Interview

Solarenergie: Warum Peer-to-Peer-Trading von Strom ein „frommer Wunsch“ bleibt

Solar Energy Trader. © Canva Magic Studio
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Mit den Bürgergemeinschaften und der Mehrfachteilnahme kommen aktuell zwei große Neuerungen in den österreichischen Energiemarkt, die neue Möglichkeiten für das Sharing von erneuerbarem Strom bringen. So können Privatpersonen und Unternehmen seit kurzem etwa Solarstrom, den sie selber nicht brauchen, an notdürftige Familien und karitative Einrichtungen spenden – aber auch die Versorgung ganzer Dörfer mit Strom aus einem gepachteten Wasserkraftwerk am anderen Ende von Österreich ist denkbar.

Was aber weiter ein weit entfernter Traum bleibt: Den Solarstrom, den man am eigenen Hausdach produziert, wird man auch bis auf weiteres nicht einfach an die Nachbarn im Peer-to-Peer-Trading verkaufen können – dazu fehlen noch sowohl technische als auch rechtliche Voraussetzungen. Wieso das so ist, erklärt Matthias Nadrag, Gründer des Energie-Startups enixi, heute im Interview.

Trending Topics: Seit dem Sommer 2021 gibt es ein neues Gesetz für Energiegemeinschaften in Österreich. Warum sind Energiegemeinschaften für deine Firma, für deine Unternehmung so wichtig?

Matthias Nadrag: Grundsätzlich ist das Geschäftsmodell von Enixi aufgebaut auf dem Teilen von Energie und darauf, dass man mit möglichst geringen Transaktionskosten Energie von den Erzeugern zu den Verbrauchern bringt. Und damit sind Energiegemeinschaften und gemeinschaftliche Erzeugungsanlagen, Mehrparteien, Wohnbau, ein zentrales Betätigungsfeld von Enixi.

Du bist ja schon länger in der Photovoltaik-Branche, aber diese Energiegemeinschaften haben zusätzlich den Turboboost für dich eingeschaltet, oder?

Man kann sagen, die Energiegemeinschaften sind jetzt nicht nur eine zusätzliche Form der Vermarktung für PV-Betreiber, sondern zusätzlich auch ein Turbo für die Installation. Deswegen ist die Energiegemeinschaft in der gesetzlichen Basis des Erneuerbaren Ausbaugesetzes. Photovoltaik ist einfach die einfachste Form der Erzeugungsform, weil sie relativ schnell umgesetzt ist, und deswegen ist es im Erneuerbaren Ausbaugesetz verankert, dass der Ausbau der Erneuerbaren gewaltig vorangetrieben wird und das wird durch die Möglichkeit vom Zusammenschluss von mehreren Erzeugern und Verbrauchern massiv gefördert.

Die meisten machen wahrscheinlich aus zwei Hauptgründen mit: Sie wollen billigeren Strom und grünen Strom, oder?

Die Hauptgründe würde ich so nicht definieren, es gibt verschiedenste Motivationen da mitzumachen. Aber zwei Hauptmotivatoren sind natürlich, dass man den Strom aus der nächsten Umgebung beziehen kann, Das heißt, die Netze werden entlastet und man weiß, wo der Strom herkommt. Das ist die Einschränkung für erneuerbare Energiegemeinschaften. Man weiß, dass es langfristig die Möglichkeit einer Preisstabilität gibt, weil in der Gemeinschaft der Preis solidarisch bzw. gemeinschaftlich festgelegt wird und das unabhängig von Weltmarktpreisen wie etwa bei Gas.

Wie viele Menschen in Österreich sind schon Teil einer Energiegemeinschaft bzw. wie viele Gemeinschaften gibt es da draußen bereits?

Nach den neuesten Zahlen, die es von verschiedenen Quellen gibt, sind momentan zwischen 6.000 und 7.000 Menschen bereits Teil einer Energiegemeinschaft. Laut E-Control waren mit Sommer 2023 circa 700 Energiegemeinschaften aktiv in ganz Österreich. Das ist schon eine gewaltige Anzahl, vor zwei Jahren war diese Zahl null.

Wie kommen Startups und Firmen wie deine ins Spiel? Wie unterstützen sie Energiegemeinschaften?

Da gibt es viele Ausformungen. Rund um Energiegemeinschaften gibt es natürlich viele Dienstleistungen, das reicht von der Gründungsberatung bis zum tatsächlichen Kraftwerksbau, zur Förderberatung, zur Abrechnung, zum Monitoring oder zur Optimierung mit spezieller Technologie. In diesem Feld gibt es wahnsinnig viele Teilbereiche, auf die man sich spezialisieren kann.

Hat das für einen Startup-Boom gesorgt in den letzten zwei Jahren?

