Verwaltungsreform via Blockchain? Nicht in Österreich
Freiheit für das Kapital!“ forderte der peruanische Ökonom Hernando de Soto im Jahr 2000 in einem Buch. Er sieht den Hauptgrund für weltweite Armut in den fehlenden Möglichkeiten, Kapital zu produzieren. Das liegt an den Defiziten in der öffentlichen Verwaltung und den allgemeinen Rahmenbedingungen. Denn in armen Ländern fehlen zentrale Register wie Firmen- oder Grundbücher entweder oft vollständig, oder sie bieten nur wenig Rechtssicherheit. Der Weltbank zufolge haben 70 Prozent der Weltbevölkerung keine Möglichkeit, ihren Landbesitz abzugrenzen oder überhaupt Eigentum über Grund und Boden zu erwerben. Kauf und Verkauf scheitern oft an ungeklärten Eigentums- und Besitzverhältnissen. Aus dem gleichen Grund können oft Hypotheken nicht aufgenommen oder Pfandrechte nicht begründet werden. Bei Unternehmen bleiben Haftungsfragen offen: Wer ist Geschäftsführer, wer Teilhaber? Viele Branchen sind kaum bis gar nicht hinreichend erfasst, was der Behördenwillkür Tür und Tor öffnet.
Entwicklungsmotor Blockchain?
Die Blockchain-Technologie eröffnet auf diesem Gebiet neue Möglichkeiten, die auch bereitwillig angenommen werden – man denke nur an Bitcoin und andere Kryptowährungen, ihre bekanntesten Anwendungsformen. Zwar sind diese Kryptowährungen, wie die letzten Monate gezeigt haben, hochgradig volatil. Dennoch wirken die staatlichen Alternativen in Ländern, die Hyperinflationen und tiefgreifende Wirtschaftskrisen erlebt haben, noch unattraktiver. Der Erfolg von Kryptowährungen ist nicht zuletzt dem fehlenden Vertrauen in Zentralbanken und staatliche Währungen geschuldet.
Korruptionsbekämpfung
Auch abseits von Kryptowährungen herrscht breiter Konsens, dass die Einsetzung von Blockchains Defizite in der öffentlichen Verwaltung beheben und einen wesentlichen Beitrag zur Korruptionsbekämpfung leisten kann: Während sich ein einzelnes Register relativ einfach manipulieren lässt, ist das bei einer Blockchain mehr oder minder unmöglich. Was einmal eingetragen wurde, bleibt, jede noch so kleine Veränderung ist offen einsehbar. Das betrifft neben Eigentumsverhältnissen auch Geldflüsse – Korruption frisst schließlich ungefähr ein Drittel der ausländischen Hilfszahlungen an ärmere Länder. Auch die Effizienz könnte mit der Blockchain-Technologie gesteigert werden: Wenn die Rolle des Staats als Intermediär wegfällt, brauchen Grundbuchs- und Firmenbucheinträge theoretisch nur wenige Sekunden.
Anwendungsgebiet Entwicklungszusammenarbeit
Die großen internationalen Organisationen im Entwicklungsbereich – von den Vereinten Nationen über die Weltbank bis hin zum Internationalen Währungsfonds – haben ihre Bereitschaft zum Einsatz der Blockchain im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit ebenso geäußert wie die Entwickungsabteilungen der Vereinigten Staaten oder Großbritanniens. Die Einsatzgebiete sind weitreichend: Wenn beispielsweise Arzneimittel beim Transport in jeder Zwischenstation eingebucht werden (müssen), wird sichergestellt, dass sie die Patienten tatsächlich erreichen (beziehungsweise lässt sich nachverfolgen, wo sie verloren gegangen sind). Ebenso ließe sich nachvollziehen, wie, wann und wo jeder einzelne Euro von Entwicklungsgeldern ausgegeben wurde. Ebenso ließen sich die oft schwerfälligen und bisweilen korruptionsanfälligen Ministerien oder sonstige Behörden umgehen, indem beispielsweise die Vorräte von Spitälern via Smart Contracts automatisch neu aufgefüllt werden.
Kein Allheilmittel
Gleichzeitig muss man sich der Grenzen der Blockchain-Technologie bewusst sein. Auch wenn Intermediäre wegfallen oder Verwaltungsaufgaben automatisiert werden, kann es weiterhin zu Korruption kommen: Spitäler beziehungsweise Spitalsangestellte, die Medikamente auf dem Schwarzmarkt verkaufen. Transporteure, die behaupten, dass Arzneimittel auf dem Weg verloren wurden. Auch die Information, wo genau Geldflüsse versickert sind, hat ohne entsprechende Konsequenzen noch keinen Wert.
An rechtsstaatlichen Problemen wie Behördenwillkür und mangelnder Objektivität von Richtern ändert sie nichts. Vielmehr empfiehlt sich die Verwendung der Blockchain-Technologie überall dort, wo verlässliche Register aller Art fehlen. Grenzstreitigkeiten zwischen Nachbarn oder ganz allgemein strittige Eigentumsverhältnisse kann sie allerdings nicht klären. Dazu ist sie aber auch nicht da.
