Die Token-Ökonomie verspricht eine Revolution. Noch ist sie aber wie das WWW in den 1990ern.
„Ich vergleiche Tokens gerne mit den Webseiten in den 1990er-Jahren, als das WWW noch in den Kinderschuhen steckte“, sagt Blockchain-Expertin Shermin Voshmgir im Gespräch mit Trending Topics. Tokens, das sind digitale Repräsentanten für fast alles. Für Schlüssel, für Kunstwerke, Immobilien oder sogar Unternehmensanteile.
Die neue Technologie, die auf der Blockchain basiert, wird eine Revolution, glauben Experten. Derzeit tappen wir bei innovativen Anwendungsfällen aber noch größtenteils im Dunklen.
Grundlagenarbeit noch notwendig
Voshmgir leitet in Wien das Institut für Kryptoökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien. Dort wird derzeit unter anderem an der Zukunft der Token-Ökonomie geforscht. „Meiner Meinung nach sind Tokens die Killer-Anwendung der Blockchain schlechthin“, so die Expertin, die gerade an einem Buch zu dem Thema schreibt, das im März erscheinen wird. Ein Grundlagenwerk, denn: „Wir haben noch keine einheitlichen Begriffe für die Token-Ökonomie, wir können uns nicht systematisch darüber unterhalten, worüber wir eigentlich reden“.
Die bekannteste Anwendung von Tokens sind Kryptowährungen. Ein Bitcoin zum Beispiel sei ein relativ einfach gestalteter Token, der hauptsächlich Werte austauschen kann. „Die meisten frühen Tokens waren fungible Tokens, also solche, die handelbar sind“, erklärt Voshmgir. „Das sind Tokens, die einen geldähnlichen Wert haben oder vielleicht Anteile an einer Firma oder ein physisches Gut, wie der Gold-Token, repräsentieren. Durch die Blockchain ist dieses physische Gut leichter handelbar“.
Was die Forscherin als Killer-Anwendung bezeichnet, sind allerdings nicht direkt handelbare Tokens. Die können nun tatsächlich fast alles repräsentieren und keiner gleicht dem anderen. Ein solcher Token kann ein Kunstwerk repräsentieren oder einen Grundbucheintrag verbriefen oder eine Eintrittskarte abbilden. Der Vorteil? Es werden Geschäftsmodelle oder Anwendungen möglich, die davor kaum umsetzbar waren.
Wohnungsfinanzierung ohne Bank
Anschaulich wird das am Beispiel des fractional ownerships. Simpel gesagt, ermöglicht die Token-Ökonomie die Aufteilung eines Objekts unter vielen einander fremden Eigentümern ohne zentrale Verwaltung. Das würde zum Beispiel die Finanzierung einer Immobile ohne Bankkredit erlauben.
„Wenn eine Wohnung 200.000 Euro kostet und ich habe 100.000 Euro, kann ich für die anderen 100.000 Euro fractional Tokens an Geldgeber ausgeben. Sie bekommen dann anteilig Miete bzw. anteilsmäßig den Verkaufserlös“, beschreibt Voshmgir den Anwendungsfall. Je nachdem, wie man den Token genau gestaltet, sei auch ein Mitspracherecht der Anteilseigner umsetzbar. Dank der Blockchain-Technologie sind Tokens praktisch unfälschbar, was eine zentrale Instanz als Vertrauensbasis überflüssig macht.
Anreizsystem von Bitcoin für CO2-Reduktion nutzen
Neben zahlreichen neuen Geschäftsmodellen, können Tokens auch ein hoch funktionsfähiges Anreizsystem schaffen. „Nudging“ auf der Blockchain, quasi. Tokens könnten zum Beispiel vergeben werden, wenn ein Nutzer seinen CO2-Verbrauch reduziert. Die deutsche Firma Blacksquared bietet mit Changers bereits eine App an, die zu einer CO2-Reduktion motiviert. Die App zeigt an, wieviel CO2 gespart wurde, wenn man etwa auf eine Autofahrt verzichtet hat und stattdessen mit dem Rad gefahren ist.
„Dieses System könnte man mit einem CO2-Token verbinden, der in dem Augenblick geschöpft wird, in dem man eine CO2-Reduktion nachweist“, erklärt Voshmgir. Das beste Beispiel für Tokens als Anreizsystem ist Bitcoin selbst: „Der Sinn von Bitcoin ist, dass ich die Akteure im Netzwerk dafür belohne, dass sie das System sicher halten und Transaktionen richtig verifizieren. Die Kryptoökonomie dahinter ist so designt, dass es sich nicht auszahlt, korrupt zu sein. Neben der Transparenz ist das die revolutionäre Kraft der Blockchain“.
Das Amazon der Token-Ökonomie fehlt noch
Tokens sind nicht nur fälschungssicher, sie sind auch vergleichsweise günstig. „Ich kann heute mit wenig Programmieraufwand in fünf Minuten einen Token erstellen. Rein technisch“, so die Instituts-Leiterin. Die zentrale Frage der nächsten Jahre wird also das Token-Design sein. Hier liegt der Knackpunkt, um die Token-Ökonomie aus den Kinderschuhen zu heben – ähnlich wie das etwa Google und Amazon für das WWW getan haben.
Die Technologie für den Siegeszug des Internets war in den 1990ern ausgereift. Aber: „Es hat zehn Jahre gedauert, bis die Menschen verstanden haben, wofür man eine Website wirklich einsetzen könnte“, sagt Voshmgir. Mitte der 90er-Jahre hätte man über Amazon noch gelacht: „Wer kauft schon Bücher online?“ Die Krypto-Expertin ist überzeugt, dass die Token-Ökonomie genau diesen Weg auch zurücklegen muss: „Technisch ist es schon möglich, alles Erdenkliche zu machen. Aber wir haben keine Ahnung, welche Governance-Regeln wir anwenden sollen und wie wir Token designen müssen“.
Ist die Blase bereits geplatzt?
Bedeutet das, dass uns noch das Platzen einer großen Blockchain-Blase bevorsteht, ähnlich wie am Ende des Dot-Com-Booms? Voshmgir glaubt, dass die Token-Blase bereits geplatzt ist: „Wir haben die Dinge irgendwie tokenisiert. Über ICOs haben Leute einen Token ausgegeben, der überhaupt keine sinnvolle Funktion hat“.
In den nächsten Jahren rechnet die Expertin mit einem immer tieferen Verständnis für die Technologie. „Es wird sich noch herausstellen, welche Welle kommt, wenn wir die Technologie erst richtig beherrschen und verstehen“.