Tokyo Diary: Wie japanische Industrieroboter zu sanften Mitarbeitern werden
Japan ist eine der führenden Nationen in Robotik und Automatisierung. Der Grund dafür liegt einerseits an einem drängenden demographischen Problem: Die Bevölkerung schrumpft, wird immer älter, es gibt kaum Zuwanderung und als Konsequenz einen Arbeitskräftemangel. In Tokio wird aber auch schnell klar: Japan liebt Roboter. An jeder Ecke steht eine Maschine.
Man kauft so Eis, Getränke, Snacks, Maschinen übernehmen aber auch Dienstleistungsaufgaben. In Restaurants ist es gang und gäbe, sein Essen per Knopfdruck mit einem Automaten zu bestellen und zu bezahlen. Auch an der Kassa beim Supermarkt wird die Rechnung an einer Maschine beglichen.
Industrieroboter aus dem Käfig befreien
Dementsprechend arbeiten Unternehmen und Forschung fieberhaft an der Weiterentwicklung der Technologie. Eines der drängenden Probleme in der Robotik ist die engere Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine. Roboter können ihre Kraft nicht einschätzen und menschlichen Mitarbeitern gefährlich werden, die ihren antrainierten Bewegungsablauf kreuzen. Roboter stecken deshalb oft in eigenen Räumen oder zumindest in einem Käfig. Kawada Robotics ist einer der größeren Player im Bereich humanoider Industrieroboter und will genau hier ansetzen.
Während viele automatische Fließband-Mitarbeiter kaum aus mehr bestehen als einem Arm, hat „Nextage“ von Kawada beinahe etwas Niedliches. Will er ein Objekt greifen, dreht er seinen Kopf in die Richtung und fokussiert mit seinen zwei Kameraaugen auf das Teil. Auch beide Greifarme sind mit jeweils einer Kamera ausgestattet. Unermüdlich kann Nextage Komponenten zusammenschrauben oder Objekte sortieren. Und das soll er in enger Zusammenarbeit mit Menschen tun.
Strengere Regeln für Industrieroboter in Europa
In Japan genügt es, dass Kawada einfach gesagt die Kraft des in seiner Größe Menschen ähnelnden Roboters drosselt. „Man findet in Japan häufig Arbeitsumgebungen, in denen Roboter und Menschen eng zusammenarbeiten“, erklärt der österreichische Wirtschaftsdelegierte in Japan, Ingomar Lochschmidt. „Das ist vielleicht auch ein kultureller Unterschied zu Österreich: Die Menschen hier arbeiten gerne mit Robotern, sie lieben Maschinen.“
Nextage soll in ein paar Monaten aber auch in Europa verkauft werden. Und hier sind die Regeln für Teams aus Mensch und Maschine streng. Gefordert ist unter anderem, dass die Maschine sofort erkennt, wenn ihr ein Mensch gefährlich nahe kommt und im Notfall stoppt. Kawada will die Zertifizierung für Europa mit einer Reihe zusätzlicher Sensoren erlangen. Dafür gibt es bereits innovativere Ansätze. Ein gängiger ist eine Art Haut, die mit Sensoren gespickt ist – ein Bereich, dem sich auch ein österreichisches Jungunternehmen widmet: Blue Danube Robotics.
Verletzungsgefahr minimieren
Es gibt aber noch eine Möglichkeit, wie Roboterkollegen zu Mitarbeitern zum Angreifen werden können. „Das Problem ist, dass Roboter sehr steif sind und nicht nachgeben, wenn sie auf Widerstand stoßen, wie das ein Mensch machen würde“, erklärt Universitätsprofessor Alexander Schmitz, der seit 2011 an der Waseda University in Tokio lehrt und forscht. In einem Projekt versucht er das zu ändern. In einem Video ist er zu sehen, wie ein Roboterarm mit einem Werkzeug auf den Kopf des Forschers zielt. Die Maschine bremst bei der Berührung so stark ab und federt zurück, sodass der Mensch nicht verletzt wird.
Schmitz hat auch bereits ein anderes drängendes Problem von Robotern gelöst. Die unsanften Geschöpfe können nämlich nicht dem Objekt angemessen zupacken. „Das ist der Grund, warum zum Beispiel bei Amazon fast alles automatisiert ist, bis auf das Einräumen von Ware aus dem Regal in eine Verpackung“, so Schmitz im Gespräch mit Trending Topics. Der Roboter würde das Produkt möglicherweise in seiner Hand zerquetschen. Oder es würde aus seinen Fingern gleiten, wenn er zu locker zugreift.
Herausforderung: Ein rohes Ei tragen
Schmitz hat an der Waseda University eine Haut entwickelt, die sich ein wenig anfühlt wie die eines Reptils. Unter der Oberfläche ist sie mit multidimensionalen Sensoren ausgestattet, die der Maschine genau sagen, wie fest sie gerade zugreift. Und zwar genauer, als das andere Sensor-Produkte bisher tun, meint Schmitz. Und zu einem Bruchteil des bisherigen Preises. Es hat nicht lange gedauert, bis aus dem Forschungsprojekt ein Spin-off wurde: Xela Robotics. Mit der Haut auf den Roboterfingern kann laut Schmitz sogar ein rohes Eis sicher transportiert werden, ohne dass die Maschine vorher genau dafür eingerichtet wurde.
Langsam ist die Technologie also soweit, Maschinen wie Nextage zu sanften Mitarbeitern zu machen. Aber: Nextage ist leider noch haarsträubend teuer. Umgerechnet wird er in Japan ab etwa 100.000 Dollar angeboten. Einfache Roboterarme sind laut Schmitz aber bereits ab 10.000 oder 20.000 Dollar zu haben. In der Basisversion fehlt es Nextage allerdings nicht nur an einer einfühlsamen Haut, es kommen auch noch Kosten für Greif- oder Sortier-Hände hinzu.
Trending Topics ist auf Einladung der Außenwirtschaft Austria in Tokio – was wir hier alles erleben, liest du hier.