Speedinvest-CEO Oliver Holle: “Ein wirklicher Gamechanger ist ein neues IPO-Fenster”
Oliver Holle und sein Team haben es geschafft, Speedinvest aus Wien heraus zu einem der größten europäischen Startup-Investoren zu machen. Ein Gespräch über Rückschläge für die VC-Branche, Gründerzahlen, den AI-Boom, und was die Tech-Branche wirklich braucht, um den nächsten Aufschwung zu erleben.
Trending Topics: Der Speedinvest 4 Fonds mit einer halben Milliarde Euro ist ein Jahr alt. Welches Zwischenfazit ziehst du?
Oliver Holle: Der mit Abstand der einfachste Teil meines Jobs ist der neue Fonds. Das Umfeld, in dem wir jetzt investieren können, ist für Investoren tendenziell gut. Es hat sich die Taktrate insgesamt etwas verlangsamt. Die Konkurrenz bei den besten Deals ist zwar nicht deutlich weniger geworden, aber zumindest so, dass man mehr Zeit hat, um References zu machen, um Due Diligence zu machen. Wir haben insgesamt schon über 40 neue Investments gemacht aus dem neuen Fonds und sind da ganz gut im Plan.
Die ersten zwei Jahre eines neuen Fonds sind immer eine Honeymoon-Phase. Da ist alles relativ einfach. Da geht es darum, gewisse strategische Parameter aus den Learnings der letzten zehn Jahre weiter zu optimieren. Aber das ist eigentlich relativ ruhiges Fahrwasser. Das wirkliche Thema, mit dem sich jeder Fonds, der ernsthaft agiert, beschäftigt, ist das Portfolio der letzten Jahre, um da wirklich die wichtigsten Werttreiber abzusichern.
Es gibt eine Reihe von Unicorns, die Federn ließen. Wie sieht es an der Front aus und was bedeutet das für große Fonds, wenn eine ganze Branche nach unten rasselt?
Das ist herausfordernd, ganz klar. Wir haben eine ganze Reihe von Fonds aufgelegt, zum Teil welche mit sehr speziellem Fokus und sehr engen kleinen Portfolios, und zum Teil eben unsere Standard-Flagship-Fonds, wo über 100 Beteiligungen drinnen sind. Die Flagship-Fonds mit dem breiten Portfolio sind wesentlich weniger negativ beeinflusst von den letzten 18 Monaten als die Fokus-Fonds. Das ist nicht überraschend, weil die Fokus-Fonds auch dramatisch hochgegangen sind, wenn ein oder zwei Portfolio-Unternehmen plötzlich mit dem Hundertfachen bewertet werden.
Wenn ich jetzt auf die Gesamt-Speedinvest schaue, fühle ich mich recht gut, weil der Impact eigentlich relativ überschaubar ist und wir in allen wesentlichen KPIs noch immer absolut gut dastehen. Auf individueller Portfolio-Ebene tut es zum Teil natürlich sehr weh. Die Entwicklungen gerade bei Tier Mobility sind für uns schmerzhaft. Man lernt auch hier noch einmal, wie schutzlos man als Frühphasen-Investor ist. Selbst wenn die Firma eigentlich gut durchkommen wird, wird diese und auch andere Firmen bei uns im Portfolio für die Frühphasen-Seed-Investoren noch kaum Wert darstellen. Da ist es wichtig, nicht nur einen Pfeil im Köcher zu haben.
Was ist das Gefährliche für einen Frühphasen-Investor daran?
Es ist eine einfache Logik, und der muss man sich wirklich bewusst sein. Das ist auch für jeden Privatinvestor, der als Business Angel aktiv ist, wichtig. Wenn eine Firma, die in einer gewissen Skalierung unterwegs ist, Geld braucht, dann braucht sie nicht 1, 2, 3 Millionen, sondern eben 10, 20, 30 Millionen oder mehr. Solche Summen können normalerweise nicht von Frühphasen-Investoren wie uns gestemmt werden. Dann kommen sogenannte Pay-to-Play-Provisionen zur Anwendung. Die gibt es in allen möglichen Farben und Schattierungen. Im Wesentlichen bedeutet es einen Washout der Frühphasen-Investoren. Da ist so viel Kapital in der Liquiditätspräferenz vor einem vorgelagert, dass man eigentlich nur in ganz wenigen Ausnahmefällen noch zu seinem Geld kommt. Wenn man nicht mitspielen kann in diesen Notfall-Runden, ist man kommerziell eigentlich enteignet. Das ist weltweit die Realität. Das ist natürlich in den letzten 18 Monaten relativ häufig passiert.
