„Verschlucken sich“: Mikroplastik wird Bestandteil von Korallen
Sie sind riesig und bedecken große Flächen der Ozeane – von den Gezeiten getriebene Strudel bestehend aus tonnenweise Plastikmüll. Einer der bekanntesten Plastikstrudel ist der Great Pacific Garbage Patch (GPGP). Dieser befindet sich im Nordpazifischen Strömungskreis und ist laut der niederländischen Non Profit Organization The Ocean Clean Up ungefähr 1,6 Millionen Quadratkilometern groß. Auch wenn sich viele Menschen unter dem Müllstrudel eine große Plastikinsel vorstellen, die im Ozean treibt, ist dieser in der Realität laut National Geographic kaum auf Satellitenbildern erkennbar. Denn einen Großteil der Kunststoffabfälle hat die Strömung schon so zersetzt, dass nur noch Mikroplastik übrig bleibt, das mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen ist. In großen Mengen lässt das Mikroplastik das Meerwasser aber wie eine trübe Suppe aussehen, die mit größeren Gegenständen wie Fischernetzen vermischt ist.
Mikroplastik sind Plastikteilchen, die kleiner als 5 Millimeter sind. Die so kaum sichtbaren Partikel stellen für die Umwelt eine große Belastung dar. Bisher ist jedoch nicht abschließend erforscht, wo sich diese Abfallteilchen langfristig einlagern, die von Fischernetzen, Autoreifen, zerfallenden Plastiktüten oder anderen Produkten stammen und meist über Flüsse den Weg ins Meer finden. Eine Untersuchung der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) in Meerwasser-Aquarien, die im Fachmagazin Global Change Biology veröffentlicht wurde, hat aber nun gezeigt, dass auch maritime Lebewesen Mikroplastik dauerhaft einlagern können. Dabei handelt es sich um Meerestiere, die bereits stark unter der zunehmenden Erderhitzung leiden: Korallen.
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Erste lebende Senke für Mikroplastik
Laut der Untersuchung nehmen Korallen aktiv Mikroplastik auf und bauen die kleinen Teilchen in ihre Kalkskelett ein. „Korallen sind die ersten Organismen, die als lebende Senke für Mikroplastik im Meer entdeckt wurden“, sagt Jessica Reichert, JLU-Korallenforscherin und Studienleiterin in einer Presseaussendung. Bis zu 20.000 Tonnen Mikroplastik pro Jahr könnten die Meerestiere in den weltweiten Korallenriffen laut den Forschenden binden. Das entspreche etwa einem Prozent des Mikroplastiks im Riffwasser. Eine Koralle nahm in dem Experiment bis zu 600 Mikroplastikpartikel auf, während sie ihre Körpergröße von fünf auf zehn Zentimeter verdoppelte.
Dafür, wie die Tiere die etwa 100 Mikrometer kleinen Teilchen in ihre Körper aufnehmen, haben die Forschenden bereits eine Antwort gefunden: als Beilage. Die Meerestiere ernähren sich gewöhnlich von Plankton, das sie mit speziellen Zellen aus dem Wasser filtern. Dabei kann es passieren, dass auch andere kleine Teilchen aufgenommen werden. „Solche ungenießbaren Teilchen scheidet die Koralle normalerweise wieder aus“, so Reichert. „Manchmal aber läuft bei der Selbstreinigung etwas schief. Die Koralle verschluckt sich sozusagen und der Partikel bleibt im Körper.“
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Auf Dauer schädlich
Für die Studie untersuchten die Forschenden vier Korallenarten: Geweihkorallen, Pfötchenkorallen, kleinpolypige Steinkorallen und blaue Korallen. Diese sind normalerweise im Indopazifik zuhause, wo rund 90 Prozent aller Korallenriffe liegen. In der Gießener Meerwasser-Aquarienanlage, die zum Projekt „Ocean 2100“ des deutsch-kolumbianischen Exzellenzzentrums für Meeresforschung CEMarin (Center of Excellence in Marine Sciences) gehört, simulierten Reichert und ihr Team über 18 Monate eine starke Mikroplastik-Belastung.
„Unsere Studie lässt Korallenriffe in neuem Licht erscheinen. Sie können nicht nur dabei helfen, das ökologische Gleichgewicht der Ozeane zu erhalten, sondern auch als Langzeitspeicher für Mikroplastik dienen“, sagt Reichert. Doch auch wenn die permanente Aufnahme von Mikroplastik zunächst einen positiven Effekt auf marine Ökosysteme zu haben scheint, so kann es für die Koralle und ganze Riffsysteme gefährlich werden.
Bereits vor zwei Jahren hat das Forschungsteam zusammen mit Kolleg:innen aus Australien gezeigt, dass einige Korallenarten bei Mikroplastik-Belastung schlechter wachsen oder gar krank werden, z.B. Korallenbleiche oder Nekrosen zeigen. „Wir wissen nicht, welche langfristigen Folgen die Einlagerung von Mikroplastik für die Korallen haben wird“, sagt Reichert. „Aber es könnte die Stabilität und Widerstandsfähigkeit der Riffe beeinträchtigen. Mikroplastik wäre dann eine zusätzliche Bedrohung für die ohnehin durch den Klimawandel gefährdeten Korallenriffe auf der ganzen Welt.“
Forschende testeten Probiotika an Korallen
Durch die fortschreitende Erwärmung der Meere und die Meeresansäurung sind die Organismen stark bedroht. Korallen leben in einer Symbiose mit Algen. Steigen die Temperaturen des Meeres, beginnen die Korallen die Algen abzustoßen, nehmen zu wenige Nährstoffe auf und verhungern. Optisch deutlich wird dieser Prozess durch das Erbleichen der Korallen. Weltweit ist dieser Prozess bei zahlreichen Korallenriffen bereits ein Problem. Erst in diesem Jahr kamen Forschende in einem Strategiepapier zu dem Schluss, dass bereits jetzt 30 Prozent der Korallenriffe auf der Welt verloren und 40 Prozent massiv bedroht seien.
Daher wird händeringend nach Lösungen gesucht, um die Korallen zu schützen. So auch an der King Abdullah University of Science and Technology (Kaust) in Saudi-Arabien. Ein internationales Forschungsteam rund um die Mikrobiologin Erika Santoro testete in diesem Jahr etwa, ob sich die Hitzeresistenz von Korallen durch das Zuführen von Probiotika steigern lässt. Wie in „Science Advances“ berichtet, waren sie dabei erfolgreich. So konnten sich die „geimpften“ Korallen nach einer Hitzeperiode wieder erholen. Laut der Studie erhöhte sich die Überlebensrate der behandelten Korallen von 60 auf 100 Prozent.
Als Allheilmittel sieht Santoro den Ansatz aber nicht: „Der Einsatz eines Probiotikums ist ein wirksames Mittel, um den Korallen bei der Bewältigung des Hitzestresses zu helfen, aber wir müssen auch andere Maßnahmen in Betracht ziehen.“ So brauche es vor allem die Verringerung der Treibhausgasemissionen und eine Veränderung des Ressourcenverbrauches.
Die aktuelle Studie aus Gießen zeigt nun, dass es neben den Maßnahmen noch etwas anderes braucht, um die Korallen langfristig zu schützen: Weniger Mikroplastik im Meer.