Silicon Valley kämpft gegen den Super-GAU
Es ist ein Stoß ins Herz der Startup-Industrie, der das Potenzial hat, tausende Startups und hunderte VC-Fonds zu zerstören: Der Kollaps der Silicon Valley Bank (SVB) diese Woche innerhalb von nur 48 Stunden hat Schockwellen durch die Startup-Industrie nicht nur der USA, sondern der ganzen Welt geschickt. Denn mit Tochtergesellschaften in Großbritannien, Deutschland, Kanada, Indien, China (über das Joint Venture SPD Silicon Valley Bank Co), Israel, Schweden oder Dänemark ist die „Hausbank“ der Startup-Branche in zahlreichen Märkten vertreten. Die UK-Tochter wurde bereits ebenfalls in Insolvenz geschickt, am Montag droht ein Kaskaden-Effekt der Sonderklasse.
Startup-Gründerinnen und Internet-Unternehmer:innen auch aus Österreich, die mit Trending Topics gesprochen haben, sind von dem Crash der SVB (alle Details hier) betroffen. Insgesamt könnten es mehr als 35.000 Unternehmenskunden (meistens Startup aus dem Tech- und Life-Sciences-Bereich) und mehr als 2.600 VC- und PE-Firmen weltweit sein, die von dem SVB-Kollaps betroffen sind. Die große Frage, die sich stellt: Nach dem Bankrun, bei dem alleine am Donnerstag 42 Milliarden Dollar in einer Welle der Panik von der Bank abgezogen wurden, ist die große Frage: Wie viel der Einlagen in Höhe von ca. 175,4 Mrd. Dollar, die die SVB mit Ende 2022 hatte, sind noch da? Und wer wird mit wie viel bedient?
Die Sachlage am Sonntag ist jene: Die zuständige Finanzbehörde California Department of Financial Protection and Innovation (CFPI) hat bestätigt, dass Einlagen bis zu 250.000 Dollar (in UK sind es nur etwa 100.000 Dollar) besichert sind. Alles darüber hinaus ist komplett ungewiss. Würde eine andere Bank (denkbar wäre eine Übernahme durch eine der US-Großbanken wie JPMorgan, Bank of America, Wells Fargo, Morgan Stanley und Co.) die SVB kaufen, könnte sich die Lage schnell entspannen. Ansonsten müsste die US-Regierung einen Rettungsschirm („Bailout“) spannen – mit der großen Anschlussfrage, wie viele Milliarden man den Steuerzahler:innen zur Rettung der Tech-Firmen und VC-Fonds zumuten würde.
Kollaps der Silicon Valley Bank kann tausende Startup-Tode nach sich ziehen
Rettungsschirme für Startups gefordert
Aktuell müssen Startup-Gründer:innen (auch wenn es Hoffnungsschimmer gibt, mehr dazu unten) vom Schlimmsten ausgehen. Für viele stellt sich folgende Situation dar: Sie haben entweder Teile oder das gesamte Cash des Startups bei der SVB eingelegt und bekommen dort derzeit keinen Cent heraus. Zwar hat die CFPI bekannt gegeben, dass es demnächst Dividendenzahlungen geben wird, aber die sind eher für kurzfristige Liquidität gedacht, damit die Firmen Gehälter, Mieten, Services (Cloud!) und Co. bezahlen können. „Fast 40.000 aller Einleger bei der Silicon Valley Bank waren Kleinunternehmen. Wenn nicht schnell gehandelt wird, könnten bald über 100.000 Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren“, rechnet die startup-Schmiede Y Combinator vor.
Etwa 3.500 CEOs und Gründer:innen, die über 200.000 Mitarbeiter:innen vertreten, haben am Wochenende in einer Petition US-Finanzministerin Janet Yellen aufgefordert, kleiner Unternehmenskunden der Silicon Valley Bank zu entschädigen. „Die Aufsichtsbehörden müssen eine Sicherung der Einleger durchführen. Wir bitten nicht um eine Bankenrettung“, heißt es in den Schreiben. Gefordert werden Staatsgarantien. Dem Vernehmen nach erwägen US-Regulierungsbehörden einen Notfall-Fonds. Auch die britische Regierung ist aktiv geworden und soll bereits ein Hilfspaket für betroffene Kunden der UK-Tochter schnüren.
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„Katastrophenstimmung im Valley“
„Wir haben das meiste von unserem Kapital bei der SVB, aber zumindest noch ein paar Monate Runway auf einer anderen Bank“, berichtet ein Founder aus dem Silicon Valley. „Das bedeutet, dass wir jetzt eventuell raus raisen müssen, und zu wahrscheinlich schlechten Terms. Das wollten wir eigentlich vermeiden, weil die Zeiten für Fundraising ohnehin nicht super sind.“ Es sei „Katastrophenstimmung“ im Silicon Valley, das Wochenende mit Krisensitzungen voll.
Ein Beispiel: Kommt ein Startup nur mehr an 50 Prozent des Cashs heran, dann halbiert sich der Runway von einem Tag auf den anderen. Hätte man bisher mit 12 Monaten Runway gerechnet, sind es plötzlich nur mehr 6 Monate. Da Finanzierungsrunden oft sechs oder mehr Monate dauern können, bedeutet dass, das man eigentlich ab sofort wieder im Funraising-Modus ist, mit allen Implikationen. Das Tagesgeschäft leidet, weil die Founder plötzlich wieder mit Investorengesprächen beschäftigt sind, und ihre Verhandlungsposition ist schwach, weil sie ihre Geschäftsziele (Umsatz, Wachstum usw.) wohl noch nicht erreicht haben – immerhin waren ja bisher viel mehr Monate geplant.