Diese berühmt-berüchtigten Liquidation Preferences, die sind nicht nur auf Gründerseite unbeliebt, um es freundlich auszudrücken, sondern auch bei Frühphasen-Investoren wie euch?
Das war immer so. Liquidation Preferences sind übereinander gereiht. Das heißt: Wenn ein Series B- oder ein Series C-Investor 50, 100 Millionen in die Firma investiert, bekommt er immer zuerst sein Geld vor den Seed-Investoren, vor den Gründern. Das war immer so. Wir haben schon erlebt, dass diese Liquidation Preferences nicht nur einmal das eingesetzte Kapital sind, sondern ein Zehnfaches davon oder mehr. Es fließen zum Beispiel 30, 40 Millionen in eine Firma. Das hat dann zum Beispiel eine zehnfache Liquidations-Präferenz. Das bedeutet, aus den 30 werden 300 oder 400 zusätzlich zu dem Kapital, das bisher schon reingeflossen ist, das dann zum Teil nachträglich auch noch eine zusätzliche Liquidations-Präferenz bekommt, dann sind schon über ein, zwei Milliarden Gelder in diesen Companies, die gleichzeitig natürlich im Unternehmenswert massiv runtergegangen sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass dann die Gründer oder die Frühphasen-Investoren noch Geld sehen, ist denkbar gering.
Ist das unfair? Nein, das ist der Markt. Der Markt sagt, dass es zu anderen Konditionen nicht möglich ist, Geld aufzunehmen. Und dem muss man in die Augen schauen und hoffentlich andere Portfolio-Firmen haben, die nicht in so einer Situation sind. Das ist die einzige Antwort darauf.
Ihr habt es geschafft, zum Seed Fund des Jahres 2023 ausgezeichnet worden zu sein. Welche Faktoren sind es, dass ihr so eine bemerkenswerte Auszeichnung erhaltet?
13 Jahre kontinuierliche Arbeit, die gesehen wird. Ich muss ehrlich sagen, ich bin kein großer Freund von solchen Awards, aber in dem Fall hat es mich wirklich gefreut. Der GP Bullhound Award ist einer, der von Branchenkollegen vergeben wird. Das hat schon einen gewissen Stellenwert in unserer Branche. Im Wesentlichen wurde anerkannt, dass wir ein ziemlich einzigartiges Modell in Europa viele Jahre lang durchgezogen haben, mit nachweislichen Erfolgen auf der Portfolioseite.
Das alles hat sich in einem sehr, sehr erfolgreichen Fundraising für Speedinvest 4 widergespiegelt, das komplett entgegen dem Markttrend passiert ist. Es war einfach weit und breit kein anderer europäischer Fond, der in der Frühphase solche Summen geraised hat, und das aus Österreich heraus. Es wundern sich die Londoner und die Berliner schon, dass das möglich ist, und das war die Anerkennung dafür.
Oft werden Bitpanda, GoStudent und Co gefeiert, aber Speedinvest ist ja auch eine ganz, ganz große österreichische Erfolgsstory.
Ja, wir würden das so sehen, ja. Die Unwahrscheinlichkeit unseres Weges ist mindestens genauso unwahrscheinlich wie Bitpanda oder GoStudent. Das war nicht absehbar und eben ein Outlier. Letztlich sind da viele Dinge zusammengekommen. Wir hatten natürlich enorm Glück mit unserem Timing. Als wir gestartet haben, waren wir am Beginn einer goldenen Ära für VC in Europa. Die letzten zwölf Jahre waren außergewöhnlich gut. Wir haben das mit vollem Einsatz und viel unternehmerischem Risiko genutzt.
Kommen wir zum State of European Tech Report. Der spricht für 2023 davon, dass wahrscheinlich nur sieben neue Unicorns in Europa entstanden sind, im Vergleich zu 48 im Jahr 2022. Es werden wahrscheinlich nur ungefähr 45 Milliarden Euro investiert im Vergleich zu 85 Milliarden im Jahr 2022. Was sind die Gründe für diesen Einbruch?
