„Project Panther“: Als Wirecard die Deutsche Bank kaufen wollte – und dadurch alles auslöste
Die Financial Times zeichnet die letzten Monate von Wirecard nach – und dabei ein verheerendes Bild der Vorstände, aber auch der überprüfenden Institutionen. So soll unter dem Codenamen „Project Panther“ sogar angedacht worden sein, die Deutsche Bank zu übernehmen.
In einer 40-seitigen Präsentation im vergangenen November hätten die Berater darauf bestanden, dass die neue Bank (aus dem Zusammenschluss der Deutschen Bank und Wirecard) „wie eine Fintech-Bank in der Größenordnung einer globalen Bank denken und handeln“ würde. Der Name sollte „Wirebank“ lauten. Bis 2025 könne sie sechs Milliarden Euro an zusätzlichem Gewinn erwirtschaften, behauptete McKinsey. Das Beratungsunternehmen hatte Markus Braun beauftragt, die Übernahme vorzubereiten.
Wirecard: Verdoppelung des Börsenwerts
Der McKinsey-Bericht versprach laut der FT eine Verdoppelung der gemeinsamen Börsenbewertung auf knapp 50 Milliarden Euro. Neben dem Imagegewinn hätte der Deal aber auch einen anderen Hintergrund gehabt: Er bot die Aussicht auf einen Ausstieg aus dem massiven Betrug, den Wirecard betrieben hatte. Rund 1,9 Milliarden Euro Bargeld fehlten auf den Konten des Unternehmen und große Teile der Geschäfte in Asien waren in Wirklichkeit Schwindel, wie wir mittlerweile wissen. Durch die Einbettung des Wirecard-Geschäfts in die riesige Bilanz der Deutschen Bank hätte es theoretisch möglich sein können, das fehlende Bargeld, die falschen Bilanzen, irgendwie zu verstecken und alles später mit der Fusion zu erklären.
Langwierige Spurensuche
So gut der Plan in der Theorie, so schwierig (und illegal) war die Umsetzung. Erst einmal benötigte Wirecard für den Deal einen „Gesundheitsschein“ (clean bill of health); die Prüfung sollte KPMG durchführen. Erstes Problem: Diese Bestätigung erhielt Wirecard nie. Wie die Financial Times weiter schreibt, war die Durchschau hunderter Seiten an Dokumenten und zahlreiche Gespräche mit Betroffenen notwendig, um das Geflecht zu entwirren.
Wirecard: Vorwürfe schon 2019
Begonnen hatte das Dilemma bereits 2019, als die Financial Times erstmals über Ungereimtheiten in den Wirecard-Finanzen berichtete. Das hatte zur Folge, dass die Softbank (mit 900 Millionen Euro in Wirecard investiert) eine unabhängige Prüfung der Vorwürfe verlangte – wie auch weitere Personen intern. Andere Stimmen erklärten, die bereits bestehenden Prüfungen von EY seien ausreichend. Auch Markus Braun soll sich gegen die Prüfung ausgesprochen haben, letztlich lenkte er aber (wohl auch aufgrund des Drucks von außen) ein.
Im November 2019 sollen dann 40 Personen von KPMG begonnen haben, die Daten und Unterlagen von Wirecard zu prüfen. Innerhalb weniger Tage dürfte den Wirtschaftsprüfern klar geworden sein, dass die Kernbereiche der Wirecard-Zahlungsabwicklung „in Europa kein Geld verdienten“ – eine Tatsache, die Wirecard gegenüber Investoren laut FT nie offen gelegt hatte. Der gesamte Gewinn dürfte durch die von Jan Marsalek beaufsichtigten Operationen erwirtschaftet worden sein: Das Asien-Geschäft von Wirecard, wo die Verarbeitung von Transaktionen an dritte Geschäftspartner ausgelagert wurde – was dem Unternehmen schließlich auch zum Verhängnis wurde.
„Project Panther“
Parallel dazu wurde am Project Panther gearbeitet – und versucht, EY loszuwerden. EY hatte sich jahrelang offenbar nur mit Saldenbestätigungen begnügt, die im Namen des Treuhänders ausgestellt worden waren. Geheißen hatte es, dass große Summen von Wirecard an Firmengeldern auf Treuhandkonten eines Treuhänders bei Singapurs zweitgrößter Bank, der OCBC, eingezahlt wurden. Diese Konten existierten allesamt nicht, der Chef des Treuhänders (einer Firma namens Citadelle) wurde bereits in Singapur angeklagt.
Danach gab es jedenfalls einen neuen Treuhänder. Auch hier wollte KPMG die Dateien einsehen – und entdeckte, dass bis Februar 2020, zwei Monate, nachdem das Geld angeblich auf den Treuhandkonten eingezahlt worden war, Wirecard immer noch keine vertragliche Beziehung mit dem neuen Treuhänder hatte. Auch Hintergrundprüfungen wurden nie durchgeführt. Zwar ging es Mitte Februar trotzdem bergauf, immerhin sprachen zwei der größten deutschen Vermögensverwalter, DWS und Union Investment, ihre Unterstützung aus.
KPMG und EY auf den Philippinen
Einige leitende Angestellte hatten laut FT aber dennoch begonnen, sich unwohl zu fühlen. Die Hoffnungen lagen auf Jan Marsalek – der war aber anderweitig gebunden. Er musste KPMG und EY – das Unternehmen prüfte die Ergebnisse für 2019 – irgendwie davon überzeugen, dass das Geschäft von Wirecard in Asien echt sei. Das ging offenbar so weit, dass er KPMG und EY auch zu Zweigstellen der neuen Treuhänder begleitete.
