Tel Aviv: Mit der „80 Prozent-Kultur“ zum weltbekannten Startup-Hub
Venture Capital 2018:
Deutschland + Schweiz + Österreich = ca. 4,4 Milliarden Euro
Israel = ca. 6,4 Milliarden Dollar.
Hm.
Wer mit der Erwartung am Ben Gurion Airport bei Tel Aviv aus dem Flughafen steigt, in einem Hightech-Mekka gelandet zu sein, wird zuerst einmal enttäuscht. Der Taxifahrer fummelt minutenlang mit der Kreditkarte herum, der Check-in im Hotel verursacht Papierkram, und die E-Scooter draußen am Rothschild Boulevard, gähn, die kennt man in Wien auch schon seit Monaten.
Milliarden-Exits am laufenden Band
Trotzdem. Tel Aviv gilt neben dem Silicon Valley, New York, London und zunehmend chinesischen Metropolen als DER Startup-Hotspot der Welt. 19 Exits jenseits der 100-Millionen-Marke hat das kleine Land mit 8,7 Millionen Einwohnern zwischen 2012 und 2018 produziert – der Verkauf von ICQ (erinnerst du dich noch? „Pling“) an AOL um 287 Millionen Dollar machte den Auftakt, dann folgten etwa Waze (2013 um 1,1 Mrd. Dollar an Google), Viber (2014 um 900 Mio. Dollar an Rakuten) oder Mobileye (2017 um 15,3 Mrd. Dollar an Intel).
6.500 Hightech-Firmen gibt es in Israel, jedes Jahr kommen zwischen 1.200 und 1.500 neue Startups dazu, 350 multinationale Konzerne (darunter Facebook, Apple, Google, Amazon) haben sich angesiedelt. “Alle Top-Unternehmen der IT-Branche sind hier. Aus diesen Firmen kommen so viele gut ausgebildete Leute ins Ökosystem, das kann man gar nicht überbewerten”, sagt Gigi Levy-Weiss. Er ist einer der aktivsten Business Angels des Landes (120 Investments, 40 Exits), leitete einst das Gaming-Startup Playtika (Exit um 4,4 Mrd. Dollar nach China) und berät heute etwa Facebook und Bertelsmann.
Der „Mum“-Test
Gründungen, Investments, Exits – Zahlen sind gut und schön, doch Levy-Weiss sieht den Hauptgrund für den nahrhaften Startup-Boden Israels in der Kultur. Dazu hat der den „Mum-Test“ entwickelt. “Frag eine Mutter, was sie sich wünscht, dass ihr Kind wird. Wenn ich in Japan frage, sagen die Mütter, sie wollen, dass die Kinder in einem Unternehmen unterkommen. In Israel sagen sie: Ich will, dass mein Kind ein Tech-Entrepreneur wird.”
In Israel wird Kindern und Jugendlichen Entrepreneurship und Tech von jung an antrainert. In dem kleinen Land kennt fast jeder über Ecken einen, der bei Facebook oder Amazon arbeitet oder schon mal ein Startup gegründet hat. Im Alter von 16 Jahren treten dann die IDF, die „Israel Defense Forces“, auf den Plan. Weil Israel von nicht unbedingt wohlgesonnenen Ländern umgeben ist und mit diesen seit der Staatsgründung 1948 einige blutige Kriege führte, ist der Militärdienst für Männer (mindestens drei Jahre) wie Frauen (mindestens zwei Jahre) Pflicht.
IDF als Talenteschmiede
Auch Levy-Weiss war bei der IDF und diente viele Jahre als Kampfpilot. Heute kennt er die Kürzel der Spezialeinheiten, die besonders talentierte junge Menschen ausbilden, auswendig. Wenn er Investments in israelische Startups macht, dann schaut er auch darauf, ob die Gründer in Special Units waren. “IDF ist Teil der Kultur. Mit 18 wirst du aus der Küche der Mama geholt und dienst dann zwei drei Jahre in der Armee”, sagt Dr. Eyel Benjamin, der an der Tel Aviv University zu Entrepreneurship forscht.
Beim Militär lernen viele junge Menschen nicht nur den Umgang mit neuester Militärtechnologie (z.B. Drohnen, Sensoren, Cybersecurity), sondern auch selbstständiges Handeln und Teamführung. “Die Armee hat das größte HR-Big-Data-Projekt der Welt”, sagt Business Angel Levy-Weiss. Bereits im Alter von 16 werden Jugendliche einem Test unterzogen, um die Besten der Besten für die Spezialeinheiten zu finden. Am Arbeitsmarkt sind sie dann später stark gefragt, wo sie in dutzenden Meetups pro Woche auf tausende andere treffen können, die schon mal Startup oder Tech gemacht haben.