Wenn man sich die Zahlenreihen im Report anschaut, sieht man ganz klar: Es waren eigentlich zwei Jahre als komplette Ausreißer drinnen. Wenn man die Linie ziehen würde, ist es eine kontinuierliche Linie, die nach oben geht. 2023 war immer noch besser als 2019 oder 2018. So gesehen ist unsere Branche einem Hype-Cycle folgend, und alle zehn, 20 Jahre kommen eben so ein, zwei Outlier-Jahre. Diese Zahlen werden von wenigen großen Runden getrieben, und wenn diese wenigen großen Runden nicht stattfinden, dann sind die Zahlen entsprechend deutlich kleiner.
Warum?
Es haben sich ganz viele große Kapitalgeber zurückgezogen. Die Zeiten, wo Softbank, Tiger Global und Coatue um Deals mit 100 Millionen plus gerittert haben, sind einfach vorbei und man ist zurück zur Norm gekommen. Es finden weiter Series Bs und Series Cs, also Wachstumsrunden statt, allerdings eben nicht mehr in diesen Dimensionen wie in den letzten zwei, drei Jahren.
Die genannten Investoren und andere haben sich aufgrund der Zinswende in den USA, gepaart mit dem Ukraine-Krieg zurückgezogen?
Natürlich, das sind die Makro-Themen. Man kann auch sagen: Es war ein großes globales Experiment. Es wurde viel Kapital von Public in Private re-allokiert, um globale Digitalgewinne zu erzeugen. Dieses Experiment ist aus heutiger Sicht nicht aufgegangen. Es haben viele der Startups, die so finanziert worden sind, nicht geschafft, dieses enorme Kapital in nachhaltigen, globalen Wettbewerbsvorteil zu übersetzen. Das hat einfach nicht funktioniert. Viele meiner Freunde aus der US-VC-Szene haben das prognostiziert und sind jetzt sehr stolz auf sich. Das waren die alten Hasen, die gesagt haben: Let them do it, we wait it out.
Auf der anderen Seite: Wenn man sich jetzt anschaut, was im AI-Bereich stattfindet, sieht man wieder ähnliche Wetten. Das sind natürlich extrem kapitalintensive Modelle, das muss einem auch bewusst sein, das ist kein Zufall, dass sie so viel Geld verschlingen. Ohne große Wetten wird unsere Industrie nicht funktionieren.
Die Story, die man sich 2020, 2021 gerne erzählt hat, dass die Covid-Pandemie ist der absolute Brandbeschleuniger für die Digitalisierung ist, hat sich also nicht bewahrheitet.
Ja, und man sieht auch die fragilen Kreisläufe, die immer noch in diesem digitalen Ökosystem vorherrschen. Das Kernproblem, mit dem ja viele der B2C-Companies Post-Covid gekämpft haben, ist, dass die Distributionskanäle so teuer geworden sind. Wir haben ein echtes globales Problem mit unseren Social-Media-Plattformen, die funktionieren nur mehr sehr, sehr schlecht, beziehungsweise sind sehr teuer, um gezielt zu werben, und dementsprechend sind die Kosten der Kundenakquisition einfach stark in die Höhe gegangen.
Das hat sich dann in den entsprechenden Bilanzen widergespiegelt. Das Kapital zum Wachsen wurde einfach nicht effizient eingesetzt. Dementsprechend haben die Firmen deutlich zurückschrauben müssen in ihren Ausgaben im Marketing.
Meta mit seinen Töchtern Facebook, Instagram und WhatsApp und einige andere Player wie LinkedIn oder TikTok sind die Gatekeeper und entscheiden am Ende, ob digitale B2C-Modelle funktionieren oder nicht?
Diese Distributionskanäle funktionieren immer schlechter, das ist die Realität. Wir haben ganz viele Companies, die sich sehr schwer tun, über diese Kanäle nachhaltig sinnvoll Marketingausgaben zu allokieren. Viele der anderen Kanäle sind zu kleinteilig oder nicht skalierend. Die Ansprache über die digitalen Medien funktioniert nicht so gut, wie man gehofft hat. Brandbuilding wird immer klarer als ganz wesentlicher Teil der Erfolgsgeschichte gesehen. Das aber kostet Geld, weil man da ins klassische Advertising gehen muss. Die Hoffnung, dass man digital viel günstiger, schneller und effektiver Endkunden erreichen kann, ist gerade wieder eher gedämpft. Ich bin mir ganz sicher, da kommt wieder die nächste Welle, aber im Moment sind wir sicher in einem Wellental. Ohne direkten Kontakt mit Endkunden ist Venture natürlich auch nur halb so lustig.
