Streit, ob Atomkraft als „nachhaltige“ Energiequelle gelten soll
Auf der derzeitigen Weltklimakonferenz COP26 deutet vieles darauf hindeutet, dass Staaten sich in den nächsten Jahren verstärkt von der Kohle abwenden. Der Schlüssel zur Dekarbonisierung ist aus Sicht von Wissenschaftler:innen weltweit ohnehin der Ausbau Erneuerbarer Energien. Und doch hat die Klimakrise und die damit verbundenen Herausforderungen auch die Stimmen lauter werden lassen, die für eine Renaissance der Atomkraft als günstige, nachhaltige Energiequelle werben.
Frankreich deckt laut Angaben des Klimaministeriums etwa 70 Prozent seines Strombedarfs aus Atomstrom. Deshalb spricht sich das Land dafür aus, Atomenergie in die EU-Taxonomie aufzunehmen. Mit dieser soll eine innerhalb des Staatenverbundes gültige Definition von ökologisch nachhaltigen Aktivitäten und Investitionen geben. Wird die Kernenergie in der Klassifikation aufgenommen, gilt die Energiequelle damit im Prinzip als „nachhaltig“. Dadurch könnte sie leichter durch grüne Finanzinvestments gefördert werden. Gegen die Aufnahme der Atomkraft in der Taxonomie hat sich jedoch Widerstand gebildet.
Klimalösung? Energiekrise lässt Disput zur Atomkraft neu entflammen
EU-Minister positionieren sich gegen Kernenergie
Die EU-Kommission schließt selbst nicht aus, dass Atomstrom in die Taxonomie aufgenommen wird. Doch schon jetzt stellen sich EU-Minister:innen gegen diesen Schritt. Auf einer Pressekonferenz am Donnerstag in Glasgow positionierten sich Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) und ihre Amtskolleginnen aus Deutschland, Luxemburg, Dänemark und Portugal gegen die Kernenergie.
Bei der Konferenz mit dem Titel „Gemeinsame Deklaration für eine atomfreie Taxonomie“ sagte Gewessler, dass die Taxonomie dafür da sei, Investor:innen einen Kompass bei nachhaltigen Investments zu geben. Würde die Kernkraft darin aufgenommen werden, würde das der Glaubwürdigkeit der Taxonomie schaden. Ein „Greenwashing“ der Taxonomie wolle man nicht zulassen. Zudem könne die Kernenergie allein rechtlich nicht Teil der Taxonomie werden, weil sie der Klausel widerspreche, wonach Technologien sicher sein müssen. Es gebe bessere Technologien, die nachhaltig, günstiger und sofort verfügbar seien. Gemeint sind Erneuerbare Energien wie etwa Wind- und Solarkraft.
COP26 nähert sich dem Ende
Auch Carole Dieschbourg, die Umweltministerin von Luxemburg, betonte, dass die Bauzeiten für Kernkraftwerke lang sind und die Projekte teuer. Zudem seien die wirklichen Kosten der Atomenergie noch höher, da AKW nicht versicherbar sind und Abfälle produzieren, der über Jahrtausende strahlt und verwahrt werden muss. „Kernkraft ist zu teuer, zu riskant und zu langsam“, sagte Dieschbourg. Auch aus ihrer Sicht sei es besser, Geld besser in Erneuerbare Energien zu investieren.
Die Initiative der fünf EU-Minister kommt kurz vor dem Ende der Weltklimakonferenz COP26, das für Freitagabend geplant ist. Laut Ankündigungen legt der britische Vorsitz heute einen neuen Entwurf für die Abschlusserklärung vor. Rund 200 Staaten müssen den finalen Erklärungstext dann gemeinsam offiziell beschließen. Im Laufe des Tages entscheidet sich, ob die Klimakonferenz ins Wochenende hinein verlängert wird, wie es auch bei vergangenen Konferenzen schon der Fall war.