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Wie ein Staat mit seiner eigenen Kryptowährung an reales Geld kommen will

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Es war als klare Weisung im Quartalsbericht Q3/2017 nachzulesen: Die Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) empfahl ihren Zentralbanken, dass sie sich mit der Thematik des digitalen Geldes auseinandersetzen sollen. Hinter der Erwähnung steckte die Sorge, dass elektronische Währungen ein Risiko für die Stabilität des Finanzsystems darstellen. Die Chancen für eine Neuerfindung des Geldes durch die Blockchain-Technologie sind nicht von der Hand zu weisen: Schutz vor Cyber-Attacken, Effizienzgewinne für Zahlungssysteme und Fälschungssicherheit – zudem eine umfassende Transparenz für die ausgebenden Stellen. Funktionen, die Bargeld nicht abbilden kann.

Sicherheit und Anonymität

Die Unzulänglichkeiten des Bitcoin werden annuliert: Mit den passenden Vehikeln werden keine Transaktionen für kriminelle Zwecke zugelassen, ohne dass die ausgebenden Stellen davon Wind bekommen. Jeder User ist in der Zukunft durch „Know your customer“-Prozesse registriert. Jeder seiner Schritte wird lückenlos nachverfolgbar sein. Ein anonymer Handel unter den Konsumenten, unter kompletter Nachvollziehbarkeit für die ausgebenden Stellen.

Darum bastelt die niederländische Zentralbank an einer Kryptowährung für interne Zwecke. Die USA prüfen laut Federal-Reserve-Gouverneur Jerome Powell Schritte in Richtung des digitalisierten Geldes. Dubai, Großbritannien, Schweden, Japan und Israel stehen wenige Monate vor den ersten Testphasen mit kryptographisch verschlüsselten Währungen.

Federführend bei der Ausgabe digitaler Währungen sind aber Staaten in wirtschaftlich prekären Situationen. Welchen Nutzen ziehen sie aus dem Geschäft mit den Coins?

Angst vor der Isolation

Die jahrzehntelange Misswirtschaft der sozialistischen Regierungen unter Hugo Chávez und Nicolás Maduro sowie langwierige Dürreperioden durch das Klimaphänomen El Niño zwangen den Bolívar in die Knie. Für 2018 rechnen Analysten des Internationalen Währungsfonds für Venezuela mit einer Inflationsrate von mehr als 2.300 Prozent. Venezolanische Staatsanleihen haben drei Viertel ihres Werts verloren. Allein 2017 büßte der Bolívar 97 Prozent seiner Kaufkraft gegenüber dem Dollar ein. Der Finanzausschuss des venezolanischen Parlaments errechnet einen Kaufkraftverlust von fast 2.000 Prozent für das abgelaufene Jahr.

70 Prozent Importe

Das hat dramatische Folgen für die Bevölkerung: 70 Prozent der Konsumgüter müssen importiert werden. Durch den Währungsverfall bedingte Lebensmittelengpässe und tagelange Stromausfälle lösten Hungersnöte und Revolten aus. 87 Prozent der Venezolaner gaben 2016 in einer Studie dreier Universitäten an, dass sie nicht genügend Geld hätten, um die dringendsten Bedürfnisse zu befriedigen. Der amtierende Präsident Maduro lieferte bisweilen eigenwillige Lösungen: Freitage wurden zu Feiertagen umdeklariert, Frauen wurde das Föhnen untersagt, um Energiekosten einzudämmen.

Zu 95 Prozent von Öl abhängig

Schuld an der Misere ist auch das Öl. Das schwarze Gold ist die ökonomische Arterie des Landes. In den vergangenen zehn Jahren stieg der Anteil der Ölverkäufe an den Staatseinnahmen von 68 auf 95 Prozent. Insgesamt verfügt das erdölreichste Land der Welt nach eigenen Angaben über Reserven von 267 Milliarden Barrel oder 42,5 Billionen Liter. Zur Einordnung: Pro Jahr werden weltweit 33,6 Milliarden Barrel produziert. Fünf Milliarden Barrel setzt die Regierung Maduro nun als Reserve für ihre neueste Idee ein: Mittels der Kryptowährung „Petro“ soll der schwelende „Finanzkrieg“ gegen die USA durch „neue Formen der internationalen Finanzierung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes“ flankiert werden.