Ein Gegenbeispiel ist wahrscheinlich Waterdrop, die eine sehr aggressive Offline-Strategie fahren. Sie eröffnen gefühlt im Wochenrhythmus neue Stores in Europa und in den USA und suchen auf der Main Street ihre Endkunden und nicht auf Facebook oder Instagram.
Ja, Waterdrop ist eine dieser Outlier-Companies, die es geschafft haben, in kurzer Zeit eine Top-Marke zu etablieren. Da war eben offensichtlich ein Fenster offen. Die wird es immer geben, aber es sind ganz, ganz wenige. In Europa gibt es vielleicht ein, zwei andere Firmen. Man kann jetzt noch die Schweizer Schuhmarke On nennen, aber viele andere gibt es da nicht. Und auch Waterdrop hat natürlich ein sehr starkes digitales Geschäftsmodell, mit sehr, sehr geringen Verpackungskosten etc. Aber ja, das ist ein wunderbares Beispiel aus Österreich, man kann ihnen gratulieren.
Man hat oft gehört: Krisenzeiten sind Gründerzeiten. Der State of European Tech Report 2023 spricht aber von 30% weniger Neugründungen als noch 2022. Woran liegt das?
Krisenzeiten sind Zeiten, in denen sich erfolgreiche Gründer durchsetzen. So will ich es formulieren. Krisenzeiten sind Zeiten, wo die Firmen, die sich positiv entwickeln, auch wirklich groß werden können. Aber dass es generell extrem hart ist für Gründer, ist klar. Und dass es jetzt weit weniger lustig ist, ein Startup zu gründen, ist auch klar. Ehrlich gesagt ist das die Statistik, die mich am wenigsten beunruhigt, weil ich davon überzeugt bin, dass man auch Menschen überzeugen muss, nicht zu gründen. Die Kohorte, die 2020, 2021 vom Investmentbanking zum nächsten Direct-to-Consumer Startup gewechselt ist, weil man davon ausgegangen ist, dass man eh in 18 Monaten einen zweistelligen Millionenbetrag raisen kann, die sind meistens eh nicht so resilient, dass sie die 10, 15 Jahre durchhalten, die es braucht. Und das ist okay.
Wichtig sind ja eher die Top 10, 20 Prozent, die es ernst meinen und die auch die notwendigen Voraussetzungen mit sich bringen. Sind die finanziert? Haben sie die Chance, weiter finanziert zu werden? Darauf würde ich schauen.
Welchen Effekt hat diese neue Marktphase auf die VCs selbst? Gerade jüngere Fonds tun sich schwer beim Fundraising.
Die VC-Branche ist letztlich natürlich davon abhängig, wie es ihren Startups geht. Wenn die Startups oder die Scale-Ups leiden, dann leiden die Portfolios der Venture-Industrie. Wenn man über längere Zeit keinen neuen Fonds raised, weil das Marktumfeld schwieriger ist und gleichzeitig die Kosten und Gehälter steigen, dann kommt irgendwann ein ziemlicher Druck ins System. Der Druck, einen neuen Fonds zu raisen, ist einfach sehr, sehr hoch. Wenn man aber gleichzeitig ein Portfolio hat, das deutlich überbewertet worden ist und jetzt runtergeschrieben wurde und die Branche einfach 7, 8, 9 Jahre braucht, bevor überhaupt irgendwelche Rückflüsse stattfinden, dann sind jetzt einfach sehr, sehr viele Fonds, die vor 5, 6 Jahren geraist worden sind, in einer sehr schwierigen Situation.
Da sehen wir jetzt die Anfänge. Wenn ein sehr, sehr bekannter Fonds wie Stride von Fred Destin das Fundraising für sein Fonds aufhört, dann ist das schon ein Zeichen. Und er ist nicht der Einzige, es gibt einige andere im Umfeld, die derzeit ihr Fundraising on hold haben. Das ist sicher das schwierigste Marktumfeld für Fundraising für Fonds, seit ich in der Branche bin. Als wir angefangen haben, war es sehr kurz nach der Finanzkrise. Es war sicher seitdem nie ansatzweise so schwierig wie derzeit.