Dass es in diesem Bereich, in dieser Branche Bedarf gibt für Unternehmen, die beratend tätig sind oder die Technologie bereitstellen, das ist evident. Es gibt natürlich viele, die sich zutrauen, in diesem Bereich etwas zu machen. Natürlich bedarf es einer gewissen Vorbildung oder einer Branche und Kenntnis, dass man da selbstbewusst einsteigt und sagt: Wir sind Dienstleister für Energiegemeinschaften. Es gibt einige, die hier wahnsinnig innovative Dienstleistungen anbieten und wir hoffen einer davon zu sein.

Du hast kürzlich auch eine Innovation auf den Markt gebracht, da geht es um Stromspenden. Wie funktioniert das in der Praxis?

Wir haben mit Energiegemeinschaft Österreich eine Bürgerenergiegemeinschaft gegründet, die in fast allen großen Netzgebieten in Österreich aktiv ist. Das heißt, man kann aus jedem Bundesland Energie spenden, die dann im Zeitpunkt der Entstehung sofort einem bedürftigen Abnehmer zugeteilt wird. Das funktioniert eben über das Vehikel einer Bürgerenergiegemeinschaft. Die Teilnehmer haben ein Smart Meter verbaut und sind Mitglied der Energiegemeinschaft. Nur eben mit dem Unterschied, dass die Energie nicht mit Geld vergolten wird, sondern dass einfach auf der Abnehmerseite ein Benefit entsteht und der ist in der Höhe des Arbeitspreises von dem Teilnehmer.

Die Empfänger dieser Stromspenden, also bedürftige Familien, Hilfsorganisationen, wie qualifizieren sich die dafür bzw. was kommt am Ende bei denen an? Ist es der Strom selbst oder ist es eine Rabattierung des Stromtarifs?

Wir arbeiten mit Partnerorganisationen zusammen, die tagtäglich mit Familien in Kontakt sind, die die Stromrechnung nicht mehr bezahlen können oder wo die Abschaltung bevorsteht. Diese Härtefälle, die werden dort identifiziert und an uns gemeldet, so können wir sicherstellen, dass das System nicht missbraucht wird. Auf der Empfängerseite kann sich jeder anmelden mit einer Erzeugungsanlage.

Also jeder, der zuhause eine Photovoltaikanlage hat und die ein bisschen mehr produziert als man selbst braucht, kann sich anmelden und diesen Strom spenden.

Es gibt Familien, die sich entscheiden müssen, ob sie warmes Essen haben oder warmes Wasser. Das ist herzzerreißend, was man da an Geschichten hört. Das ist ein Problem, das den meisten nicht bewusst ist und allein wenn diese Initiative das Bewusstsein schafft, ist schon viel gewonnen.

Was denkst du, wie viele Familien, wie viele Organisationen könnt ihr da in den nächsten Jahren unterstützen bzw. habt ihr euch da Ziele gesetzt?

Wir glauben, dass wir innerhalb vom nächsten Jahr über eine Million Kilowattstunden an Spenden sammeln können und die einen enormen Benefit für Familien in Not und karitative Einrichtungen bringen. Das große Ziel ist natürlich, die Energiearmut in Österreich zu vermindern oder sogar ganz abzuschaffen. In einem der reichsten Länder der Welt sollte man nicht Menschen haben in der Gesellschaft, die sich Sorgen machen, wie die nächste Stromrechnung zu bezahlen ist.

In Österreich kann man jetzt Ökostrom an Bedürftige spenden

Die Grundlage, damit das funktioniert, ist die Bürgergemeinschaft. Das ist ein relativ neues Vehikel, unterscheidet sich ein wenig von der klassischen Energiegemeinschaft. Was ist der konkrete Unterschied bzw. was ermöglicht es zusätzlich?

Mit der Bürgerenergiegemeinschaft wird ermöglicht, dass wir jetzt nicht auf einen Trafo oder auf ein Umspannwerk gebunden sind von der Teilnehmerzahl, sondern dass man quer durch ganz Österreich Energie verteilen kann. Auch über die Grenzen eines einzelnen Netzgebietes hinaus. Die Teilnehmerkategorien verschieben sich auch, auch große Unternehmen sind teilnahmeberechtigt in der Bürgerenergiegemeinschaft, und auch diese Unternehmen haben einen Überschuss, den wir zum Teil abnehmen können.

Ganze Gemeinden können ein Wasserkraftwerk pachten, das vielleicht am anderen Ende von Österreich liegt, und damit die gesamte Erzeugung in der Gemeinde abdecken. Oder die kumulierte Leistung von vielen kleinen Erzeugungsanlagen betreibt einen Industriebetrieb.

2024 kommt dann noch eine Erneuerung, die Mehrfachteilnahme. Um was geht es da?

