Unbeeindruckt im Metaverse: Wir waren bei den Australian Open in Decentraland zu Gast
Ein paar rudimentär animierte Avatare stehen vor einer virtuellen Leinwand, auf der die Live-Übertragung eines Tennisspiels zu sehen ist. Die meisten schenken dem Spiel wenig Aufmerksamkeit. Sie sind eher damit beschäftigt, miteinander zu chatten oder im digitalen Stadion ein ziemlich hakeliges virtuelles Tennisspiel auszuprobieren. Hört sich eher unspannend an?
So sieht momentan das Metaverse-Event am Beispiel der Australian Open im Decentraland aus. Natürlich gibt es auch einige wesentlich spektakulärere Events, wie beispielsweise das psychedelische Ariana Grande-Konzert, das Fortnite-Spieler:innen im August erleben durften. Doch meistens müssen solche virtuellen Veranstaltungen noch einen weiten Weg gehen, bis sie mit den wenigen Highlights, die die Branche bisher sah, wirklich mithalten können.
Wer das Metaverse nicht ernst nimmt, dem ist nicht zu helfen
Decentraland ist optisch bescheiden
Wir waren zu Besuch bei den Australian Open im Decentraland-Metaverse. An sich ist die Idee zu solchen Events sehr gut: Mit der weiterhin anhaltenden Corona-Pandemie ist es vielen Menschen zu riskant, zu großen Live-Events zu gehen – speziell solchen, die im Ausland stattfinden. Dank Metaverse gibt es jedoch einen virtuellen Ort, um große Veranstaltungen zu erleben. Weil sie dreidimensional und interaktiv sind, ist die Wirkung von Metaverse-Events deutlich authentischer als bei bloßen Live-Übertragungen auf dem Bildschirm.
Die International Tennis Federation will dieses Potenzial nun ausschöpfen und zeigt momentan die Australian Open neben den gewöhnlichen Übertragungsmethoden zusätzlich in Decentraland. Selbst der aus Australien ausgewiesene Tennisstar Novak Djokovic könnte so noch an dem Turnier teilhaben – zumindest als Zuschauer im digitalen Raum.
Um Decentraland zu betreten, brauchen User:innen lediglich einen herkömmlichen Computer samt Browser. Smartphones unterstützt das Unternehmen noch nicht. In einem Editor müssen Besucher:innen ihren Avatar erstellen. Danach kann es schon losgehen. Mit einer Maus und vier Keys ist es möglich, sich frei durch die virtuelle Welt zu bewegen und mit anderen Besucher:innen per Text oder Voice-Chat zu reden.
Sowohl eine Ego-Perspektive als auch eine Ansicht aus der dritten Person gibt es. Dabei ist die Welt von Decentraland optisch nicht besonders beeindruckend. Nach einer etwa zehnsekündigen Ladezeit zeigt sich ein digitaler Raum, der grafisch gerade mal an den Metaverse-Pionier „Second Life“ heranreicht, die im Jahr 2003 startete – mit aktuellen, populären Game-Hits kann die Grafik nicht mithalten. Auch läuft die virtuelle Welt nicht immer stabil. So gibt es oft Ruckler und es ist uns mehrmals passiert, dass der Ball beim virtuellen Tennisspiel ein paar Sekunden in der Luft hängen blieb.
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Digitales Tennisspiel eher mangelhaft
Der Event-Bereich für die Australian Open besteht aus einigen virtuellen Gebäuden sowie einer großen Arena. Bei den Gebäuden handelt es sich vor allem um Shops, in denen User:innen digitale Kostüme kaufen können. Einkaufen kann man jedoch nur mit einer eigenen Krypto-Wallet. Die beiden wichtigsten Währungen in Decentraland sind Ethereum (ETH) und die hauseigene Coin MANA. In der Arena dagegen können wir selbst zu Tennisspielern werden.