Von Sanktionen zugeschnürt

Hintergrund: Die US-Regierung hat die Konten zahlreicher Schlüsselfiguren der Sozialistischen Einheitspartei Venezuelas (PSUV) eingefroren. Sanktion schnüren den Zugang des Landes zu internationalem Handel fast komplett ab. Durch die Ausgabe von 100 Millionen Petro und die Verpfändung von 100 Millionen Barrel der Erdölreserven wollte Maduro 5,9 Milliarden Dollar einnehmen und so die Sanktionen der USA umgehen, um an „reales“ Geld zu kommen, wie Maduro es formulierte. Der Wert jeder Einheit des Petro soll durch ein Barrel Rohöl gedeckt werden.

Eine Weltpremiere

In einer Pressekonferenz am Jahresende stellte Informationsminister Jorge Rodríguez den Januar 2018 als Starttermin in Aussicht. Damit wäre Venezuela das erste Land weltweit, das eine staatlich aufgelegte Kryptowährung ausgibt. Ein weiteres historisches Novum: Der Petro wäre die erste Kryptowährung, die durch Rohstoffe abgesichert wäre. Dadurch würde der Petro (in der Theorie) entscheidende Funktionen von Geld übernehmen: als Zahlungsmittel, als Werteinheit und als Weg zur Wertaufbewahrung. Bitcoin, Monero und Co. können das nicht abbilden. Die staatlich gelenkte Kryptowährung hingegen würde zu einem schnell und unkompliziert handelbaren Rohstoff-ETF werden, der auf der Blockchain-Technologie basiert. Die sozialistische Regierung feiert ihre Vorreiterrolle.

Kein Vertrauen, kein Geschäft

Allerdings fehlen Venezuela essenzielle Faktoren, um eine erfolgreiche Kryptowährung zu platzieren. Vor allem das Vertrauen der eigenen Bevölkerung. Durch die brutalen Lebensbedingungen und die hanebüchenen Versuche der Regierung, der Wirtschaftskrise Herr zu werden, wird jeder neue Versuch belächelt. Zudem fehlt es im erdölreichsten Land der Welt wie eingangs beschrieben an Strom. Das Mining als dezentrale Kontrollinstanz erfordert viel Rechenkapazität und damit Elektrizität. Und das von der Opposition dominierte Parlament legt sich quer: Es stufte die Einführung der Kryptowährung als Verfassungsbruch ein.

Verfassungswidrig, sagt die Opposition

Da jeder Petro-Coin mit fossilen Reserven hinterlegt sei, handle es sich nach Ansicht des Opposition um eine verfassungswidrige Form der Schuldenaufnahme, der die Abgeordneten hätten zustimmen müssen. In der Vergangenheit, vor allem nach der Niederlage seiner Partei bei den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr, hatte Maduro die Weisungen der Legislative allerdings schon des Öfteren ignoriert. Auch, weil das Verfassungsgericht seine Handlungen bisweil unterstützte. Jetzt forderte Maduro zehn südamerikanische Nachbarstaaten dazu auf, seinen Kurs mit dem Petro zu unterstützen und den Handel nach der Emission anzukurbeln. Die Angst vor einem Scheitern scheint groß.

Russland in der Krise

Knapp 10.000 Kilometer weiter östlich, eine geografische und – spätestens seit der Regierungszeit Wladimir Putins – auch politische Weltreise entfernt, hat man ähnliche makroökonomische Probleme. Auch in Russland drückt der niedrige Öl-Preis die Exportquote, und die Banken stecken in einer tiefen Sinnkrise. Seit 2013 wurden 338 Finanzhäuser geschlossen. Mitte Juli entspann sich der größte Versicherungsfall in der Geschichte des Landes, als die Jurga-Bank unter staatliche Kontrolle gestellt wurde. Die Zentralbank stopft die Finanzlöcher ihrer Banken mit massiven geldpolitischen Eingriffen. Nur so wird der Systemkollaps abgewehrt. Geld wird kaum mehr verliehen. Niemand kauft russische Staatsanleihen. Im Gegenzug stockt Russland seine Goldreserven auf. Seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise und der Annexion der Krim stiegen die Goldkäufe sprunghaft an. Der Bestand ist mit 1.650 Tonnen so hoch wie seit dem Ende der Sowjetunion nicht mehr. Moskau rüstet sich für harte Zeiten.