Die USA-Connection
Prägend für Israel ist seine geopolitische Lage. Umgeben von Feinden, ist das kleine Land stark auf den Export in den Westen getrimmt. Die USA als großer Unterstützer (zuletzt erkannte US-Präsident Donald Trump Jerusalem offiziell als Hauptstadt Israels an, eine strittige Sache) sind ein wichtiger Faktor. In Israel sind etwa 40 VC-Firmen tätig, viele davon aus den USA. Die Hälfte der 6,4 Milliarden Dollar, die 2018 in das Land flossen, stammen von ausländischen Investoren, viele kommen aus dem Silicon Valley.
“Israel ist ein Lab. Hier testen Unternehmer ihre Produkte, und dann versuchen sie sofort, Nutzer in ihren Zielmärkten zu gewinnen”, sagt Dr. Benjamin. Für einen Weltmarkt zu produzieren, sei immer die oberste Priorität für Startup-Gründer, man denke immer global und nicht regional. Die Nähe zu US-Riesen wie Intel, Apple oder Amazon bringt Startups dazu, so zu entwickeln, dass Exits an Big Tech möglich sind.
Heute spielt der Staat selbst auch eine wichtige Rolle im Ökosystem. “Damit all diese Wunder passieren, muss Tech eine Top-Priorität der Regierung sein. Sonst gehen die Top-Leute in andere Branchen wie Finance“, sagt Levy-Weiss. “Die Regierung, ob links oder rechts, war immer Pro-Hightech.“ So wurden ausländische Investoren früh steuerlich begünstigt, um internationales Kapital anzulocken. Die Regeln, Stock Options an Mitarbeiter zu geben, sind attraktiv gestaltet, und in Sachen R&D und der Konzentration von Forschern liegt Israel im „Bloomberg 2018 Innovation Index“ auf Platz 1.
Die „80 Prozent“-Kultur
Damit Israel das viele Geld, den Spill-over von Militär-Tech und -Know-how sowie die starke Forschung in erfolgreiche Unternehmen übersetzen kann, brauchen Unternehmer aber auch den Willen und den Speed. “Wir sind süchtig nach schnellen Ergebnissen. Wir sind ungeduldig und haben eine besondere Army-Mentalität”, sagt Business Angel Levy-Weiss. Schnelligkeit sei in seinem Geschäft entscheidend, um nicht von Corporates gekillt zu werden. Execution eben.
Dr. Benjamin nennt es die „80 Prozent“-Kultur. „Es ist nie perfekt und fertig gemacht”, sagt er, aber genau davon würden Startups profitieren. Es brauche die nötige Chuzpe, die den Israelis eigen ist, also eine Mischung aus Mut und Dreistigkeit, um schnell etwas weiterzubringen. “Israel ist Ego-getrieben. Hier ist jeder mit jedem im Wettbewerb.” Gepaart mit einer Fehlerkultur – einmal oder mehrmals gescheiterte Gründer sind bei Investoren erwünscht – ergibt das einen fruchtbaren Boden für immer neue Startups, die es wissen wollen. „Done is better than perfect“ – auch in Israel ein geflügeltes Wort.
Bekannte Probleme
Doch auch in Israel gibt es Challenges, die es zu meistern gilt. Zwar gibt es auch hier ein Startup-Visum, um Talente ins Land zu holen, doch der Prozess ist nicht einfach. Die Branche ist gereift, was zur Folge hat, dass zwar das Deal-Volumen steigt, aber die Summe der Deals sinkt. Nachwuchsprobleme und einen Kampf um Talente kennt man hier genauso gut wie in Österreich, und ohne die starke Anbindung an das Silicon Valley würde vieles nicht so funktionieren. “Bei der Technologie sind wir manchmal früher dran, aber was das Business angeht, dann sind wir hinter dem Silicon Valley”, sagt Dr. Benjamin.
Und: Wie auch in Österreich gibt es in Israel zu wenige Frauen in der Startup-Szene, sowohl auf Seiten der Gründer als auch der Investoren. “Männliche Investoren tendieren dazu, in Startups zu investieren, die von Männern gegründet wurden”, sagt Sharon Gazit, Corporate Partner bei Goldfarb Seligman & Co. Deswegen hat sie mit anderen Frauen Neome, den „Women Investment Club“ ins Leben gerufen. Durch die Erhöhung der Anzahl von weiblichen Angels wollen sie neue Geschäfts- und Investitionsmöglichkeiten, schauen, von denen Frauen profitieren und dafür sorgen, dass mehr Frauen Führungsrollen in Startups übernehmen.