Dort findet sich ein Schläger, mit dem wir durch eine virtuelle Ballmaschine ein paar Ballwechsel spielen können und dabei Ziele auf der anderen Seite des Spielfelds treffen müssen. Das gestaltet sich in der Praxis jedoch wenig unterhaltsam, da sich der Ball nicht sonderlich intuitiv verhält. Mehr Spaß macht es, in dem Event-Bereich nach ein paar versteckten Tennisschlägern zu suchen. Bei der Lösung dieser kleinen Aufgabe winkt mit einem Tennisschläger-Kopf für den Avatar auch eine Belohnung. Das Metaverse bietet eine Vielzahl von Gamification-Möglichkeiten. In Decantraland sind sie zwar vorhanden, jedoch in einer sehr rudimentären Form.
Für diejenigen, die noch mehr Abwechslung wollen, gibt es auch den „Ballpark“. Auf diesem virtuellen Spielplatz gibt zumindest ein Riesenrad, auf das User:innen jederzeit aufspringen und so den Eventbereich von oben sehen können. Doch wir sind nicht zum Spielen hier, sondern um eines der weltweit wichtigsten Tennisturniere anzusehen. Hierfür gibt es über den Bereich verteilt einige virtuelle Leinwände, auf denen die Spiele live übertragen werden. Neben dem Stadion gibt es auch einen eigenen digitalen Public Viewing-Strand inklusive Strandstühlen zum Hinsetzen.
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Interaktiver Aspekt fehlt beim Viewing deutlich
Auch das „Public Viewing“ ist nicht gerade überwältigend, immerhin schaut man im Prinzip nur auf einen Bildschirm auf einem Bildschirm. Es fehlt vor allem der interaktive Aspekt, der beispielsweise bei den Fortnite-Events vorhanden ist. Auch beim Ariana Grande-Konzert war es beispielsweise möglich, durch eine psychedelische Welt zu surfen oder aus einem Flugzeug auf einen riesigen virtuellen Dämon zu schießen, während der Superstar im Hintergrund seine Show ablieferte. Die Spiele hatten dabei einen echten Bezug zur Musik und passten dazu. Bei Decentraland fühlt man sich dagegen in einer eher karg aussehenden Welt relativ alleingelassen.
Fazit: Decentraland ist eher für Krypto-Fans und diejenigen, die Teil der Welt der digitalen Vermögenswerte sein wollen, wirklich interessant. Diejenigen, die ein beeindruckendes, einzigartiges Erlebnis in einem virtuellen Raum suchen, sollten vorerst lieber auf das nächste Fortnite-Konzert warten. Das Potenzial für spannende Metaverse-Events ist durchaus da, jedoch ist Decentraland ein gutes Beispiel für eine Welt, die es nicht ausreichend ausschöpft. User:innen erhalten bei den Australian Open keinen besonders großen Vorteil gegenüber den Zuschauer:innen, die klassisch vor dem Fernseher sitzen.
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Noch viel Luft nach oben bei Metaverse-Events
Der Fokus von Decentraland liegt allerdings auch nicht auf spektakulären Events, sondern auf dem finanziellen Aspekt. Digitales Eigentum ist in dieser im Jahr 2020 gestarteten Metaverse-Welt das A und O. So ist es etwa bei Decentraland möglich, virtuelle Grundstücke (und darauf aufbauend Häuser samt Einrichtung und Kunst an der digitalen Wand) zu kaufen und zu handeln. Dabei sorgt die Blockchain dafür, dass alle jederzeit beweisen können, was ihnen gehört. Beim Australian Open bieten die Shops vor allem Kleidung für die digitalen Avatare im Tennis-Stil an. Es ist übrigens auch möglich, die virtuelle Welt ohne Crypto-gefüllte Wallet zu betreten. In diesem Fall ist lediglich das Einkaufen nicht möglich.
Es handelt sich bei Decentraland nicht um den einzigen Anbieter in diesem Bereich. So verfügt beispielsweise das Neos Metaverse, in dem unter anderem die Wiener Firma Viarsys unterwegs ist, über ein deutlich interaktiveres Erlebnis. Auch spannend ist, wie die digitalen Welten von Facebook/Meta oder Microsoft in Zukunft aussehen werden. Bis dahin sehen wir uns aber Sportveranstaltungen lieber im echten Stadion oder in einem gewöhnlichen Livestream an.