Bekannte Startups, Scale-ups und Tech-Firmen, die Geld bei der SVB haben, sind:
- Circle Financial (3,3 Mrd. Dollar)
- Roku (487 Mio. Dollar)
- Roblox (150 Mio. Dollar)
- Sangamo Therapeutics (34,4 Mio. Dollar)
- Rocket Lab USA (38 Mio. Dollar)
- Ambarella (17. Mio. Dollar)
- Oncorus (10 Mio. Dollar)
- Eiger Biopharmaceuticals (8,3 Mio. Dollar)
- Coupons.com (400.000 Dollar)
- Etsy (tba.)
- Compass Coffee (tba.)
- Slumberkins (tba.)
In dieser Situation, die durch Wirtschafts- und Energiekrise ohnehin schon nicht leicht ist, treffen derart angeschlagene Startups dann auch VCs, die selbst in der Bredouille sitzen und ebenfalls nicht oder teilweise nicht an ihr Geld herankommen. Es kursieren angeblich bereits Listen von Venture-Capital-Firmen in der Branche, die das Ausmaß verraten – das hätte „Super-GAU-Dimension“, sagt ein Eingeweihter zu Trending Topics. Wie tödlich der SVB-Crash für die VC-Branche sein kann, zeigt die Masse an Investoren, die sich für die Rettung der Bank zusammen geschlossen haben.
VCs hoffen auf Verkauf der Bank
„Sollte die SVB aufgekauft und angemessen kapitalisiert werden, würden wir dies nachdrücklich unterstützen und unsere Portfoliounternehmen ermutigen, ihre Bankbeziehung mit der SVB wieder aufzunehmen“, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme von Accel, Altimeter Capital, B Capital Group, General Catalyst, Gil Capital, Greylock Partners, Khosla Ventures, Kleiner Perkins, Lightspeed Venture Partners, Mayfield Fund, Redpoint Ventures, Ribbit Capital und Upfront Ventures. Insgesamt sollen bereits mehr als 125 VC- und PE-Firmen sich der Initiative angeschlossen haben. Die Botschaft ist klar: Wer die SVB kauft, wird künftig viel Geschäft mit uns machen können. „Vierzig Jahre lang war die SVB eine wichtige Plattform, die eine zentrale Rolle bei der Unterstützung der Startup-Community und der Innovationswirtschaft in den USA gespielt hat.
Die Ereignisse der letzten 48 Stunden sind zutiefst enttäuschend und besorgniserregend.“
Der schale Beigeschmack dieser Stellungnahme: VCs sind Mitschuld am Kollaps der Bank, weil einige Investoren ihre Portfolio-Startups angewiesen haben, Gelder von SVB abzuziehen. Bekannt ist, dass der Founders Fund von Peter Thiel, Greenoaks oder die Krypto-Fonds Mechanism Capital und Eden Block ihre Startups aufgefordert haben, Einlagen abzuziehen. Damit haben sie den Bankrun befeuert.
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Bankenrettung gar nicht so unwahrscheinlich
In Krisensitzungen, die US-Finanzministerin Yellen einberufen hat, wird aktuell erörtert, wie und ob die SVB gerettet werden kann. Geladen dazu wurden Vertreter:innen der Federal Reserve, der Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC), und des Office of the Comptroller of the Currency. Man habe großes Vertrauen in die Behörden, dass sie die Situation meistern würden. Das Bankensystem würde „widerstandsfähig“ bleiben, und „die Aufsichtsbehörden verfügen über wirksame Instrumente, um diese Art von Ereignissen zu bewältigen“, heißt es seitens Yellen. Die US-Notenbank Fed hat am morgigen Montag eine Sitzung unter Ausschluss der Öffentlichkeit angekündigt.
Am Wochenende ist die FDIC bereits damit beschäftigt, Assets der SVB zu verkaufen. Aktuell sind verschiedene Zahlen am Markt zu hören. Bloomberg berichtet davon, dass zwischen 30 und 50 Prozent der nicht versicherten Einlagen gerettet werden können, Marktgerüchte sprechen sogar von bis zu 70 Prozent. Was aber derzeit schwierig aussieht, ist, dass Firmen 100 Prozent des Geldes zurück bekommen werden – das würde einen Käufer bedingen, der alle Verbindlichkeiten der SVB übernimmt. Damit könnte sich der Runway für Startups deutlich verkürzen.
Die Vergangenheit zeigt übrigens, dass es seit 2000 ganze 562 Bankpleiten in den USA gab. Die SVB mit einer Bilanz von 209 Mrd. Dollar ist dabei nach der Pleite der Washington Mutual 2008 mit einer Bilanz von damals 307 Mrd. Dollar allerdings der zweit größte Crash seither. Die FDIC veranstaltete für die Washington Mutual eine geheime Auktion, die von JP Morgan Chase gewonnen wurde. Das bedeutete damals, dass die Kontoinhaber die FDIC-Versicherung (max 250.000 Dollar) nicht in Anspruch zu nehmen mussten, sie konnten dann sofort wieder über ihre Ersparnisse verfügen.
Statistiken der FDIC zeigen, dass in 91 Prozent der Fälle von Bankpleiten diese von anderen Banken aufgekauft werden. Der bekannteste Fall einer Bankenpleite, Lehman Brothers, war deswegen so tragisch, weil damals im Jahr 2008 von der Bush-Regierung bereits drei große Banken (Bear Stearns, Fannie Mae und Freddie Mac) gerettet worden waren, und dann keine weiteren Milliarden zur Rettung bereitgestellt wurden. Die britische Barclays-Bank sagte einen Kauf von Lehman Brothers damals ab.