credits zurückzieht, da eben Bedenken aufgekommen sind, dass viele von ihnen keinen Nutzen im Kampf gegen den Klimawandel haben. Auch der Carbon Trust hat sein Label „CO2-neutral“ aufgrund von Offsetting eingestellt. Shell schließt sich anderen Unternehmen wie Gucci, Leon und Nestlé an, die sich von CO2-Gutschriften bereits distanzierten. Es gibt immer wieder Hinweise darauf, dass eine große Anzahl von dieser CO2-Zertifikate keinen Beitrag zur Minderung der globalen Erwärmung leistet.
Shell betonte, dass das Unternehmen weiterhin Carbon Credits unterstützt und Bemühungen zur Verbesserung ihrer Qualität begrüßt. Der Carbon Trust, eine führende Umweltzertifizierung, hat ebenfalls sein Label „CO2-neutral“ aufgrund von Offsetting eingestellt. Ein Direktor des Trusts räumte ein, dass Konsument:innen aufgrund minderwertiger Gutschriften möglicherweise irreführend informiert wurden. Auch europäische Scale-ups, die sich Nachhaltigkeit auf die Fahnen schrieben, wurden schon dabei erwischt, sich mittels CO2-Gutschriften von Waldprojekten schönzurechnen (Trending Topics berichtete).
Der Markt für Carbon Credits ist eigentlich stark im Wachsen begriffen. Die African Carbon Markets Initiative etwa hat kürzlich angekündigt, dass sie davon ausgehe, bis 2030 sechs Milliarden Dollar durch den Verkauf von CO2-Zertifikaten zu erzielen – und bis 2050 sogar mehr als 70 Milliarden Dollar. Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) haben bereits zugesagt, dass sie Carbon Credits von Afrika im Wert von 450 Mio. Dollar kaufen würden. Durch die Ereignisse rund um Verra, Shell oder Nestlé aber werden sich immer mehr die Frage über den Wert dieser CO2-Gutschriften stellen – und mehr Transparenz einfordern.
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