Stefan Klestil von Speedinvest: „Diese Fintechs haben das Potenzial, einen IPO zu machen“
Große Investments, Milliardenbewertungen und mutige Expansionspläne: Die europäischen Startups N26, Revolut, Monzo, Klarna und TransferWise haben dieses Jahr ordentlich vorgelegt – und zeigen auf, dass Europa im Fintech-Bereich durchaus Erfolgs-Storys bereit hält.
Einer, der die Fintech-Branche von innen ganz genau kennt, ist der Österreicher Stefan Klestil. Er ist seit einigen Jahren als Partner beim Wiener VC Speedinvest tätig, war der erste Investor von N26 und sitzt außerdem im Aufsichtsrat der börsennotierten Wirecard.
Im Interview mit Trending Topics spricht Klestil darüber, wie Europas Fintechs im Vergleich zu den USA und Asien dasteht, warum die vereinigten Staaten für Neobanken so ein attraktiver Markt sind und wer sich die europäischen Unicorns noch leisten könnte.
Stefan, du bist Board Member bei Wirecard, Iyzico, Curve and payworks und Advisory Board Member bei N26, Wefox, Billie, Fincompare und Bank Open. Hast du überhaupt noch einen Account bei einer klassischen Bank oder Bargeld einstecken?
Stefan Klestil: Haha! Ich muss leider Bargeld verwenden. Ich finde Bargeld furchtbar, es ist schmutzig, es dient der Steuerhinterziehung und kann gestohlen werden. Mir ist es schleierhaft, warum es Leute noch verwenden. In Deutschland und Österreich ist man da noch dazu gezwungen, zum Glück immer weniger. Es gibt viele Gründe, warum man Bargeld abschaffen sollte.
Ich bin 51 und nicht mit N26 aufgewachsen. Ich war auch da gezwungen, mit einem Sparbuch zu beginnen und in weiterer Folge Kredite von klassischen Banken zu nehmen. Die sind ja nicht alle schlecht, gerade in der Baufinanzierung gibt es noch viel zu wenige gute Tech-Player, aber auch das wird sich verändern. Im täglichen Leben verwende ich aber fast nur mehr Fintechs.
Gerade 2019 hat man bei großen Runden ausgerechnet in Europa, das als schwierigerer, weil zersplitterter Markt gilt, sehr viel im Fintech-Bereich gesehen. Warum boomt das derzeit so?
Das ist eine natürliche Entwicklung. Viele dieser Fintechs gibt es schon bald zehn Jahre, bis solche Firmen in der breiten Öffentlichkeit wahrnehmbar sind, dauert das sechs, sieben Jahre. Viele spannende Fintechs sind außerdem B2B, von denen erfährt man bis zum Exit gar nichts. Wir haben mit payworks aus München einen schönen Exit an Visa gemacht, ein sehr schöner Deal. Da waren wir sieben Jahre investiert.
Ist Fintech eine besondere Stärke Europas?
Im direkten Vergleich mit den USA und China definitiv nicht. Bei der Anzahl der Deals und dem Kapitalvolumen, die da hineingehen, ist Europa in jeder Hinsicht hinten. Wenn man in China ist, spürt man die geringe Bedeutung, die Europa in dem segment hat. Aber: Europäisches Fintech wird mittlerweile ernst genommen. Das merkt man daran, wie viel US- und asiatisches Kapital investiert wird. Das ist für uns als Frühphasen-Investor natürlich gut, wenn mehr Wachstumskapital nach Europa kommt. Europa holt auf, aber wir sind definitiv noch hinten.
Große Finanzierungsrunden bei Fintechs werden oftmals über Investments aus den USA oder Asien (z.B. Tencent, DST, Valar Lightspeed, Dragoner, usw.) gestemmt. Warum investieren nicht mehr große Corporates aus dem Finanzbereich aus Europa, die es ja gibt?