Das wird Konsequenzen haben. Die Konsolidierung wird stattfinden. Das ist nicht notwendigerweise schlecht für Europa, aber natürlich schlecht für die einzelnen Portfolios, weil die dann keine Betreuung mehr haben. Letztlich kann da natürlich auch ein ziemliches Loch in Europa gerissen werden.
Ist es für euch als großer etablierter Fonds die Chance, andere Fonds zuzukaufen?
Das ist eine sekundäre Überlegung. Es ist jetzt ein Vorteil, als einer der Etablierten und Größeren dazustehen. Es ist auch ein bisschen ein Safe Haven. Es gibt diesen berühmten Satz “Flight to Quality”, das heißt: LPs suchen Fondsmanager, wo sie wissen, dass die auch noch 10 Jahre am Markt sein werden. Da sind wir inzwischen angekommen, das hilft uns. Bei uns war das Fundraising 2023 besser als je zuvor. Und es wird viel Talent am Markt frei. Dazu muss man nicht akquirieren, da kann man einfach warten. Das ist vielleicht nicht sehr freundlich, aber das ist die Wahrheit. Andererseits ist ein VC-Fonds per se oder eine Fondsgesellschaft nicht viel wert. Da sind Fees drinnen und ansonsten sind es Mitarbeiter, die gehen können, wann immer sie wollen. Da wird niemand besonders viel dafür zahlen.
Man braucht nur in die USA schauen, was passiert ist nach der Finanzkrise 2008, 2009. Damals gab es tausende Seed-Fonds und ich kann mich noch gut erinnern, wie da interessante Meldungen kursiert sind, dass eine Vielzahl von denen aufgehört haben zu existieren. Das war wirklich ein Massensterben von diesen kleineren regionalen Seed-Fonds oder auch Series A Fonds, die keinerlei Differenzierung gehabt haben, außer dass sie eine spezielle Geographie bedient haben.
Speedinvest, too big to fail?
Das haben schon viele gesagt. Bis dato stimmt’s. Ja, ich hoffe mal, wir machen einen guten Job, darum geht’s. Wir haben unser Modell gefunden, das ist wirklich erfreulich. Wir wissen, was wir machen müssen und insofern sind wir tatsächlich für viele, viele Jahre abgesichert. Aber letztlich werden alle drei, vier Jahre die Karten neu gemischt.
Speedinvest ist ja selbst ein Nest für neue Fonds, etwa New Renaissance Ventures, Calm Storm Ventures, Fund F von den Female Founders und für Startups, die von ehemaligen MitarbeiterInnen gegründet wurden. Gibt es eine Speedinvest Mafia? Trefft ihr euch manchmal heimlich und besprecht hinter den Kulissen Dinge?
Das würde ich nicht ganz ausschließen. Ich finde das extrem wichtig. Wenn man den neuen Atomico Report liest, dann spricht er auch von der Skype-Mafia und was sie in der Region ausgelöst hat. Wenn wir ansatzweise eine ähnliche Geschichte in Österreich oder in Europa auslösen können, wird mich das wahnsinnig freuen. Wir haben ja auch schon mit Anthony Danon und Cocoa in London einen Spinout aufzulisten. Wir haben auch ein neues Spinout in Deutschland, das sich etabliert. Wir haben ein kleines Fund-of-Fund-Programm, wo wir aktiv unterstützen. Also wenn wir erfolgreich sind, dann ist genau das die Idee. Daran arbeiten wir intensiv.
Kommen wir noch zu den Trends, die eure Branche prägen. Zuallererst müssen wir natürlich über AI sprechen. Verstehst du das, was wir da alles sehen, ChatGPT und Co., als AI, als echte künstliche Intelligenz?
