Smatrics-Chef über den Trend zur Elektromobilität: „Diesel-Gate war nur der Brandbeschleuniger“
Mit mehr als 400 Ladepunkten in Österreich hat die Firma Smatrics ein Netz aufgebaut, dass es Elektroautofahrern erlaubt, alle 60 KilometerCO2-freien Strom aus Wasserkraft zu laden. Noch dieses Jahr will Geschäftsführer Michael-Viktor Fischer die erste 350-kW-Ladestation im Land errichten, mit der man Strom für bis zu 400 Kilometer in zehn Minuten tanken kann. Im April 2017 ist die OMV mit 40 Prozent bei Smatrics eingestiegen (Trending Topics berichtete).
Im Interview mit Trending Topics spricht Fischer über die Pläne der Firma, wie man das Laden zu Hause ermöglichen will, ob viele Elektroautos das Stromnetz überlasten könnten und wie sich Diesel-Gate auf die Strategien der Autohersteller ausgewirkt hat.
Trending Topics: Die OMV hat sich dieses Jahr bei Smatrics mit 40 Prozent beteiligt. Wie kam der Deal zustande?
Michael-Viktor Fischer: Die OMV ist das größte Unternehmen Österreichs und verfügt über ein sehr großes Tankstellen-Netzwerk. Ich finde es sehr bemerkenswert, dass ein Ölkonzern in den Bereich Elektromobilität investiert und offen für alternative Antriebsformen ist. Es ist eine Auszeichnung, dass sie sich für uns als Marktführer entschieden haben, aber sie hätten es natürlich auch selber machen oder in einen Mitbewerber investieren können. Die OMV rechnet mit rund 30 Prozent Elektromobilität im Jahr 2030, und so kann sie sich diesem mittelfristig wichtigen Mobilitätsfeld öffnen. Die OMV hat mehr als 2.000 Tankstellen, das ist für uns natürlich sehr interessant.
Ist es geplant, die Smatrics-Ladesäulen an all diesen Standorten auszurollen?
Fischer: Wir haben gerade eine in Budapest eröffnet, in Österreich haben wir elf Tankstellen der OMV ausgerüstet. Das werden Schritt für Schritt mehr werden. Smatrics hat eines der dichtesten Netze in Europa, wobei man da auch dazusagen muss, dass das in einem kleinen Land wie Österreich einfacher ist als wie in Flächenländern wie Deutschland, Frankreich oder Spanien.
Es gibt bei Konsumenten immer noch die Reichweitenangst. Ist die berechtigt?
Fischer: Wir haben maximal alle 60 Kilometer eine Ladestation, also da kann man sich in Österreich schon frei bewegen. Und das ist ja nur das Smatrics-Netz, dazwischen gibt es ja auch Ladestationen von anderen Anbietern. Bei den schnellen Ladestationen haben wir mit Abstand die meisten. Natürlich muss das Netz noch ausgebaut werden, aber für eine Basisabdeckung ist es gut genug.
Das Netz ist das eine, das andere sind die Kapazitäten der Akkus in den Autos.
Fischer: Vor fünf Jahren konnte ein E-Auto 100 Kilometer fahren, jetzt sind wir, wenn wir bei den bezahlbaren Autos wie dem Renault Zoe bleiben, bei 320 Kilometer, bei Tesla an die 500 Kilometer. 2018 und 2019 kommen viele Autos, die 500 und mehr Kilometer kommen, das ist nur eine Frage der Zeit.
Smatrics hat sich auf Schnelllade-Stationen im öffentlichen Bereich spezialisiert. Wie schnell sind die Stationen
Fischer: Unser Netz teilt sind in 50kW- und 22kW-Stationen. Wir planen, dieses Jahr noch mit 350-kW-Stationen zu beginnen, das ist das schnellste, was es derzeit gibt. Da kann man theoretisch Strom für bis zu 400 Kilometer in zehn Minuten laden, sofern die Batterie das schafft.
Wenn ich heute bei Smatrics tanke, bekomme ich da 100 Prozent grünen Strom?
Fischer: Wir haben zu 100 Prozent Strom aus Wasserkraft. Alles andere konterkariert das Thema. Wir kaufen nur sauberen Strom, und dadurch erhöhen wir den Druck auf jene, die keinen sauberen Strom produzieren.
In Zukunft werden E-Auto-Besitzer viel zu Hause oder am Arbeitsplatz langsam laden. Wie erreichen sie diese Kundschaft?
Fischer: Wir sind mit den Schnellladern im öffentlichen Bereich sehr sichtbar, aber Sie haben recht, 80 Prozent der Ladevorgänge werden zu Hause oder in der Firma stattfinden. Wir bieten Privat- als auch Firmenkunden unter dem Titel “Managed Infrastructure” Dienstleistungen für die unterschiedlichsten Anforderungen an. Hotels haben andere Anforderungen als Skilifte, Gemeinden oder Firmen mit größeren Fuhrparks. Wir bieten die Infrastruktur und die Management-Tools dafür an.
Ein Trend beim Laden heißt Induktion – wird das kommen?
Fischer: Naja, zu Hause oder in der Arbeit wird man eher langsam laden – und günstiger. Eine Schnellladestation mit 350 kW kostet eben mehr als ein Schuko-Stecker. Diese Ladestationen zu Hause werden künftig induktiv sein, das Auto wird kabellos über eine Bodenplatte geladen. Kabel sind Festnetztelefonie, Induktion ist Smartphone-Zeitalter, wenn sie so wollen.
Bei der Induktion fehlt allerdings ein Standard, auf den sich alle Autohersteller einigen müssten.