Auch nach weiteren Treffen mit Partnern von Wirecard war KPMG immer noch nicht überzeugt. Monatelang dürften Anfragen für Treffen mit Schlüsselmitarbeitern anderer Wirecard-Partner in Dubai und Singapur blockiert worden sein. Transaktionsdaten von den Outsourcing-Partnern waren nicht verfügbar, und Bankunterlagen von den Philippinen zeigten nicht, dass das Geld im Namen von Wirecard gehalten wurde. Anfang März teilte KPMG Wirecard mit, dass es kurz davor sei, „den Stecker der Sonderprüfung zu ziehen“, da es auf ein unüberwindliches „Hindernis für die Untersuchung“ gestoßen sei. Daraufhin verlängerte der Aufsichtsrat das Mandat von KPMG.
KPMG kritisiert Buchhaltungspraktiken
Danach wird es noch abenteuerlicher: Der erste Entwurf des KPMG-Berichts soll den Mitgliedern des Aufsichtsrates am Abend des 19. April per Kurierdienst in Papierexemplaren mit individuellen Wasserzeichen persönlich übergeben worden sein. Die Prüfer von KPMG erläuterten darin Mängel in den internen Kontroll- und Compliance-Funktionen von Wirecard und äußerten ernste Zweifel an den Buchhaltungspraktiken des Unternehmens. Der Aufsichtsrat soll daraufhin zwar angedacht haben, den Vorstand zu entlassen, sah letztlich aber davon ab. In der Öffentlichkeit wurden die Ergebnisse der Gespräche mit KPMG stark verzerrt dargestellt. „Es wurden keine Beweise für die öffentlich erhobenen Vorwürfe der Bilanzmanipulation gefunden“, hieß es laut FT von Wirecard.
EY wiederum prüfte parallel die philippinischen Bankkonten. Dazu wurde eine Videokonferenz eingerichtet, bei der auch die Identitäten der Angestellten überprüft worden seien. Gefunden worden sei niemand davon. Der Verdacht: Schauspieler könnten sich während des Videoanrufs als Bankangestellte ausgegeben haben, möglicherweise sogar in einer nachgebauten Bankfiliale.
Am 27. April jedenfalls war die endgültige Version des KPMG-Berichts fertig. Brisante Details seien in einem vertraulichen Anhang verborgen gewesen, der dreimal so viele Seiten umfasst haben soll wie der veröffentlichte Bericht. „Aber selbst die Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse, die zur Veröffentlichung vorgesehen war, war verheerend genug“, schreibt die Financial Times.
440 Millionen Euro als Beweis
Marsalek soll sich daraufhin dafür ausgesprochen haben, den Bericht nicht zu veröffentlichen. Dazu kam es letztlich nicht, verlautbart wurden lediglich die „positiven Nachrichten“ des Berichts. KPMG habe „keine Beweise für einen offenen Betrug gefunden“, hieß es damals. Einen Tag später (am 28. April) erklärte Markus Braun Analysten, dass EY „uns heute Morgen informiert [hat], dass sie überhaupt kein Problem haben, die Prüfung 2019 zu unterzeichnen“. Allerdings war auch EY zunehmend skeptisch, ergaben die Nachforschungen der FT. So habe EY verlangt, dass Wirecard 440 Millionen Euro in vier Tranchen von den philippinischen Bankkonten nach Deutschland überweisen sollte. Das als Beweis dafür, dass das Unternehmen wirklich in der Lage war, auf das Geld zuzugreifen.
Der Anfang vom Ende
Markus Braun und Jan Marsalek sollen „bei mehreren Gelegenheiten“ versichert haben, dass die 440 Millionen Euro von den Philippinen gerade ankommen würden. In der Annahme, dass dies zutraf, bereitete sich EY weiterhin darauf vor, die Wirecard-Konten für 2019 mit einem sauberen Gesundheitszeugnis zu versehen. Am 2. Juni teilte EY Wirecard den Entwurf eines „all clear“ Prüfungsvermerks mit. Letztlich beschloss man bei EY jedoch, direkt zu den philippinischen Banken zu gehen, um die Echtheit der Dokumente zu bestätigen zu lassen, wonach die 1,9 Milliarden Euro existieren.
Am 16. Juni erhielt EY Deutschland eine E-Mail direkt von BPI (einer der Treuhänder-Banken), die sich als der entscheidende Moment herausstellte. „Bitte seien Sie informiert, dass die beigefügten Dokumente gefälscht sind“, schrieb die Rechtsabteilung von BPI. „Daher kann die Bank keine diesbezüglichen Informationen zur Verfügung stellen“. EY informierte die deutsche Finanzaufsichtsbehörde BaFin über den Brief von BPI am 16. Juni.
Flucht und Insolvenz
Auch jetzt versuchten Braun und Marsalek noch, die Situation zu beschönigen. Es sei alles „ein großes Missverständnis“. Am Morgen des 18. Juni waren die 440 Millionen Euro von den Philippinen immer noch nicht eingetroffen – die gab es ja auch nicht. Am 18. Juni gab es laut FT noch eine Notfallsitzung, Braun und vor allem Marsalek sollen sich weiterhin unbeeindruckt gegeben haben. Markus Braun teilte in einer Videobotschaft sogar noch mit, dass die Wirecard AG „in einem Betrugsfall erheblichen Ausmaßes zum Geschädigten geworden ist“. Letztlich half das alles nichts: Erst beschloss der Aufsichtsrat, dass Braun gehen muss – und am 25. Juni meldete Wirecard Insolvenz an. Jan Marsalek ist bist heute auf der Flucht, Markus Braun hat sich gestellt.
+++Der Wirecard-Skandal und die Auswirkungen auf europäische Fintechs+++