Doch, die sind auch dabei und haben sehr viel Geld investiert. Alle nennenswerten Retailbanken aus Europa haben mindestens einmal in unser Portfolio investiert – etwa Santander, ING, RBI, Uniqa, Allianz oder Munich Re. Das ist sicher ein Trend, vor allem im B2B-Bereich. Für Startups, ist das gut, weil sie Banken so einfacher auch als Kunden gewinnen.
Vor allem die Neobanken N26 und Revolut liefern sich derzeit ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Du bist als N26-Advisor nicht neutral, aber trotzdem – wer wird das Rennen gewinnen?
Es enorm viel Platz für beide und noch ein, zwei andere in Europa. Ich sehe das sehr entspannt. Die Modelle sind übrigens sehr unterschiedlich. Revolut geht sehr stark ins Trading und ist im Krypto-Bereich tätig, das alles hat N26 nicht. Das, was sie vereint, ist der Versuch eine globale Brand zu bauen. Viele haben das versucht, ING hat das zuletzt mit ihrem Sparprodukt zumindest sehr erfolgreich in Europa versucht. Seitdem ist da aber nichts mehr passiert, und das ist 12, 13 Jahre her.
Es global zu versuchen, ist eine riesige Herausforderung, weil es überall unterschiedliche Regulierungen gibt. Aber die Behörden lernen voneinander, und das ist gut für die Startups, weil es immer mehr Standardisierung gibt. Wann haben wir das letzte Mal gehört, dass ein Tech-Team von Deutschland aus, sogar mit zwei Österreichern an der Spitze, so erfolgreich auch außerhalb Europas agiert?
N26, Revolut, Monzo, Klarna, TransferWise – all diese europäischen Fintechs drängen auf den US-Markt. Haben sie da eine Lücke im US-Ökosystem entdeckt, in dem das Silicon Valley nicht stark ist?
Es gibt schon Anbieter, die da hinein drängen. Es wird ordentlich viel Konkurrenz drüben geben. Aber jeder, der in den USA gelebt hat, weiß, wie unterirdisch schlecht dort Retail-Banking ist. Die User Experience ist eine Katastrophe. Letztlich gibt es dort eine ganz andere Gebührenstruktur, man wird dort mit Fees überzogen. Das ist ein wirklich veralteter Bankenmarkt. Deswegen gibt es eine Riesenchance in den USA. Der europäische Bankenmarkt ist ja viel strenger reguliert und dank der EU-Kommission viel günstiger. Der Profit-Pool in den USA ist viel größer. Wer in Europa überlebt, hat es in den USA viel leichter.
Aber es wird kein Honiglecken. Niemand dort hat auf die europäischen Neobanken gewartet. In den USA muss man deutlich mehr für Marketing ausgeben, der Wettbewerb ist ungeheuerlich. Man muss es hinkriegen, ein ähnliches Wachstum wie in Europa zu schaffen, ohne sich im Marketing-Budget zu verrennen.
Du warst ein sehr früher Investor bei N26. Warum hat Speedinvest nie in die beiden Österreicher investiert?
Da gibt es viele Gründe. Nachdem die Gründer richtigerweise von Papayer, einer Kreditkarte für Kinder, auf ein Produkt für Erwachsene wechselten, gab es sehr viel Interesse seitens VCs. Das hat Speedinvest leider verpasst. Ich bin erst danach zu Speedinvest gekommen. aber es sind alle Freunde, und Valentin und Max sind große Fans von Speedinvest.
Wie abhängig sind Challenger-Banken von Visa und Mastercard? Würde es sie ohne die US-Kreditkartenfirmen überhaupt geben?
Das ist eine gute Frage! Visa und Mastercard haben auch in Europa einen Standard geschaffen und haben es einfacher gemacht, auch für Player wie N26. Da kann man nur Dankeschön sagen. Es gibt schon lange eine politische Diskussion, ob Europa von der Abhängigkeit von zwei amerikanischen Kartenfirmen wegkommen muss – so wie das die Russen und Chinesen auch gemacht haben.
