Hintergrund

The Open Network: Ein kritischer Blick auf das Krypto-Nachfolgeprojekt von Telegram

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Früher stand das Kürzel mal für „Telegram Open Network“, doch heute steht TON mittlerweile für „The Open Network“. Aus einem Krypto-Projekt der populären Messaging-App hervorgegangen, hat sich TON nach einer Intervention aus Telegram herausgelöst und soll nun eine Blockchain werden, die es mit Ethereum und Solana aufnehmen kann. Nachdem die US-Börsenaufsicht SEC den ehemaligen GRAM-Token von Telegram im Mai 2020 mit einem Verbot abgeschossen hatte (mehr dazu hier), erlebte die Technologie im August 2021 unter dem Namen Toncoin ihr Comeback.

Nun kümmern sich nicht mehr die Telegram-Gründer Pavel und Nikolai Durov um TON, sondern die TON Foundation. Während Telegram stets mit Russland verbunden wurde, agiert diese Stiftung nunmehr aus dem neuen El Dorado der Krypto-Industrie heraus – natürlich Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). Um das Projekt hat sich eine Gruppe mehr oder weniger bekannter Namen aus der Web3-Gemeinde geschart, die nun versucht, TON Entwickler:innen als Alternative zu Ethereum und Solana zu verkaufen. Dabei reichen die Kontakte mittlerweile bis hin zu einigen der mächtigsten staatlichen Investoren der Welt.

Telegram stellt Blockchain-Projekt und den GRAM-Token komplett ein

Nur 1,5 Transaktionen pro Sekunde

Rund um The Open Network haben sich Projekte zu Themen geschart, die man längst von anderen Blockchains kennt. Es gibt einen eigenen VPN-Service, Bridges zu den konkurrierenden Blockchains von Ethereum und Binance, natürlich NFTs – und es gibt eine Reihe von Wallets für Toncoin, wovon eine direkt in die Messaging-App Telegram integriert ist und zeigt, dass TON es noch nicht wirklich geschafft hat, sich von der Mutter zu lösen.

Im Marketing gibt sich TON laut und angriffig. Vor allem Ethereum und Solana werden runtergemacht. „Diese beiden Blockchains behaupten, die ultimative Lösung für die Masseneinführung zu sein, aber es ist unklar, ob sie die hohen Erwartungen von Entwicklern und Gemeinschaften erfüllen können“, heißt es da in einem „Vergleich“ auf der eigenen Webseite. TON hingegen sei genau das Richtige für die Massenadoption – das „am weitesten fortgeschrittene Blockchain-Projekt“ sei in der Lage Millionen und, falls dies in Zukunft erforderlich sein sollte, Dutzende Millionen echter Turing-kompletter Smart-Contract-Transaktionen pro Sekunde durchzuführen“. Da könne keine andere Chain mithalten.

Die Realität sieht aber anders auch: Auch wenn technisch gesehen diese Chardchains für eine hohe Zahl von Transaktionen pro Sekunde (tps) bereits umgesetzt wurden, brauchen tut sie derzeit niemand. Aktuell sind es gerade einmal 1,3 bis 1,5 Transaktionen pro Sekunde, die die Chain abwickelt (einzusehen unter https://dton.io). Zum Vergleich: Das angefeindete Ethereum wickelt derzeit etwa 30 tps ab, Solana mehr als 4.000, und die Ethereum-Sidechain Polygon schafft bereits 7.000. Auslastung sieht anders aus. Immerhin ist die Dezentralisierung gegeben – die Proof of Stake-Chain zählt aktuell etwa 310 Validatoren.

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London – Dubai – Abu Dhabi

In den VAE, die sich in den letzten Jahren zu einem Magnet für Krypto-Projekte entwickelt hat, hat die TON Foundation gleich die Nähe zu den großen staatlichen Investoren gesucht. Einer der relativ neuen Partner ist der Hub71, der sich in Abu Dhabi als Drehscheibe zwischen Startups, Unternehmen, Behörden und Investoren versteht. Im Februar 2023 wurde schließlich verkündet, dass über das neu aufgelegte Programm „Hub71+ Digital Assets“ satte zwei Milliarden Dollar in das entstehende Web3-Ökosystem gepumpt werden sollte. Einer der Partner neben Binance, Algorand, Polygon oder Mastercard: die TON Foundation. Über den c sollen 250 Mio. Dollar in Startups gepumpt werden, wurde verkündet.

