Analyse

Wie Biden den CleanTech-Magnet aufdrehte – und Europa alt aussehen lässt

Karikatur von Joe Biden. © DonkeyHotey (CC BY 2.0) / Canva
Karikatur von Joe Biden. © DonkeyHotey (CC BY 2.0) / Canva
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Auch wenn Joe Biden manchmal wackelig auf den Beinen steht, so hat er mit dem IRA etwas auf die Beine gestellt, dass in die Geschichte eingehen wird. Auch wenn der Inflation Reduction Act dem Zeitgeist entsprechend als Mittel gegen die Geldentwertung benannt wurde, ist das doch das größte Maßnahmenpaket für ClimateTech und CleanTech, das die Welt je gesehen hat. 369 Milliarden Dollar schwer ist der IRA schwer und wurde im August 2022 von der Biden-Administration verabschiedet, um E-Autos, Carbon Capture, Solar- und Windenergie und generell die Drosselung der CO2-Emissionen in der Wirtschaft (einschließlich der Landwirtschaft) zu fördern (Trending Topics berichtete).

Ein Jahr später ist klar: Der IRA ist eine der zentralen Säulen der „Bidenomics“, also der Wirtschaftspolitik des 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten. War nach 2019 der European Green Deal das Maß aller Dinge in Sachen Klimaschutzpolitik, blickt die Welt heute in die USA. Der IRA lässt Europa, das sich stets als grüner Vorreiter sah, alt aussehen, weil das Maßnahmenpaket innerhalb eines Jahres ordentliche Erfolge vorweisen kann. Die massiven Förderungen haben – zusammengenommen mit dem Chips and Science Act – bereits Investitionen in den USA von 224 Milliarden Dollar für CleanTech- und Prozessoren-Projekte (zweitere sind enorm wichtig für die Dekarbonisierung und Elektrifizierung, weil sie die Intelligenz für nachhaltige Energie bringen) ausgelöst.

USA investieren 1,2 Milliarden Dollar für Carbon-Capture-Projekte

USA auf der Überholspur

In den Bereichen Halbleiter, Elektrofahrzeuge, Batterien sowie Solar- und Windkraft wurden von Unternehmen weltweit mehr als 110 Großprojekte, die jeweils mehr als 100 Mio. Dollar schwer sind, angekündigt, mit Job-Effekten von mehr als 170.000 Arbeitsplätzen laut dem Weißen Haus. Während in der EU frühphasige CleanTech-Unternehmen in den vergangenen 12 Monaten Investitionen von 8,7 Mrd. Dollar erhielten, haben vergleichbare Projekte in den USA 21,7 Mrd. Dollar bekommen – fast das Dreifache. Bevor der IRA vorgestellt wurde, hatten Wasserstoffprojekte in der EU beim Funding-Volumen die Nase vorne – aber seit dem zweiten Quartal 2022 wurden sie klar von US-Projekten überholt.

Dem US-Energieministerium wurden 75.000 neue Jobs in der für die E-Mobilitätswende essenziellen Batterieindustrie geschaffen, und auch die Solar-Branche boomt. Und: Seit der Verabschiedung des IRA haben Solar- und Speicherunternehmen über 100 Milliarden US-Dollar an Investitionen angekündigt – dutzende neue Fabriken schießen aus dem Boden. „In 10 Jahren wird genug Solarenergie installiert sein, um jedes Haus östlich des Mississippi mit Strom zu versorgen“, jubelt die Solar Energy Industries Association (SEIA).

Unumstritten ist der IRA aber nicht: Die Inflation sei damit nicht besiegt worden; die massiven staatlichen Subventionen treiben die ohnehin hohe Staatsverschuldung der USA; und die „Made in the USA“-Prämisse verstört wichtige Handelspartner der USA. Zudem werden die großen Abhängigkeiten der Welt und der USA von China bei Akkus, Solar- und Windkraft, zwar schrumpfen, aber groß bleiben.

Kreisel Electric-Batterien werden künftig im großen Maßstab in den USA produziert

Europa droht Abzug wichtiger Player

Besonders bitter aus europäischer Sicht: Die massiven Förderungen des IRA sorgen dafür, dass immer mehr europäische Firmen Großprojekte lieber in den USA umsetzen, weil dort staatliche Subventionen locken. Auch wenn sich die 370 Milliarden US-Dollar über einen Zeitraum von zehn Jahren erstrecken,  enthält der IRA auch Steuererleichterungen, deren Höhe nicht gedeckelt ist. Schätzungen von Wirtschaftsexpert:innen zufolge kann das Volumen des IRA daher bis zu 1,2 Billionen Dollar erreichen. So gibt es mittlerweile zahlreiche Beispiele, wie ausländische Firmen – vor allem aus Südkorea, Europa und Japan – mit ihrem CleanTech in die USA drängen:

  • Climeworks: Der Schweizer Carbon-Capture-Marktführer ist Teil eines Konsortiums, das mit 1,2 Milliarden Dollar zwei kommerziellen Anlagen zur direkten CO2-Abscheidung in Texas und Louisiana aufbaut
  • Toyota: Der japanische Autoriese baut um 2,1 Mrd. Dollar eine Akku-Fabrik in North Carolina
  • Volkswagen: Der deutsche Autoriese baut um zwei Milliarden Dollar in South Carolina ein neues E-Auto-Werk
  • LG Chem: Der Batterieirese investiert 3,2 Milliarden Dollar in ein Kathodenwerk in Tennessee für EV-Batterien
  • Qcells: Der südkoreanische Solar-Riese investiert 2,5 Mrd. Dollar in Georgia
  • Hyundai Motor Group & SK On: Das südkoreanische Joint Venture baut um 5 Mrd. Dollar eine Akku-Fabrik in Georgia
  • Honda & LG Energy Solution: Das Joint Venture baut um 4,4 Mrd. Dollar eine Gigafactory in Ohio