Wenn Verbote ins Leere greifen

Der Bitcoin-Hype kam für Putin zur Unzeit. Die Bevölkerung sehnt sich nach Alternativen zum wackeligen Rubel, und der Präsident hatte erkennen müssen, dass den Kryptowährungen mit Gesetzen nicht allzu leicht beizukommen war. Nach dem Verbot der beiden größten russischen Börsen war das Handelsvolumen zwar von 90 auf 50 Prozent geschrumpft, allerdings handelten die Russen nicht weniger. Sie wechselten nur die Börsen. Der Schwerpunkt verlegte sich ins Bitcoin-liberale Nachbarland Japan.

Digitale Staatswährung?

Seit dem Sommer 2017 prüfen die russischen Behörden, wie das Land die Blockchain und verschiedene Token nutzen könnte, um westliche Sanktionen zu umgehen. In den ersten Tagen des neuen Jahres verdichteten sich die Gerüchte, denen zufolge Russland eine digitale Staatswährung in Umlauf bringen werde. Die Financial Times berief sich auf Aussagen des Putin-Wirtschaftsberaters Sergei Glasjew, der von einem „Krypto-Rubel“ sprach. Russland ist seit Ausbruch der Ukraine-Krise auf der Suche nach einem Ausweg aus der wirtschaftlichen Umklammerung. Vor allem das SWIFT-Monopol für die Abwicklung internationaler Finanztransaktionen dient den USA als Daumenschraube für die Sanktionen gegen Technologie- und Energieunternehmen aus Russland.

Der digitale Rubel

Im Oktober entbrannte ein Streit zwischen Putin-Getreuen und Vertretern der russischen Zentralbank und des Finanzministeriums. Stein des Anstosses war ein Whitepaper, das der Minister für Telekommunikation, Nikolai Nikiforow, Regierungsmitgliedern im Rahmen der Gespräche über eine Regulierung des Kryptomarkts präsentierte. Das Strategiepapier zeichnete einen Plan für einen staatlich gelenkten, digitalen Rubel. Das selbstregulative System des Bitcoin solle ebenso wenig eine Rolle spielen wie das Mining. Die Zügel sollen in der Hand der Regierung liegen. Ende November sprach er sich erneut gegen die Legalisierung des „ausländischen Projekts“ Bitcoin in Russland aus. Nikoforow verwies hingegen auf die Vorteile einer staatlichen Kryptowährung: Durch die anonymen Transaktionen könnten Export-Verbote umgangen werden, zudem wäre jede Überweisung nachvollziehbar und geschützt vor Cyberkriminalität.

Gemeinsam statt allein

Das stieß auf wenig Gegenliebe bei seinem Pendant im Finanzministerium. Alexei Moiseev merkte an, dass eine eigene Digitalwährung die Grundprinzipien der Zentralbanken obsolet machen würden und ein Krypto-Rubel die finanzielle Stabilität des Landes gefährden würde. Aus der Zentralbank meldete sich die stellvertretende Präsidentin, Olga Skorobogatova, zu Wort. Sie bekundete, dass die Zentralbank „eine supranationale digitale Währung innerhalb der BRICS oder der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAG)“ erwägt. Eine gemeinsame Kryptowährung für mehrere Länder hielte sie für viel versprechender als den Alleingang einer Nation.

Allein statt gemeinsam

Im ehemaligen Sowjetstaat Estland hat man schwere Umwälzungen gerade hinter sich. Ende 2016 wurde Estlands Ministerpräsident Taavi Rõivas durch ein Misstrauensvotum gestürzt. Rund ein Viertel der 1,3 Millionen Esten gehört der russischsprachigen Minderheit an. Spannungen entwickelten sich aufgrund der Entwicklungsgeschwindigkeit des ländlichen Raums. Während IT-Industrie, eine einheitliche Einkommensteuer von 20 Prozent und ein aufkeimender Tourismus in der Hauptstadt Tallinn viele ausländische Investoren in die Hauptstadt lockten, fühlten sich die östlichen Regionen vom Wirtschaftswachstum ausgegrenzt. Die prorussische Zentrumspartei heizt die Tallinn-feindliche Stimmung zusätzlich an und führt nach dem Zusammenbruch der Koalition 2016 unter dem 40-jährigen Jüri Ratas die Regierungsgeschäfte.