Hub71 klingt nur nach kleinem Startup-Accelerator, hat aber tatsächlich mächtige Partner von staatlicher Seite. So sitzt der Hub direkt in der Freihandelszone Abu Dhabi Global Market (ADGM) und wird wie Blackstone oder Großbanken von der Finanzaufsicht des Emirats beaufsichtigt. Zu den großen Geldgebern von Hub71 gehören mit dem Abu Dhabi Investment Office (ADIO) sowie die Abu Dhabi and Mubadala Investment Company (mit satten 280 Mrd. Dollar AUM), im Krypto-Bereich ist konkret die First Abu Dhabi Bank (FAB) Partner.

Der Toncoin (TON) selbst ist im November 2022 ordentlich hochgegangen, hat seither aber auch wieder etwa 65 Prozent seines Werts verloren. Wirklich intensiv gehandelt wird der Token nicht, lediglich die Exchanges KuCoin und Bitfinex haben ihm im Angebot, nebst den dezentralisierten Exchanges Uniswap und Pancakeswap. Zu Bitfinex gibt es auch personell eine Connection (siehe unten):

Die Köpfe hinter TON

Wer nun genau hinter The Open Network steckt, ist eigentlich nicht ganz klar. Allerdings tauchen rund um das Projekt auch immer wieder folgende Namen auf, die einen Eindruck vermitteln, wer bei TON die Fäden zieht:

  • Steve Yun: Ein Gründungsmitglied der TON Foundation; über ihn ist wenig bekannt
  • Andrew Rogozov: Ebenfalls Gründungsmitglied der TON Foundation; er war früher CEO des russischen Social Networks Vkontakte – also jenem Unternehmen, das die Durow-Brüder vor Telegram gründeten und aufbauten und dann verkauften (mussten). Heute hat er mit FS Labs auch einen Startup-Inkubator in Dubai – natürlich voller TON-Projekte
  • Tal Kol: Der Mitgründer des Blockchain-Startups Orbs war auch bei Wix, oder der Messaging-App Kik in Israel tätig und ist heute auch Ambassador der TON Foundation
  • Bill Qian: Der Chef von Cypher Capital ist Board Member der TON-Stiftung. Cypher Capital aus Dubai hat zahlreiche Web3-Investments in Projekte eher aus der zweiten Reihe getätigt – zuletzt in Megaton Finance, das (Überraschung) eine DEX auf TON aufbaut. ZUvor war Qian für Binance und JD.com tätig
  • Oleg Andreev: Der Software-Entwickler und nach Eigendefinition „crypto-anarchy historian“ baut mit Tonkeeper eine der wichtigen Wallets für Toncoin
  • Justin Hyun: Head of Incubation der TON Foundation; er war früher in New York beim gesfallenen Krypto-Lender BlockFi tätig
  • Manuel Stotz: Der Gründer von Kingsway Capital aus London war früher bei Blackstone oder Goldman Sachs und dient heute auch als Board Member der TOn Foundation. Im Portfolio von Kingsay finden sich zahlereiche Krypto-Unternehmen, auch TONstarter aus Dubai ist mit dabei
  • Joe Morgan: Der PR-Profi aus London leitet die Kommunikation der TON Foundation; Krypto-Journalist:innen kennen seinen Namen von PR-Aussendungen über Tether oder Bitfinex

TON operiert also stark zwischen den Finanzzentren London, Abu Dhabi und Dubai und versucht, ein Ökosystem wie viele andere Proof-of-Stake-Blockchains auch zu bauen – inklusive der notwendigen Startups, die die Wallets und Anwendungen für die Blockchain bauen. Mit den VAE haben sich die Macher bewusst jenen Hub ausgesucht, der gerade dabei ist, zum Epizentrum der globalen Krypto-Industrie zu werden. Denn vor allem in den USA, aber auch Europa (MiCA) drohen strenge Regeln für Krypto-Projekte – und wer diesen ausweichen will, findet einen Hafen auch in den Emiraten.

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