Momentan ist die Limitation, dass ein Zählpunkt, also ein Netzteilnehmer, nur in einer Gemeinschaft sein kann. Wenn man jetzt zum Beispiel in einem Mehrparteienwohnhaus ist und dort gibt es eine PV-Anlage, und man bezieht dort den Strom, kann man nicht gleichzeitig in einer Energiegemeinschaft sein, die sich über den Ort oder über die Region zieht. Mit der Mehrfachteilnahme kann nicht nur in einer Gemeinschaft zu sein, sondern auch gleichzeitig in einer regionalen oder in einer Bürgerenergiegemeinschaft. Damit eröffnet sich ein ganz neuer Spenderkreis für unser Charity-Projekt, weil auch große Unternehmen mit einem Überschuss einen kleinen Teil Zweckwidmen können, und da sehe ich das große Potenzial.

Nach der Bürgerenergiegemeinschaft und Mehrfachteilnahme, was sind die nächsten Schritte, die notwendig oder möglich sind?

Es gibt einen Entwurf zum Peer-to-Peer-Trading, also den direkten Austausch von einzelnen Netzteilnehmern von Energie ohne ein zwischengeschaltetes Vehikel. Aber lassen wir einmal die Mehrfachteilnahme kommen, weil die bisherige Umsetzung der einzelnen gesetzlichen Grundlagen bedeuten auf Ebene der Netzbetreiber natürlich nicht einfach einen Schalter umzulegen, sondern wirklich infrastrukturelle Maßnahmen, speziell im Thema IT. Wir sehen zum Beispiel großen Handlungsbedarf, weil noch nicht jeder Smart Meter in ganz Österreich erstens verbaut, zweitens kommunikativ ist und drittens wirklich täglich die Daten sendet. Das ist eine sehr große Baustelle, wo man zuerst auf die notwendige Stabilität achten muss, bevor dann nach der Mehrfachteilnahme die weitere Entwicklung kommt.

Das ist ja der große Traum von vielen, dass man dem Nachbarn im Peer-to-Peer-Trading Strom verkaufen kann. Das ist schon ein großes Ziel, oder?

Ja, absolut. Nur muss man die ganze Komplexität verstehen. Damit eine Stromrechnung entsteht, muss irgendwo ein Verbrauch gemessen werden, der vom Netzbetreiber dann an den zuständigen Lieferanten übermittelt wird. Mit diesen neuen Marktteilnehmern der Energiegemeinschaft oder Bürgerenergiegemeinschaft oder gemeinschaftlichen Erzeugungsanlagen schaltet sich da jemand dazwischen, der diese Daten genauso haben will und diese Daten auch aufsplittet. Das heißt, es gibt mehrere Werte, die sich auch in der Netzrechnung und natürlich in der Stromrechnung niederschlagen. Und damit jeder an der gleichen Datenbasis arbeiten kann, haben die Netzbetreiber alle Hände voll zu tun.

Es ist also nur ein Hardware-Problem, wo es um Smart-Meter und Solaranlagen geht, sondern auch ein Datenproblem?

Es ist nicht trivial, also dass man einfach Energie verschickt, das ist ein Zukunftskonzept. Aber in der momentanen Struktur des Energiemarkts mit den Bilanzgruppen, mit der Bilanzgruppenzuordnung und dem Fahrplanmanagement ist das ein sehr frommer Wunsch für die nicht so nahe Zukunft.

Also wird es noch ein paar Jährchen dauern, bis das möglich ist. Viele Leute träumen von der Energieautarkie. Es gibt auch die Idee, dass sich Dörfer in Microgrids mit Strom selbst versorgen können, ohne dass sie an die Infrastruktur außen angebunden sein müssen. Ist das irgendwann mal realistisch oder auch ein Wunsch?

Ja, grundsätzlich ist es möglich, also in der Theorie und in der Praxis, also die Technologie existiert. Man kann auf Einfamilienhausebene, auf Quartiersebene oder auch für die ganze Gemeinde potenziell schon Speicher und Regelungstechnik installieren, die mit entsprechender Erzeugungskapazität die ganze Siedlung autark macht. Faktisch ist es so, dass die Microgrids zuerst einmal wieder eine gesetzliche Verankerung brauchen. Das heißt, wir kriegen jetzt einmal eine Novelle des EIWOG (Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz, Anm.). Stichwort Vehicle-to-Grid, also bidirektionelles Laden von E-Fahrzeugen, könnte auch der nächste große Wurf sein hinsichtlich Netzstabilisierung, Blackout-Sicherheit und Smart Grids. Das wird alles kommen und sorgt dafür, dass diese große Angst vor dem Blackout vielleicht irgendwann nicht mehr da sein wird.

Startups & die Power von Energiegemeinschaften – mit Matthias von enixi

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