Fischer: Ja, BMW und Mercedes haben sich auf einen geeinigt, VW ist wieder anders unterwegs. Das hat sicher alles gute Gründe. Aber es muss eine Standardisierung geben, und das ist die Aufgabe der EU. Das funktioniert nur dann, wenn alle die gleiche Technologie verwenden.
Werden Elektroautos das Stromnetz überfordern, wenn alle gleichzeitig zu laden beginnen?
Fischer: Nein. Würden wir alle 4,8 Millionen Autos in Österreich zu Elektroautos machen, würden diese zusammen rund 9 Terawattstunden Strom pro Jahr. Österreich verbraucht heute etwa 70 Terawattstunden. ich bin ein Optimist, aber es braucht mindestens 30 Jahre, bis alle Autos elektrisch sind. Das bedeutet: Wir haben 30 Jahre Zeit, 12,5 Prozent unseres Stroms einzusparen, den dann die Elektroautos brauchen werden. Außerdem hat Elektromobilität ein tolles Abfallprodukt: den Stromspeicher.
Wie meinen Sie das?
Fischer: Die Menschen werden sich den Strom über Photovoltaikanlagen großteils selber produzieren und bei uns die Infrastruktur, also etwa die Wallbox, kaufen. Solarenergie wird man in Zukunft mit Folien produzieren können, jedes Dach, jedes Fenster, jede Hausfassade kann damit überzogen werden. Auch in einem Zinshaus kann es einen Stromspeicher geben.
Wo werden Menschen, die in der Stadt am Straßenrand parken, ihre E-Autos laden?
Fischer: Da gibt es zwei Ansätze. Der eine ist sehr ähnlich zu heute. Da das Strom laden der Zukunft nicht viel länger als Sprit tanken dauern wird, kann man auch zur OMV fahren und dort in wenigen Minuten Strom laden. Der andere, ergänzende Ansatz ist, dass in Zukunft auch alle öffentlichen Parkplätze eine induktive Ladestation eingebaut haben. Das ist wichtig für die Energiewende. Nur wenn man viele Autos am Netz hat, dann kann man Strom auch wieder aus den Autos herausholen. Netzbetreiber geben heute viel Geld für Netzstabilisierungsmaßnahmen aus, etwa, wenn sie schnell zu Spitzenzeiten ein kalorisches Kraftwerk hochfahren müssen. In Zukunft wird man das nicht mehr wollen oder dürfen. Erneuerbare Energiequellen sind von Natur aus nicht steuerbar. Die Donau produziert in der Nacht gleich viel Strom wie am Tag, der Wind weht, wann er will und die Sonne scheint auch nicht immer. Regenerative Energie ist also nicht so leicht steuerbar. Deswegen braucht man Speicher. Die Batterien der Autos sind solche Speicher, und dazu müssen sie mit dem Netz verbunden sein. Fahrzeuge stehen ohnehin 23 Stunden am Tag herum. Nur so kann die Energiewende gelingen ohne fossile Treibstoffe. Die Kunden werden dann entscheiden können, ob sie den Strom in ihren Autos ans Netz zurück verkaufen.
E-Auto-Besitzer werden also zu Stromhändlern.
Fischer: Ja, Elektroautobesitzer werden zu Prosumer.
In Österreich gibt es mit Stand September 14.200 reine elektrische PKW. Was braucht es, damit Elektromobilität zum Massenmarkt wird? Teslas Model 3?
Fischer: Zwei Dinge. Das eine ist die Reichweite, wir brauchen echte 500 Kilometer. Der Durchschnittsbürger fährt pro Tag 34 Kilometer und einige Male im Jahr etwa 500 Kilometer. Das ist eine wichtige psychologische Marke. Das andere ist die Verfügbarkeit. Für Langstrecken kann man heute zwischen einem Tesla S und einem Tesla X auswählen. Das wird sich spätestens 2019 ändern. Wir brauchen also mehr Reichweite und viel mehr Modellvielfalt bei den Fahrzeugen. Es sind sehr viele neue Autos sind in der Entwicklungs-Pipeline. 2018 kommen etwa Audi oder Hyundai mit Fahrzeugen von 500 Kilometer Reichweite.
Was hat Sie davon überzeugt, auf Elektromobilität zu setzen?
Fischer: Smatrics gibt es seit 2012, wir haben gerade fünfjährigen Geburtstag gefeiert. Für mich war es damals glasklar, dass Elektromobilität kommt, und es gibt einen Grund, warum Siemens und Verbund früh bei uns eingestiegen sind. Es gibt die so genannte 95-Gramm-Regelung. Die besagt, dass der Flottenverbrauch aller Autos 2021 im Durchschnitt nicht mehr als 95 Gramm CO2 pro Kilometer emittieren dürfe. Es war klar, dass man alternative Antriebe braucht, um dieses Ziel zu erreichen.
Warum kommen die Autohersteller dann erst jetzt, im Zuge von Diesel-Gate, mit ihren E-Strategien daher?
Fischer: Diesel-Gate war nur der Brandbeschleuniger des ganzen. Die Berechnungsmethoden für diese 95-Gramm-Regelung wurden nachgeschärft bzw. wird jetzt viel genauer hingeschaut. Das hat den Druck drastisch erhöht. Jeder hatte die Elektromobilität voll am Radar, aber die Autobranche spricht ungerne über ungelegte Eier, weil sie Angst hat, die aktuellen Modelle nicht verkaufen zu können. Die Automobilbranche ist ziemlich langsam, die Entwicklung eines neuen Autos dauert fünf Jahre. Das bedeutet, dass heute Autos entwickelt werden, die 2022, 2023 auf den Markt kommen. Der Lebenszyklus eines Modells ist sieben Jahre, es wird dann also bis 2030 produziert. Und fahren wird es bis 2040. Dafür ist diese Branche auch sehr gut kalkulierbar.