Stablecoins: Vom Rundungsfehler des Geldsystems zu „Too Big to Fail“
90 Billionen Euro Geld gibt es grob gerechnet auf der Welt. Also 90.000.000.000.000 Euro. Was sind da im Vergleich schon 25 Milliarden Dollar, die derzeit so genannte Stablecoins am Krypto-Markt in etwa wert sind? Extrem wenig, es sind lediglich 0,03 Prozent, also eigentlich ein Rundungsfehler. Nicht einmal der gehypte Bitcoin bei diesen Dimensionen ins Gewicht, dessen Marktkapitalisierung von 355 Milliarden Dollar sind zarte 0,4 Prozent der gesamten analogen und virtuellen Geldmenge, die auf dem Globus unterwegs ist.
Und trotzdem sind Stablecoins zum Politikum geworden. Denn während Euro, Dollar und Yuan die Zentralbanken herausgeben, kommen Stablecoins wie Tether (USDT), USD Coin (USDC) oder BUSD von Pivatunternehmen, denen in der traditionellen Finanzwelt wenig bis gar kein Vertrauen geschenkt wird. Sie werden schon mal als „unbeaufsichtigtes Schattenbanksystem“ von Vertretern der Nationalbanken bezeichnet, mit „abenteuerlichen Konstruktionen und Nutzerrisiken“.
Tether wurde zum Quasi-Standard
Das hindert hunderttausende Krypto-Trader aber nicht daran, Tether und Co tagtäglich bei ihren Trades zu verwenden, um nicht mühsam Dollar und Euro gegen Bitcoin und Co tauschen zu müssen. Besonders Tether (USDT) ist heiß begehrt: 2020 ist die Menge der im Umlauf befindlichen USDT-Coins explodiert, sie verfünffachte sich in punkte Menge von vier auf knapp 20 Milliarden Dollar.
Auch der zweitgrößte Stablecoin am Markt, der USD Coin des Unternehmens Circle, ist 2020 spektakulär gewachsen, und zwar von 500 Millionen auf 3,2 Milliarden Dollar – eine Versechsfachung der Menge. Auch viele andere Stablecoins zeigen nach oben:
„Tether is Too Big To Fail„, meinen Beobachter bereits. Mittlerweile wird mehr Tether als Dollar genutzt, um Bitcoin zu handeln – eine ganze Industrie – die Crypto-Industrie nämlich – baut mittlerweile zu guten Teilen auf dem kontroversen Stablecoin auf. Kontrovers deswegen, weil gar nicht klar ist, ob und durch was die etwa 20 Milliarden USDT überhaupt gedeckt sind (Dollar? Andere Kryptowährungen?). Es ist ein großes Schwarzes Loch, dass sich da in der Industrie auftut, aber der Industrie scheint es egal zu sein – sie nutzt Tether (und zunehmend auch andere Stablecoins) immer intensiver.
Tether CTO Paolo Ardoino: „This Time, Institutional Money is Infusing Bitcoin’s Gains“
EU und USA wollen hart eingreifen
In den USA und der EU sind Stablecoins bereits ins Visier geraten. Ein Rundungsfehler im Geldsystem ist es keiner mehr, vielmehr sehen immer mehr Politiker die Stablecoins, die Privatunternehmen unter undurchsichtigen Bedingungen „drucken“, immer skeptischer. In der EU soll eine neue Regulierung für Krypto-Assets dafür sorgen, dass Stablecoins in einer Menge von mehr als 5 Millionen Euro eine Zulassung brauchen werden. Das wird noch spannend, ob Firmen wie Tether/Bitfinex (Bahamas) oder Stasis.net (EURS-Token, Isle of Man) sich überhaupt regulieren lassen – oder ob sich ihre Stablecoins einfach weiter digital von Wallet zu Wallet verbreiten werden.
Stablecoins werden in der EU ab 5 Millionen Euro eine Zulassung brauchen
Auch in den USA sind Stablecoins ins Visier der Regulierungsbehörden geraten. Passenderweise STABLE Act genannt (kurz für „Stablecoin Tethering and Bank Licensing Enforcement“) , fordern Kongressabgeordnete bereits die Bändigung von Stablecoins durch neue Gesetze. Jeder, der einen Stablecoin am US-Markt anbieten will, soll künftig eine Banklizenz und eine Zulassung durch die Federal Deposit Insurance Corporation, den Einlagensicherungsfonds der Vereinigten Staaten, benötigen. Heißt im Klartext: Man wird beweisen müssen, dass die Stablecoins durch einen Wert gedeckt sind und nicht nur aus heißer Luft produziert werden.
Nach wie vor wartet die Branche immer noch auf einen großen Player: Facebook. Sein Diem-Projekt (zuvor Libra) versucht nach wie vor, Erlaubnis für seinen Stablecoin in der Schweiz zu bekommen. Die ambitionierten Pläne, den Wert aus einem Korb verschiedener Währungen zu gestalten, wurden aber aufgegeben. Der Diem-Token soll erst mal an den Dollar gebunden werden.
Werden CBDCs private Stablecoins verdrängen?
Zentralbanken wie jene der EU und vieler anderer Länder wollen sich außerdem vorbehalten, auch selbst Stablecoins herauszugeben – so genannte Central Bank Digital Currencies, kurz CBDCs. China ist mit dem digitalen Yuan bereits zum Vorreiter geworden und testet emsig – in anderen Ländern von Schweden bis Japan wird stark in die Richtung hin überlegt. Werden diese heutige privatwirtschafliche Stablecoins verdrängen können?
Der Markt soll entscheiden, meint Tether-Mastermind Paolo Ardoino: „Zentralbank-Digitalwährungen sollten nicht als Konkurrenz zu Tether betrachtet werden. Wir glauben an die Wahlfreiheit der Verbraucher. Wenn Verbraucher CBDCs oder lieber Stablecoins wie Tether verwenden möchten, ist das ihr gutes Recht. Für uns ist das Aufkommen von CBDCs eine starke Bestätigung der zugrunde liegenden Technologie, von der Tether und andere Stablecoins nur profitieren können.“
Vor Regulierung hat Ardoino keine Angst. Virtual Asset Service Providers (VASPs) wie Tether/Bitfinex würden vielleicht Firmenentitäten in der EU einrichten müssen und verdächtige Aktivitäten und Transaktionen melden müssen. Doch am Ende würde es Koexistenz geben. „Stablecoins konkurrieren nicht mit Fiat; Stablecoins ergänzen Fiat und erhöhen die Effizienz in Bereichen, in denen veraltete Fiat-Strukturen mangelhaft sein können.“
„Bisher existierende Stablecoins fungieren als eine Art unbeaufsichtigtes Schattenbanksystem“