Verwaltungsreform durch die Hintertür?
Wie steht es um wohlhabendere Länder wie Österreich? In seiner Zeit als Minister hat Harald Mahrer sich des Themas angenommen und die Plattform „Blockchain Austria“ gestartet. Im Moment deutet alles darauf hin, dass die Initiative unter seiner Nachfolgerin Margarete Schramböck – schließlich kommt sie aus einem Technologie-Unternehmen – fortgeführt wird. Das Regierungsprogramm verweist jedenfalls ausdrücklich auf die „noch nicht vorhersehbaren Auswirkungen“ der Blockchain-Technologie und der Notwendigkeit von Pilotprojekten zu ihrem Einsatz in der öffentlichen Verwaltung.
Kein Selbstzweck
Doch was bedeutet das konkret? Sollte man auch hier beispielsweise Grundbücher auf eine Blockchain umstellen, braucht es dann Notare noch? Im Moment befinden wir uns jedenfalls in einer Art Evaluierungsphase. Die Blockchain-Technologie ist kein Selbstzweck, sondern soll dort eingesetzt werden, wo es sinnvoll erscheint. „Wir schauen uns das an“ bekommt man oft zu hören, wenn man mit Vertretern aus den möglicherweise betroffenen Bereichen spricht.
Matthias Lichtenthaler vom Bundesrechenzentrum spricht jedenfalls von der Notwendigkeit, das Thema Blockchain zu „entmystifizieren.“ Dabei gilt es, zwischen Kryptowährungen und nicht-vermögensbezogenen („assetlosen“) Einsatzgebieten zu unterscheiden. Bei assetlosen Blockchains geht es um den Einsatz in der Verwaltung und damit um „Transparenz, Fälschungssicherheit und Prozessoptimierung“. Als Vorreiter nennt er Dubai. Die Stadt hat – als Teil ihrer „Cyber Security Strategy“ – angekündigt, bis 2020 alle Visum-Anträge, Zahlungen und Lizenz-Erneuerungen über eine Blockchain abzuwickeln.
Die Idee der Blockchain als Alternative zu staatlichen Verwaltungen sieht Lichtenthaler jedoch kritisch. Von sich aus passiere das nicht, es brauche vielmehr einen (staatlichen) Anstoß von außen. So arbeitet das Bundesrechenzentrum derzeit an einer Anwendungsplattform für den Einsatz der Blockchain-Technologie bei Bauprojekten auf Gemeindeebene.
Private Blockchains
Mit dem nicht unwichtigen Unterschied, dass es sich dabei um eine geschlossene Blockchain handelt – also nicht jeder Zugriff hat, sondern nur ein beschränkter Teilnehmerkreis, den die öffentliche Verwaltung festlegt. Folglich besteht hier ein wesentlicher Unterschied zum Grundgedanken der Blockchain als offene und komplett dezentrale Datenbank. Für den Anwender – allen voran den Bürgermeister – würde sich bei einer solchen privaten Blockchain eigentlich nicht viel ändern. Konkret geht es schließlich bloß darum, sämtliche Schritte im Bauprozess gemeinsam und übereinstimmend zu dokumentieren: Von den ersten Vorgesprächen bis hin zur Bauphase. Die dahinterstehende Blockchain sieht man in der Benutzeroberfläche nicht. Bürgermeister würden solche Anwendungsmöglichkeiten auch freiwillig übernehmen, da sie den Mehrwert schnell erkennen, zumal viele Gemeinden schon jetzt versuchen, sich als Vorreiter in Sachen Blockchain zu positionieren. Wobei manche auch in ihrem Eifer über das Ziel hinausschießen – für die gemeinde-interne Verwaltung braucht man eine Blockchain schließlich nicht.
Muss ich Bitcoin versteuern?
Auch für die Finanzämter könnte sich einiges ändern. Hier besteht viel Aufholbedarf, dem Finanzministerium und anderen staatlichen Stellen fehlt das Know-how, wie die Grazer Steuerberaterin Natalie Enzinger bemängelt. Wenn etwa der Nationalbank-Chef Ewald Nowotny eine Mehrwertsteuer auf Bitcoin verlangt, übersieht er die geltende Rechtsprechung: Der EuGH hatte im Oktober 2015 schließlich geurteilt, dass Bitcoin analog zu gesetzlichen Währungen zu behandeln sind und damit keine Umsatzsteuer anfällt. Österreich hat hier kaum Spielraum, die Mehrwertsteuer ist schließlich europarechtlich in einer Richtlinie geregelt.
Enzinger hat sich auf Unternehmen spezialisiert, die bei Neugründungen oder Neuentwicklungen auf die Blockchain-Technologie setzen. Dabei ist oft „unklar, was wann und wie besteuert wird“. Bei Bitcoin ist grundsätzlich klar: Werden sie innerhalb eines Jahres nach Erwerb wieder verkauft, gelten sie als Spekulationsgeschäft. Dementsprechend zählen sie als Einkommen (dabei geht die Finanzverwaltung davon aus, dass stets die ältesten Bitcoin verkauft werden – man spricht vom „First in, first out“-Prinzip, kurz „fifo“). Bei der Durchsetzung der steuerlichen Vorschriften bestehen allerdings noch Defizite.
