Starbike: Wie Crowdinvestoren einen Fahrradladen durch die Krise retten
Es ist Freitag, früher Abend, und die Sonne senkt sich über dem Wiener Nordbahnviertel. Martin Tolksdorf und Michael Knoll stehen vor ihrem Fahrradladen und stoßen mit ihren Mitarbeitern mit einem Bier auf eine erfolgreiche Woche an. Sie schauen müde aus, aber auch zufrieden. Denn sie verkaufen mehr Fahrräder denn je, haben kürzlich einen neuen Mitarbeiter eingestellt und haben der Bank kürzlich gesagt, dass sie die Unterschrift für die geplante Überbrückungsfinanzierung doch nicht machen werden. Und das alles mitten in der Corona-Krise. Was ist da bloß passiert?
“Als sich der Lockdown abgezeichnet hat, haben wir sofort Kontakt mit unserer Bank aufgenommen. Uns war klar: Wenn wir zum Saisonstart zusperren müssen, brauchen wir eine Zwischenfinanzierung”, sagt Martin Tolksdorf. Er hat gemeinsam mit Michael Knoll vor vielen Jahren Starbike gegründet. Im Oktober 2019 sind sie ins Nordbahnviertel gezogen, dort, wo gerade ein komplett neues Grätzel entsteht. Es ist die erste Saison (Fahrradgeschäft ist Frühlingsgeschäft) am neuen Standort, und die ist verlaufen wie eine Achterbahnfahrt.
„Die Arbeit ist explodiert“
“Es brummt jetzt richtig, mehr als sonst. Die Arbeit ist explodiert”, sagt Tolksdorf. Dass Starbike seit kurzem wieder geöffnet hat und Fahrräder an die Kundschaft verkaufen kann (Sidenote: Gravel Bikes sind derzeit der Renner), haben die beiden Geschäftsführer der Crowd zu verdanken.
Denn nachdem sie kurz vor Lockdown bei der Bank eine Zwischenfinanzierung beantragten und in Warteposition gingen, machte ein Mitarbeiter sie auf Conda hilft aufmerksam – eine Aktion der Wiener Crowdinvesting-Plattform zur schnellen Unterstützung für Corona-geschädigte Unternehmen. „Conda waren die einzigen, die unser Tempo gehen konnten – weder die Banken, noch aws, noch Lieferanten, noch Vermieter konnten oder wollten nicht”, sagt Knoll.
Seit einer Woche ist klar: Starbike konnte mit einer Crowdinvesting-Kampagne knapp 105.000 Euro einsammeln – das Dreifache dessen, was sie ursprünglich angepeilt haben. “Diese Kampagne hat uns nicht nur Geld gebracht, sie hat uns auch viel Reichweite und Aufmerksamkeit geschenkt. Die Leute haben gesehen, dass wir den Kopf nicht in den Sand stecken, und so haben uns viele weiterempfohlen”, sagt Michael Knoll. Viele Stammkunden hätten ihnen Nachrangdarlehen gegeben, einige Freunde, aber auch viele Fremde. Zusammengekommen ist genug Geld, um durch die Krise zu kommen und sogar noch einen neuen Mitarbeiter aufnehmen zu können.
„Das Wachstum derzeit ist absurd“
“Urlaubsreif ist ein gutes Wort für uns. Wir haben uns erst gestern angesehen, was wir die letzten Wochen alles gemacht haben. Die Zahlen sind bizarr, das Wachstum ist derzeit absurd. Auch wenn wir uns die Corona-Krise nicht noch mal wünschen – aber die Steigerung, mit der hat keiner gerechnet”, sagt Knoll. Jetzt sitzt er geschafft, aber glücklich auf dem Hocker im Fahrradgeschäft, in dessen große Fenster die Sonne lacht, und nippt am Feierabend-Bier. Vor wenigen Wochen mussten er und sein Geschäftspartner noch fürchten, nach dem Lockdown nicht mehr öffnen zu können. Jetzt verkaufen sie mehr Fahrräder als in den Jahren zuvor.