Ich halte das für eine nicht wahnsinnig spannende Diskussion. Ob das jetzt AI oder AGI ist – was ich sehe, sind ganz, ganz konkrete, unmittelbare Anwendungsfälle, die wirklich einen Unterschied machen für Endkunden und für Businesskunden in der Einsparung von Kosten. Das ist das, worum es geht. Das ist schon ein Game Changer gewesen in den letzten 12, 18 Monaten. Wir haben Firmen im Portfolio, in die wir investiert haben, die hatten gar keine AI-Thematik im Deck, waren aber dann wahnsinnig schnell, OpenAI oder andere Tools zu integrieren und sind inzwischen extrem erfolgreich, skalieren extrem schnell auf der Basis dieser Technologie. Und zwar mit echten, harten Business-Zahlen. Umsätze steigen, Kosten bleiben unten. Da bin ich schon sehr beeindruckt, weil gerade bei solchen Themen, die sehr, sehr schnell sehr viel Hype auslösen, ist dann oft die Realität eine andere. In dem Fall ist es wirklich andersrum. Eine Firma wie Inkit, in die wir schon seit vielen Jahren investiert sind, hat eben AI entlang der gesamten Wertschöpfungskette integriert und ist 2023 so schnell gewachsen wie nie zuvor. Oder eine Firma wie Kittl aus dem Creative Industries-Umfeld, hat auch AI integriert, und hat sich im Umsatz versiebenfacht. Das ist das, was mich mehr interessiert als diese Weltzerstörungs-Theorien.
Ich habe es bisher so wahrgenommen, dass Startups oder Scale-ups, die OpenAI über APIs einbinden, als GPT-Wrapper-Startups verschrien sind, weil sie keine eigene Technologie haben, und nur das nehmen, was OpenAI entwickelt hat.
Da muss man differenzieren. Die Welle der Wrapper-Startups ist schon seit einigen Monaten vorbei. Wovon ich spreche, sind Startups, die tief integriert in einen spezifischen Use-Case sind, die ganz konkret schon Jahre über ein Problem nachdenken, das sie lösen wollen und dann zusätzlich jetzt diese neuen Technologien einsetzen, um besser, effizienter und schneller zu sein. Und die funktionieren. Da kombiniert man tiefes, vertikales Know-How, ein gutes Produkt, das auch schon eine Kundschaft hat mit diesen Produktivitätsgewinnen, und da kommen dann wirklich große Fortschritte raus. Das ist etwas anderes, als wenn ein Startup von Null weg startet und auf beiden Seiten blank ist. Das sind die für mich beeindruckendsten Cases, die wir jetzt in unserem Portfolio in AI sehen. Also tief vertikale Lösungen, die einfach ihre existierenden Use-Cases, ihre existierenden Produkte massiv verbessern.
Wir haben vorher schon von der Abhängigkeit der großen Plattformen gesprochen. Jetzt kommt die nächste Plattform mit OpenAI. Ist das die nächste Abhängigkeit, in die sich Startups möglicherweise begeben? Am Ende bestimmen ja Sam Altman und Co. die Preise für diese APIs.
Das ist absolut eine Gefahr, wobei die Schlacht einfach überhaupt noch nicht gefochten ist. Es gibt ja doch eine ganze Reihe von Alternativen am Markt. Es gibt eine große Open-Source-Bewegung, die auch sehr interessant ist. Es gibt inzwischen europäische Anbieter, wie Mistral AI und andere. Ich habe von wenigen Gründern gehört, dass sie sich in einer Geiselhaft von Open AI fühlen, sondern dass sie relativ viele Angebote haben und dass es gar nicht so wichtig ist, mit welchen Anbietern man da zusammenarbeitet, sondern viel eher die Business-Intelligenz zu haben, die aus der Auseinandersetzung mit dem Produkt, mit dem Kunden kommt, diese Produkte wirklich gut einzusetzen. Das ist der Schlüssel zum Erfolg. Gerade in einer neuen Technologiewelle, die enorm viel Kapital benötigt, ist die Gefahr, dass Europa auf der Strecke bleibt, sehr hoch. Wer kann schon ein paar Milliarden Euro investieren in reine Infrastruktur?
In Europa staunt man, wenn Mistral, AI oder Alpha 100 oder 500 Millionen Dollar bekommen, aber das ist dann immer noch Faktor 10, Faktor 100 hinter dem, was die Founder im Silicon Valley abstauben, oder?
Genau, das ist absolut so. Das wird sich auch nicht so schnell ändern, befürchte ich. Außer man ist wirklich einmal deutlich technologisch voran. Dann hätte man auch die Chance, einmal der Erste zu sein, der diese Milliarden bekommt. Es gibt natürlich ganz tolle DeepTech-Startups, in die wir auch investiert haben, die Randthemen rund um AI versuchen zu lösen, ob das jetzt eben AI Safety oder Explainability oder all diese zusätzlichen Themen sind. Aber das sind jetzt nicht die Firmen, die das Potenzial haben, Google abzulösen.