Manipulationssichere Rechnungen
Auch Enzinger sieht ein weites Anwendungsfeld für die Blockchain-Technologie: Neben den bereits genannten Registern aller Art könnten manipulationssichere Rechnungen den Finanzämtern die Arbeit erleichtern und die Steuereinnahmen erhöhen, dezentrale Fakturierungsprogramme sind manipulationssicher, auch in der Buchhaltung könnte sie zumindest teilweise eingesetzt werden. Grenzen sieht sie indes bei komplexeren Vorgängen und Ermessensentscheidungen: Die Beantwortung der klassischen Frage, ab wann ein Geschäftsessen vorliegt, wird den Behörden auch in Zukunft vorbehalten bleiben.
Erst Skepsis, dann Standard
Das Bundesrechenzentrum befasst sich auch mit der Frage, wie das Grundbuch mit einer Blockchain abgesichert werden könnte. Die Notariatskammer, genau genommen der Wiener Notar Alexander Winkler, der sich mit diesem Thema auseinandersetzt, macht sich vorerst keine Sorgen. Winkler bestreitet nicht, dass sich durch die Blockchain viel ändern könnte. Er sieht Parallelen zur Diskussion rund um die Einführung der digitalen Signatur und allgemein dem elektronischen Rechtsverkehr. Anfangs gab es viel Widerstand und Skepsis, heute ist es Standard.
Allerdings: Das bestehende Grundbuch ist durch die öffentliche Einsehbarkeit transparent und funktioniert allgemein äußerst gut. Die Kritik, dass Grundbücher anfällig für Fehler und Fälschungen sind, gilt für Österreich nicht. Im Gegensatz zum anglo-amerikanischen Rechtskreis braucht es hierzulande etwa keine Versicherungen für den Fall, dass etwas bei der Grundstücksübertragung nicht funktionieren sollte. Ein Abgehen vom bewährten System würde keine erhebliche Besserung bringen und wäre mit unnötigen Risiken verknüpft.
Unterschätzte Notare
Außerdem wird Winkler zufolge die Rolle des Notars als Intermediär unterschätzt: Er ist schließlich nicht nur dazu da, um den Grundbucheintrag vorzunehmen. Vielmehr prüft er auch die Geschäftsfähigkeit der involvierten Personen. So wird, um ein Beispiel zu nennen, verhindert, dass hochbetagte Menschen um ihr Eigentum gebracht werden. Auch prüft der Notar Testamente und Verträge inhaltlich. Oft genug erscheinen Menschen in seiner Kanzlei, die einen Kaufvertrag selbst verfasst haben und dankbar sind, wenn er sie auf wesentliche Mängel hinweist. Auch so etwas vermag eine Blockchain nicht zu gewährleisten. Überhaupt müsse man unterscheiden: Die Blockchain-Technologie sollte nicht mit Rechtssicherheit verwechselt werden. Vielmehr gewährleistet sie Datenintegrität, die Qualität der Daten selbst verbessert sich nicht.
Zwischen Anarchokapitalismus und Black Mirror
Genau an diesem Punkt zeigt sich die ideologische Komponente der Blockchain: Libertäre und technologische Puristen sehen darin ein Mittel, den Staat mehr oder minder überflüssig zu machen. Schließlich können Menschen oder Unternehmen damit ohne jegliche Hinzuziehung staatlicher Behörden ihre Geschäfte abwickeln.
Mehr noch, eine wie auch immer geartete staatliche Beteiligung an Blockchains lehnen sie ab: Anarchokapitalisten betonen die zentrale Rolle des Eigentums, das den Staat als Gewaltakteur nicht braucht. Sobald er dort hineindrängt, wäre die Anonymität nicht mehr gewährleistet, die Behörden hätten vielmehr Einblick in jede einzelne alltägliche Transaktion seiner Bürger. Was bereits in Demokratien zu Unbehagen führt, wird in Autokratien endgültig zur Dystopie – im Atlantic wurden gar Parallelen zur Netflix-Serie Black Mirror gezogen.
Quellen im Überblick
- Cryptocurrency Might be a Path to Authoritarianism (Atlantic)
- Blockchain and Global Health (Foreign Affairs)
- Why Land Administration Matters for Development (Caroline Heider/Weltbankgruppe)
- Distributed Ledger Technology: beyond block chain: A report by the UK Government Chief Scientific Adviser
- https://www2.deloitte.com/content/dam/Deloitte/uk/Documents/Innovation/deloitte-uk-blockchain-app-in-public-sector.pdf
Gemeinsam mit der Rechercheplattform addendum hat Trending Topics ein Rechercheprojekt zum Thema Blockchain durchgeführt. Dieser Artikel wurde zuerst hier veröffentlicht und ist ab jetzt auch auf Trending Topics zu lesen.