TransferWise: Wie zwei Esten ein 3,5 Milliarden Dollar schweres Fintech bauten
Sie haben 1.600 Mitarbeiter in zwölf Büros, fünf Millionen monatliche Nutzer und ein Transaktionsvolumen von rund vier Milliarden Euro pro Monat, sind profitabel – und können heute eine ziemlich hohe Unternehmensbewertung verlautbaren. Diese liegt nunmehr bei 3,5 Milliarden Euro, und TransferWise ist damit deutlich mehr wert als die europäischen Challenger-Banken N26 (2,3 Milliarden Euro) oder Revolut (ca. 1,5 Milliarden Euro). Das Startup mit Hauptsitz in Großbritannien bietet seinen Nutzern an, Geld über Währungs- und Ländergrenzen oft günstiger versenden zu können als mit alternativen Methoden.
Für diese Bewertung müssen die beiden estnischen Gründer Taavet Hinrikus und Kristo Käärmann, die TransferWise von London aus aufbauten, nicht einmal die Mehrheit der Anteile ihrer Firma aufgeben. Bei einer so genannten Secondary haben Investoren Unternehmensanteile in der Höhe von 292 Millionen US-Dollar an TransferWise erworben.
Sogar Blackrock ist mittlerweile an Bord
Dabei haben einige Early-Stage-Investoren sowie die Gründer Anteile (niemand mehr als 20 Prozent) an neue Investoren Edge Capital, Lone Pine Capital und Vitruvian Partners verkauft. Andreessen Horowitz und Baillie Gifford haben ihre bereits bestehenden Anteile an TransferWise erweitert, außerdem haben sich von Blackrock verwaltete Fonds ebenfalls beteiligt.
Mit dem Online-Dienst kann man 49 Währungen auf 1.600 Währungsrouten versenden, und das Startup aus dem Londoner Stadtteil Shoreditch versucht, den Kunden immer den echten Wechselkurs bei Auslandsüberweisungen zu bieten. Das gelingt, meistens, aber nicht immer. Ein Rechner auf der Webseite zeigt dem Nutzer, welche Rivalen welche Gebühren verlangen würden.
Der TransferWise-Trick
Dass Transferwise so günstige Auslandsüberweisungen machen kann, funktioniert mit einem Trick. Will man etwa von Österreich nach England Geld an einen Kumpel versenden, zahlt man auf ein österreichisches Konto von TransferWise ein – und der Freund in Großbritannien bekommt den entsprechenden Betrag von einem britischen TransferWise-Konto ausgezahlt. Das Geld muss damit gar nicht wirklich die Währungsgrenzen passieren. Für diesen Dienst bekommt das Startup eine kleine Gebühr vom versendeten Betrag.
Die Gründer kamen auf die Idee, als die Hinrikus als erster Angestellter bei Skype arbeitete und Euros bekam, und Käärmann bei Deloitte in London jobbte und in Pfund bezahlt wurde. Weil ihnen die Überweisungen zu viel Geld und Zeit kostete, erfanden sie TransferWise. Ihr Unternehmen ist 8 Jahre nach der Gründung profitabel, im letzten Geschäftsjahr machte es Gewinn nach Steuern in Höhe von 6,2 Millionen Pfund (7,1 Mio. Euro).
EU-Verordnung spielt in die Hände
Mittlerweile steht sogar im Raum, dass die Firma an die Börse gehen könnte, doch eilig hat man es nicht. „TransferWise wächst rasant und diese Investition ist ein weiterer Beleg dafür. Um diesen Weg weiter fortzusetzen, sind wir glücklicherweise nicht auf Finanzierungsrunden angewiesen“, so Mitgründer Käärmann. „Die wichtigste Kennzahl ist der Betrag, den unsere Kunden durch unser kostengünstiges und vor allem transparentes Modell sparen: Heute sind es rund eine Milliarde Euro jährlich.“
Die EU hat TransferWise 2018 gut in die Hände gespielt. Im Vorjahr wurde eine Verordnung für Entgelte für grenzüberschreitende Zahlungen erlassen die versteckte Aufschläge bei internationalen Zahlungen verbietet – also jene Kostentransparenz von Banken einfordert, die TranferWise zum Unternehmensmotto machte. Auch Australien soll über eine ähnliche Regelung nachdenken und der EU folgen.
Angriffslustiges Marketing
TransferWise, das mittlerweile seinen Kunden auch eine Debit-Karte anbietet und diese in die USA bringen will, ist im Laufe der Jahre auch immer beliebter bei Geschäftskunden geworden. Neben Studenten, Freelancern und digitalen Nomaden sind es immer mehr KMU, die TransferWise nutzen, um ihre Geldgeschäfte ins Ausland billiger zu machen.
Ein weiterer wesentlicher Faktor für Wachstum: die API-Schnittstelle. Diese nutzen etwa die französische Bank BPCE sowie die Challengerbanken Monzo aus Großbritannien und bunq aus den Niederlanden. So können sie die TransferWise-Dienste ihren insgesamt 15 Millionen Kunden anbieten. Die erste Bank war aber N26, die den Service in sein Angebot aufnahm (Trending Topics berichtete).
Banken: Vom Feind zum Freund
Dabei sind Banken – ob alt oder neu – eigentlich gar nicht immer so naheliegende Partner für TransferWise, sondern eher Konkurrenten. Das Startup etwa warf Banken in einer Werbekampagne vor mehreren Jahren ziemlich explizit vor, ihren Kunden bei Auslandsüberweisungen zu viel Gebühren aufzubrummen. Ein Hackathon der Firma wurde „Break The Banks“ genannt, und bei inszenierten Demonstrationen wurde „RIP Hidden Fees“ skandiert.
Mit der EU-Verordnung von 2018 sind die Dienste der Briten aber immer gefragter, und Banken werden als potenzielle Partner gesehen. „Das EU-Gesetz gegen versteckte Wechselkurs-Aufschläge war im Kampf für mehr Transparenz ein immens wichtiger Meilenstein“, sagt Käärmann. „Mit diesen Entscheidungen im Rücken, sind Investoren davon überzeugt, dass unser Modell wegweisend für die Zukunft der Branche ist. Jetzt setzen wir uns dafür ein, dass identische Gesetze überall auf der Welt verabschiedet werden.“
Was bei TransferWise noch nachkommen wird, bleibt spannend. In die Karten wollen sich die Gründer nicht blicken lassen. Dafür gibt es den Standsatz, den so viele andere Gründer schon von sich gegeben haben: „Nach acht Jahren stehen wir noch immer am Beginn unserer Reise.“ Eins steht aber schon fest: Zu den 1.600 bestehenden Mitarbeitern sollen in den nächsten 12 Monaten 750 neue dazu kommen.