Statt Atombombentests: Forscher:innen entdecken neue Blauwal-Population
Einen Blauwal mit eigenen Augen zu sehen, ist gar nicht so einfach. Obwohl wie zu den größten Tieren der Erde zählen – ein einzelner Blauwal kann so viel wiegen wie 33 Elefanten – sind sie schwer zu entdecken. Durch den kommerziellen Walfang im 20. Jahrhundert an den Rand des Aussterbens gebracht, stehen sie heute auf der Liste der gefährdeten Arten. Ihre Zahl ist gering und zudem leben Blauwale meist einsam über die Ozeane verteilt. Doch das ist nicht immer so: Ein Team von Wissenschaftler:innen gab in der Zeitschrift Nature bekannt, dass sie eine neue Population von Zwergblauwalen mitten im äquatorialen Indischen Ozean entdeckt haben. Zu verdanken haben sie das einem System, das eigentlich dem Aufspüren von Atomtests dient.
Netz aus mehr als 300 Messstationen
Das International Monitoring System (IMS), das im Rahmen des Comprehensive Nuclear Test-Ban Treaty (CTBT) eingeführt wurde, diente den Forschenden als Hilfsmittel. Mit dem System lassen sich Nuklearexplosionen erkennen und damit verbundene illegale Kernwaffentests identifizieren. Laut CTBT besteht es aus einem globalen Netz von mehr als 300 Messstationen, die über 89 Länder rund um den Globus verteilt sind. Die vom System gesammelten Daten werden in der Zentrale der „Organisation des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen“ in Wien gesammelt und dort für zivile und wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung gestellt. Meeresforscher:innen machen sich zunutze, dass die Stationen nicht nur die Strahlenbelastung in ihren Regionen messen, sondern auch andere Parameter wie Seismik, Infraschall und Hydroakustik. Gerade für Walgesänge bietet sich das an: Sie breiten sich unter Wasser schneller aus als über Luft, können lauter sein als Düsentriebwerke und sind unter Wasser bis zu 1.000 Meilen weit zu hören.
Aufzeichnungen aus 20 Jahren
Doch so leicht war es nicht, die Walgesänge ausfindig zu machen. Die Forscher:innen durchforsteten die Unterwasseraufnahmen von sechs verschiedenen Stationen aus einer Zeitspanne von zwanzig Jahren, um die Gesänge der neuen Blauwalpopulation zu entdecken. „Zuerst fielen mir viele horizontale Linien im Spektrogramm auf“, sagte die Bioakustikerin Emmanuelle Leroy, eine Hauptautorin der Studie, im Bulletin of Atomic Scientists. „Diese Linien bei bestimmten Frequenzen spiegeln ein starkes Signal wider, es war also eine Menge Energie vorhanden.“ Die Gesänge variierten dabei je nach Jahreszeit, wodurch die Forschenden davon ausgingen, dass die Wale im Indischen Ozean wandern und bis in den Norden Westaustraliens und möglicherweise bis nach Sri Lanka vordringen. Es stellte sich heraus, dass es im Indischen Ozean eine größere Vielfalt an Zwergblauwalen gibt, als bisher bekannt. Die Wissenschaftler nannten die entdeckte Zwergblauwal-Population „Chagos“, nach der Inselgruppe im Indischen Ozean, bei welcher sie entdeckt wurden. Die Chagos-Wale hat bisher jedoch trotzdem noch niemand zu Gesicht bekommen. Blauwalpopulationen werden aufgrund ihrer Zurückgezogenheit meist durch Geräusche und nicht durch Sichtkontakt identifiziert.
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Erster Schritt, um Blauwale zu schützen
Jetzt, da die Wissenschaftler:innen von der Existenz der Blauwalpopulation wissen, können sie sich dafür einsetzen, diese gefährdeten Riesen zu schützen. Denn ohne temporäre Schutzzonen, in denen Seeleute aufgefordert werden, ihre Geschwindigkeit zu verringern oder die Wanderrouten zu meiden, können Boote mit Walen kollidieren und diese töten oder verletzen oder Lärm erzeugen, der ihr Fütterungs-, Fortpflanzungs- und Sozialverhalten stört. Auch die Internationale Walfangkommission, die das sogenannte Global Whale Entanglement Response Network beaufsichtigt, benötigt aktuelle Informationen über die Lebensräume der Wale, um Wale zu befreien, die sich in Fischernetzen verfangen haben. Auch Wissenschaftler:innen und Umweltschützer:innen nutzen Informationen über die Lebensräume der Wale für ihre Arbeit. Wie Studienautorin Leroy im Wissenschaftsmagazin Science Daily sagte: „Die Entdeckung einer neuen Population ist der erste Schritt, um sie zu schützen.“