Da spielen ihnen natürlich mehrere Faktoren in den Karten. Die Crowd-Kampagne hat ihnen viel Aufmerksamkeit verschafft, und: “Es hilft uns, dass die Leute jetzt nicht mehr gerne Öffis fahren, dass die Leute ihr Urlaubsgeld für andere Dinge ausgeben wollen, und das Wetter spielt uns natürlich auch in die Karten”, sagt Tolksdorf. Nicht zu vergessen: Die großen Sportartikelhändler durften erst später als kleine Shops öffnen, und so mancher Kunde geht in der Corona-Krise bevorzugt und bewusst zum lokalen Händler, anstatt bei großen Ketten oder im Netz zu kaufen.
Mit der Crowdinvesting-Kampagne konnten sie etwa 150 Investoren davon überzeugen, Beträge zwischen 100 und 5.000 Euro zu leihen. Das Nachrangdarlehen sieht vor, dass Starbike das Geld nach fünf Jahren wieder zurückgezahlt hat, und zwar inklusive Zinsen von 8 Prozent p.a. Diese Zinsen werden als Wertgutscheine von Starbike an die Geldgeber ausgezahlt.
“Als Unternehmer musst du was unternehmen“
Ein Fahrradgeschäft, dass der Krise mit Hilfe von Crowdinvestoren trotzt – eine schöne Erfolgsgeschichte. “Als Unternehmer musst du was unternehmen. Wenn du dich hinsetzt und glaubst, dass du keinen Umsatz mehr machst, dann wirst du auch keinen Umsatz mehr machen“, sagt Tolksdorf.
Doch würde der Trick ein zweites Mal gelingen? Wahrscheinlich nicht. “Ein zweiter Lockdown, das wäre brutal. Wenn wir noch einmal zusperren müssen, dann wird es eng. Das wäre ein Szenario, dass wir wahrscheinlich nicht überleben würden“, sagt Tolksdorf. Glück und Zufall waren auf der Seite von Starbike: Sie gingen als erste Firma in Österreich mit einer Crowd-Kampagne in die Krise und hatten so schnell die Sympathien auf ihrer Seite.
“Wenn wir das nicht geschafft hätten, dann hätten wir zusperren müssen”, sagt Geschäftspartner Knoll. “Wir sind noch nicht in der Abfahrt, aber schon ziemlich in der Nähe des Gipfels. Auch wenn das Geschäft jetzt brummt, werden wir sehr konservativ planen.” Das Fahrrad beim Grätzel-Händler, das man via Social Media entdeckt – bei genauerer Betrachtung spielt sich das Business von Starbike an der Schnittstelle dreier großer Trends ab, auf die auch die Regierung stark setzt: Digitalisierung, Regionalisierung, Klimaschutz.
eCommerce ist nicht die Rettung
Doch gerade die Digitalisierung, die durch die Krise beschleunigt wird und vor allem für den Handel als Rettungsanker und künftiges wichtiges Standbein bezeichnet wird, die ist so eine Sache. “In meinem früheren Leben habe ich Digital-Marketing gemacht. Aber ich bin kein besonders großer Freund der Digitalisierung“, sagt Knoll. „Die ist seit 30 Jahren Fakt, aber als Einzelhändler nehme ich mir das Recht heraus, dass ich auf eCommerce verzichte. Das hier ist mein Ladenlokal, das ist meine Einkaufserfahrung in meinem Geschäft, man kann zu mir kommen, das Radl angreifen. Natürlich macht man online Werbung dafür, aber ich will nicht gezwungen sein, sich den Online-Preisschlachten stellen zu müssen. Wir können nicht den gleichen Service bieten wie ein Amazon mit 1.000en Mitarbeitern.” Er sehe trotz allem „rosige Aussichten“ für Händler, die offline verkaufen wollen.
Wenn es für Starbike weiter so läuft wie derzeit, dann werden sie dieses Jahr wohl mehr Umsatz machen als in den Jahren zuvor – trotz Corona-Krise. Wenn bestimmte Umsatzziele erreicht werden (und danach sieht es aus), werden die Investoren ihr Geld sogar mit Bonuszinssatz zurück bekommen – und dann wiederum als Kunden im Geschäft aufschlagen. Tolksdorf: “Das wird noch spannend, wenn alle 150 Investoren gleichzeitig zum Service kommen wollen.”