Analyse

Volkswagen droht der Nokia-Moment

© Isaac Smith auf Unsplash / Canva Pro
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Als Apple 2007 das iPhone vorstellte, hatte der finnische Handy-Riese Nokia bei Smartphones (nach damaligen Verständnis) einen Marktanteil weltweit von mehr als 50 Prozent. Damals machte man sich noch lustig darüber, dass man beim iPhone den Akku nicht tauschen könne, dass es kein 3G und nur EDGE könne, und das man keine Stift zur Bedienung mitbekomme. Heute wissen wir: Apple ist der (wieder) wertvollste Konzern der Welt, und Nokia spielt in der Smartphone-Welt keine Rolle mehr.

Dieser Nokia-Moment (ein schlafender Riese wird durch bessere Technologie von einem Newcomer im Markt überholt) droht nun auch der deutschen Autoindustrie, vor allem in Gestalt von Volkswagen. Kürzlich wurde bekannt, dass VW möglicherweise zwei deutsche Werke zusperren muss, weil man 500.000 Autos zu wenig verkaufe – das wären beispiellose Maßnahmen in der Geschichte des einstigen deutschen Vorzeigekonzerns. Problematisch wäre vor allem der europäische Markt, in der Region würden seit der COVID-Pandemie 2 Mio. Autos weniger verkauft werden als bisher. Volkswagen: zu groß für die Nachfrage am Markt.

Wachstum scheint also kaum mehr möglich, Kosten gehen rauf – logische Schlussfolgerung: Man muss sparen. „Der im Vorjahresvergleich infolge von Tariferhöhung gestiegene Personalaufwand, Rückstellungen für Aufhebungsverträge der Volkswagen AG, Hochlaufkosten für neue Modelle sowie Belastungen aus der Lieferkette beeinträchtigen das operative Ergebnis und können durch den Volumenzuwachs nicht kompensiert werden“, heißt es im Bericht an Investoren.

Währenddessen hört man aus China permanenten Fortschritt beim Shift in Richtung Electric Vehicles (EVs). Rechnet man Plugin-Hybride dazu, dann wurden im Sommer 2024 in China erstmals mehr „New Energy“-Fahrzeuge verkauft als Verbrenner. Und auch wenn deutsche Hersteller wie Volkswagen früher mal den chinesischen Markt dominieren, ist das heute nicht mehr so. Chinesen kaufen mittlerweile am liebsten chinesische Marken wie BYD, Geely oder SAIC oder von Smartphone-Herstellern wie Xiaomi und Huawei.

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Der Spott der alten Tage

Dabei kann man sich noch gut daran erinnern, wie deutsche Autohersteller und eben auch VW-Vertreter über Tesla hergezogen waren. Da wurden die Spaltmaße bei den US-Elektroautos belächelt, und Matthias Müller, der damalige Vorstandvorsitzende der Volkswagen AG (ihm folgte ein gewisser Herbert Diess nach) nannte Tesla einen „Ankündigungsweltmeister“. Er kritisierte damals auch, das Tesla pro Quartal dreistellige Millionenbeträge verbrenne und das Unternehmen keine Sozialkompetenz hätte, weil gerade wegen Sparmaßnahmen mehrere hundert Mitarbeiter:innen gekündigt wurde (hier nachzulesen).

Nun kann man all das, was Müller damals Tesla vorwarf, auch Volkswagen vorwerfen. Ende 2019 wurden die großen Software-Pläne kommuniziert, damals wollte man bis 2025 mehr als 10.000 Software-Entwickler:innen anstellen, ein eigenes Betriebssystem fürs Auto entwickeln und zum größten Software-Konzern Europas vorstellen. Heute kann man Zwischenfazit ziehen: Der letzte große Software-Coup aus Wolfsburg war die Integration von ChatGPT ins eigene Infotainment-System. CarPlay von Apple und Android Auto sind auch längst an Bord, niemand wartet darauf, bis endlich vw.OS funktoniert.