Ich halte gar nichts davon. Man muss ganz strenge Regulierungen machen, das ist der richtige Weg. Die Gebühren für Kreditkarten sind in der EU drastisch niedriger als in vielen anderen Ländern. Wir müssen auch Daten streng regulieren. Aber es braucht dazu nicht die Etablierung einer eigenen europäischen Brand. Visa und Mastercard gibt es seit mehr als 50 Jahren. Das zu replizieren, da halte ich nichts davon. Versuche, in Europa einen Konkurrenten zu PayPal aufzubauen, sind auch kolossal gescheitert.
Apple und Google Pay aus dem Westen, Alipay und WeChat Pay aus dem Osten – gibt es für Europa überhaupt noch die Chance, ein eigenes Payment-System aufzubauen?
Ich finde super, was etwa Bluecode macht. QR-Payment hat sich in vielen großen Ländern wie China etabliert. als einzelne Firma ist es aber unheimlich schwer. China ist eine Sondersituation, das wird es nie wieder geben, dass sich Firmen völlig abgeschottet unter Schutz der Regierung von der Welt etablieren können. Alibaba hat diverse Kooperationen, etwa mit der Wirecard, abgeschlossen, um QR-Payment in Europa anzubieten – vor allem dort, wo viele Chinesen einkaufen. Das erhöht den Umsatz in den Geschäften.
N26, Klarna usw. haben bereits Bewertungen jenseits der 3 Milliarden Euro. Wie man von Startups und vor allem VCs weiß, arbeiten viele auf einen Exit hin. Aber: Welche Großunternehmen können sich diese Startups noch leisten?
Diese Fintechs haben definitiv das Potenzial, einen IPO zu machen, und der kann auch in den USA stattfinden. Viele Startups aus dem B2B-Bereich werden von Banken und Technologiefirmen gekauft werden. Aber auch große Banken könnten sich für einige Milliarden einen der Player kaufen. Die großen Tech-Firmen können ebenfalls spielend leicht solche Summen mobilisieren.
Kryptowährungen haben eine Revolution des Geldwesens versprochen. Primär geht es aber nach wie vor darum, Bitcoin zu traden, gleichzeitig gehen die Investments in startups in dem Bereich doch wieder zurück. Ist der Hype vorbei?
Wir bei Speedinvest haben eineinhalb Investments im Krypto-Bereich – von 140. Wir halten viel von der Blockchain-Technologie, die auch von Banken eingesetzt wird. Es waren aber wenige VC-Cases dabei bei dem, was wir gesehen haben. Die Krypto-Spekulation hat darüber hinaus nichts mit unserem Geschäft zu tun. Krypto ist als Asset-Klasse total ok, hat mit uns als VCs aber nicht zu tun. Uns brauchen unsere Investoren nicht dazu, um Bitcoin zu kaufen. Libra hat der ganzen Bewegung neues Leben eingehaucht, das ist sehr spannend.
Libra von Facebook und Co. bekommt seitens US- und EU-Behörden sehr viel Gegenwind. Ist das Projekt zum Scheitern verurteilt?
Libra wäre am Ende ein Standard, den man fast überall einsetzen kann. Für Händler kann das spannend sein, wenn sie Libra zusätzlich zur Karte, Paypal usw. akzeptieren. Libra kann auch in Schwellenländern sinn machen, wo es keine stabile Währung gibt. In Venezuela etwa würden viele Menschen dem Zuckerberg mehr trauen als dem Chavez. In unserer etablierten Finanzwelt ist Libra schon schwerer verdaulich.
Das Interessante an Kryptowährungen ist ja, dass sie nicht nur einen Geldwert haben, sondern man auch andere Dinge hineinpacken kann, wie etwa Loyalty-Programme.
Libra wird jedenfalls nicht kommen und unser gesamtes Geldsystem abschaffen, sondern es ist eine interessante Erweiterung. Für manche Usecases ist es interessant und für manche nicht. Ich würde dem sehr offen begegnen. Libra ist gut Aas unabhängiger Verein mit Sitz in der Schweiz aufgesetzt, da hängen dutzende der erfolgreichsten Konzerne der Welt dran, das muss man schon ernst nehmen.