Staatlicher Estcoin

Kaspar Korjus regte im August 2017 mit einem Blogpost einen ICO des Landes an, um den staatlich ausgegebenen Estcoin zu finanzieren. Das baltische Land hatte in der zweiten Jahreshälfte die EU-Präsidentschaft übernommen und mit seinem E-Residency-Programm im Vorfeld viele Pluspunkte gesammelt. Die E-Residency erlaubt es Menschen auf der ganzen Welt, auf staatliche Services Estlands zuzugreifen. Jeder Teilnehmer bekommt eine Art elektronischen Pass, mit der Unternehmensgründung und Steuerangelegenheiten nach EU-Recht möglich sind. Vor allem digitale Nomaden aus der IT-Branche sollen damit angelockt werden. Korjus hatte diese Idee nicht alleine entwickelt. Regierung, Zentralbank und Unternehmer hatten ihn unterstützt.

Die Krypto-Residents Estlands

Der Estcoin soll dann für Transaktionen mit der Regierung – etwa Steuern und Behördendienst – genutzt werden können. Das Geld aus dem ICO könnte für weitere Digitalisierungsschritte genutzt werden. Etwa nach dem Vorbild von Norwegen, das Gewinne aus seinen Ölquellen in einem speziellen staatlichen Investmentfonds sammelt und für Finanzierungen der digitalen Services der Behörden nutzen. Einen Monat später erteilte EZB-Chef Mario Draghi den Plänen eine klare Absage. „Die einzige Währung Europas ist der Euro. Kein Mitgliedstaat kann seine eigene Währung schaffen“, so der ehemalige Goldman-Sachs-Vize. Die Esten ruderten zurück: Der Estcoin solle keine Währung sein, sondern ein „Community-Coin“ für die Teilnehmer des E-Residency-Programms. Die Token sollten nun in drei verschiedene Funktionsformen unterteilt werden: Community-Estcoins, Identity-Estcoins und Euro-Estcoins. Alle drei könnten theoretisch realisiert werden, heißt es.

Belohnungssysteme

Digitale Staatsbürger würden die Estcoins als Belohnung erhalten, wenn sie in den sozialen Netzwerken Stimmung für das E-Residency-Programm machen würden – analog zur Bounty-Systematik bei privatwirtschaftlichen ICOs. Die direkt an eine Person gebundenen Identity-Coins würden den E-Residents die Möglichkeit geben, Dokumente zu unterschreiben oder Smart Contracts aufzusetzen. ID-Karten wären überflüssig. Die dritte Ausbaustufe käme einer digitalen Währung am nächsten. Der Euro-Estcoin soll laut Korjus’ Plänen an den Euro gekoppelt sein und Transaktionen zwischen den E-Residents möglich machen. 2018 will Estland die Pläne weiter forcieren und neue Allianzen knüpfen.

Das Ende des physischen Geldes

Staatlich motivierte digitale Währungen entpuppen sich nicht als Konkurrent zum alternativen Kryptomarkt. Sie sollen das Bargeld ersetzen. Die Experten der BIZ verweisen auf Skandinavien, und dort im Speziellen auf Schweden. In den vergangenen Jahren verfolgte Stockholm eine konsequente Politik, die das Bargeld mehr und mehr in den Hintergrund rückte. Währenddessen entwickelten die Banken einen bunten Blumenstrauß an elektronischen Bezahlmöglichkeiten via Smartphone und Laptop. Mittlerweile hat – gemessen an der Wirtschaftsleistung – kein anderes Land weniger Münzen und Banknoten im Umlauf als Schweden. Das bindet die Menschen näher an die Banken und schafft Platz für neue Produkte. Die Vorteile von Bitcoin, Eher oder Ripple werden genutzt, die Unwägbarkeiten ausgeklammert. Und siehe da: Die schwedische Zentralbank arbeitet tatsächlich an der eKrona. Bis Ende 2019 will sich die Riksbank für die Entscheidung Zeit lassen, ob die eKrona eingeführt werden soll oder eben nicht.

Gemeinsam mit der Rechercheplattform addendum hat Trending Topics ein Rechercheprojekt zum Thema Blockchain durchgeführt. Dieser Artikel wurde zuerst hier veröffentlicht und ist ab jetzt auch auf Trending Topics zu lesen.

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