Auch der Abzug des deutschen Startups Marvel Fusion, das nun gemeinsam mit der Colorado State University bis 2030 die Entwicklung der Laser-Fusion, war im Sommer 2023 zu bemerken; erst kurz nachdem der deutsche Wirtschaftsminister Habeck es gerade noch schaffte, das schwedische Batterie-Unicorn Northvolt doch davon zu überzeugen, in Schleswig-Holstein zu bauen und nicht nur in den USA. Während Frankreich schon reagierte und ähnlich wie die USA nun mit Steuererleichterungen im Umfang von 20 Mrd. Dollar CleanTech-Projekte lockt, wogt in Deutschland noch die Debatte, was zu tun sei.

Der IRA wird im „Wirtschaftsmotor“ Deutschland (übrigens vor einigen Jahren noch Vorreiter bei der Photovoltaik, bis dann China den Markt an sich riss) schon längst als Bedrohung gesehen – Stichwort Deindustrialisierung. „Vor allem der drohende Abzug von Kapital im Rahmen einer Investitionsverlagerung in die USA stellt eine Entwicklung dar, die mittel- und langfristig Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand in Deutschland gefährden könnte“, heißt es in einer Studie der Bertelsmann Stiftung.

Net-Zero Industry Act: EU kontert USA und China bei CleanTech

Was machen die USA besser?

Aber was machen die USA, was macht die Bidenomics besser? Auch in der EU gibt es ganz große CleanTech-Programme. So wurden mit dem Post-COVID-Aufbauplan NextGenerationEU ab 2021 satte 806 Milliarden Euro locker gemacht, knapp 40 Prozent davon sind für klimafreundliche Investments gedacht. Dazu kommt noch der „Net Zero Industry Act“ (NZIA), eine direkte Antwort auf den IRA, und der „Critical Raw Materials Act“, die ebenfalls mit vielen Milliarden Euro ausgestattet werden sollen. Trotzdem werden in den USA die Projekte schneller und größer auf den Boden gebracht.

„In den USA wird vor allem mit einer Investitions- und Produktionsförderung gearbeitet, und dabei insbesondere mit Steuergutschriften. Ein US-Unternehmen, das förderungswürdige Ausgaben im Jahr 2023 tätigt, kann diese also umgehend in der Steuererklärung für 2023 angeben und von den entsprechenden Subventionen profitieren“, scho Studienautor Thieß Petersen von der Bertelsmann Stiftung. „In Deutschland und der EU werden hingegen primär Forschungs- und Entwicklungsausgaben gefördert. Es vergeht daher mehr Zeit, bis diese Tätigkeiten tatsächlich die Kosten und damit auch die Preise der subventionierten Produkte senken. Zudem müssen die deutschen und die EU-Fördermittel in der Regel beantragt werden. Das bedeutet aufwendige Verfahren – vor allem weil über die Bewilligung der Mittel mit allen ihren Details (Förderhöhe, Förderzweck, Förderdauer) jeweils im Einzelfall entschieden werden muss.“

„Es gibt nur Verzögerungspolitik“

Europa, das eigentlich grüner Vorreiter sein will, bremst sich selbst aus – obwohl das Ziel, bis zum Jahr 2030 soll mindestens 40 Prozent des jährlichen Bedarfs an sauberen Technologien (Akkus, PV-Anlagen, grüner Stahl usw.) innerhalb Europas abdecken können. In der Praxis bemängeln Unternehmen, die die Energiewende eigentlich schnell vorantreiben wollen würden, aber große Hürden. „Es gibt nur Verzögerungspolitik. Dabei wissen wir, wir haben das Ziel, 2050 in der EU klimaneutral zu sein, in Österreich sogar 2040. Das Schöne an dem Ganzen ist zwar, dass sich dabei sehr viele Möglichkeiten für neue Unternehmen ergeben, aber auch für bestehende Unternehmen, um gewisse Positionen einzunehmen. Durch die Politik haben wir jedoch nur einen Mangel an Planbarkeit“, sagt etwa Christina Maria Huber, Head of Sustainability beim österreichischen ClimateTech-Scale-up neoom.

Auch wenn in Brüssel große Projekte wie der NZIA aufgelegt werden, sie kommen (noch) nicht in der Praxis an. „Die politische Herausforderung im Hintergrund bleibt dennoch die größte, weil das konkrete Regelwerk für die Zwischenschritte noch in der Entstehung ist. Wir wissen, dass wir Schritte setzen müssen, um die Wende zu schaffen. Allerdings ist die Lage aktuell noch so, dass die First Mover, diejenigen sind, die sich damit wirtschaftlich selbst ins Knie schießen könnten“, sagt etwa Helmut Kaufmann, COO Österreichs größtem Aluminiumhersteller, der AMAG.

Bleibt am Ende wohl nur eines über: Der Blick über den Großen Teich, um zu schauen, wie es dort gemacht wird. Denn die Klima-Uhr, die tickt weiter.

Diskussion um Net-Zero Industry: „First Mover schießen sich selbst ins Knie“

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