Abseits von AI, auf welche Tech-Trends setzt ihr 2024?
Es sind sicher die Themen Climate und Health. Was mich am meisten beeindruckt, ist die Beschleunigung von Gesundheitsthemen mit Artificial Intelligence. Da werden wir gerade gestürmt mit extrem starken Teams, die vielleicht eben vor ein paar Jahren noch B2C-Sachen gemacht haben. Die gehen jetzt alle an diese Schnittstelle AI und Health und können auch sehr schnell sehr große Seed-Runden raisen. Im Climate-Bereich ist natürlich auch noch viel Dynamik drin. Da bin ich für 2024 gespannt, ob sich das so durchhalten lässt. Da ist jetzt schon sehr, sehr viel Kapital in den Markt geflossen und da werden jetzt auch die ersten Beweise anstehen müssen, ob die Firmen das auch kommerziell auf die Straße bringen.
Was ist mit DefenseTech?
Ungefähr drei Viertel der europäischen Venture-Industrie hat den European Investment Fund als Investor, und da ist DefenseTech ausgeschlossen. Das heißt, die allermeisten werden das nicht einmal anrühren dürfen und ehrlicherweise ist das ein bisschen ein journalistisches Thema, würde ich einmal behaupten. Das passt jetzt gut in diesen Gesamtkontext, wo man sich wirklich tagtäglich Sorgen machen kann. Aber auch in unserem Dealflow spielt das eine extrem kleine Rolle.
Nächstes Jahr könnte es eine Zinswende nach unten geben. Die Federal Reserve hat das zumindest schon ein bisschen durchblicken lassen. Auch in Europa flacht die Inflation ab. Wäre so eine Zinswende nach unten ein Gamechanger für Startups, VCs und die Investment-Lage?
Ein wirklicher Gamechanger wäre ein wirkliches nachhaltiges Öffnen des IPO-Fensters. Das ist das, was wir brauchen, alle. Ein Gamechanger wäre, wenn einige dieser großen Unicorns, die wir alle im Portfolio haben, auch Liquidität erzeugen könnten. Das ist das, was die Branche in Europa und weltweit wirklich benötigt. Bis dahin wird es mehr Business as Usual sein. Wobei: Business as Usual ist nicht schlecht, das muss man auch einmal sagen. Wir haben im vierten Quartal wirklich eine ganze Reihe von signifikanten, großen Finanzierungsrunden im Portfolio abschließen können. Die guten Companies finden weiterhin substanziell Geld. Man darf da nicht in so eine Verzweiflung fallen, gar nicht. Wir sind sozusagen wieder zurück in der Normalität. Es ist ein hartes Geschäft. Es ist nicht so, dass jedes Startup ein Recht hat auf eine Series A, sondern es sind eben die Ausnahmen. Und es werden auch in Zukunft die Ausnahmen bleiben. Unser Job ist, die statistische Wahrscheinlichkeit zu erhöhen. Und das tun wir recht mit viel Einsatz.
Warum ist ein neues IPO-Fenster so wichtig?
Fast alle europäischen VCs müssen beweisen, dass sie Liquidität an ihre Investoren zurücküberweisen können, bevor sie den nächsten Fonds raisen. Diese Liquidität kann aber eigentlich nur noch über solche IPOs stattfinden, denn strategische Akquisitionen gibt es zu wenige in Europa, um da substanziell einen Unterschied zu machen.Das ist das, was eigentlich der Blocker für das nächste Fundraising von vielen Fonds ist. Die gesamte Branche ist ein bisschen auf Handbremse derzeit, weil sich überhaupt nicht abzeichnet, wann dieses Fenster aufgeht. In diesem Spiel sind wir und werden wir auch noch eine Weile bleiben, aber irgendwann wird es passieren. Es ist letztlich die harte, harte Aufgabe für unsere Scale-up-Founder, auf die jetzt alle schauen, ihre Geschäftsmodelle eben entsprechend in einen Status zu bringen, dass das möglich ist. Da sind die Vorgaben sehr, sehr klar.
Dieses Interview ist im neuesten Trending Topics-Magazin „A Trip to Tomorrow“ erschienen.