Voll elektrisch, aber dann doch Verbrenner

„Wir wollen Volkswagen bis 2025 zur weltweiten Nummer eins in der Elektromobilität machen“, sagte der ehemalige VW-Chef Müller 2017. Daraus wird sicherlich nichts werden, denn VW hat sich selbst vom vollen Umsatteln auf E-Mobilität abgewandt. Denn der jetzige VW-Chef selbst, Oliver Blume, hat dazu beigetragen, dass es in der EU doch kein Verbrennerverbot gibt, sondern dass auch nach 2035 Autos mit Verbrennermotoren, sofern sie mit E-Fuels betankt werden, verkauft werden dürfen.

Damit sitzt VW selbst zwischen den Sesseln und fährt eine Doppelstrategie (Verbrenner und E-Antrieb), die auch nach außen schwierig zu kommunizieren ist. Soll man sich jetzt ein E-Auto kaufen, oder doch eines mit Verbrennermotor, wenn so viel dran gesetzt wird, dass es sie noch lange gibt? Das irritiert nicht nur Konsument:innen, sondern ein ganzes Ökosystem drum herum – etwa jene Unternehmen, die E-Ladestationen ausbauen.

Eine schwierige Batterie-Strategie

Schwierig wird es bei Volkswagen auch beim zentralen Bauteil des E-Autos, nämlich der Batterie. Da sind westliche Autohersteller seit langem auf asiatische Hersteller angewiesen, diese haben sich über Jahre einen großen Vorsprung bei der Batteriezelle und den dafür notwendigen Rohstoffen aufgebaut (weswegen in Europa dann viele doch gerne die E-Fuels hätten).

Volkswagen ist einer der großen Investoren von QuantumScape und von Northvolt. Ersteres US-Unternehmen abreitet seit Jahren an der Feststoffbatterie (Solid State Battery) und kommt dabei aber nur schrittweise voran, zweiteres schwedische Unicorn hat sich die „grünste Batterie“ der Welt für E-Autos auf die Fahnen geschrieben. Der Börsenkurs von QuantumScape ist allerdings längst am Boden (ein Zeichen dafür, das Investoren nicht dran glauben), und bei Northvolt kommt es aktuell zu drastischeren Sparmaßnahmen. Es steht Personalabbau und möglicherweise der Verkauf von Teilen des Geschäfts im Raum.

Und dann ist da die VW-Batterietochter PowerCo, die eine große Rolle bei QuantumScape spielt – für diese ist eigentlich seit 2022 ein eigener Börsengang geplant. Allerdings scheint es so, als würde man dafür nicht ausreichend Investoreninteresse wecken, und generell gibt es noch kein echtes IPO-Fenster für einen solchen Schritt.

Wo bleibt das 25.000-Euro-E-Auto?

Auch das wird Volkswagen weiterhin vorgehalten: Während aus Asien immer mehr sehr günstige (weil oft ordentlich subventionierte) E-Autos kommen, soll das E-Auto für unter 25.000 Euro von Volkswagen erst 2026 kommen. Ein solches Auto gilt als wesentlicher Schlüssel, um wirklich die breite Masse erreichen zu können. Denn oftmals gibt es von europäischen Autoherstellern noch Modelle, die 35.000 Euro oder mehr kosten, einfach weil für sich für sie günstigere Modelle nicht rechnen.

Intern sorgt das E-Auto, das man ungefähr mit einem VW Polo vergleichen kann, auch für Ärger. Denn es würde sich für VW wegen hoher Personalkosten nicht rechnen, es in Deutschland zu produzieren, deswegen werden die Einstiegs-Stromer bei für die Marken VW, Skoda und Cupra in Spanien produziert. Mit dem ID.3, den VW beim Marktstart von der Relevanz mit dem Golf und dem Käfer verglich, hat man jedenfalls keine großen Erfolge erzielen können.

Investments bei Rivian und XPeng

Als VW dann im Sommer 2024 sehr überraschend für viele ankündigte, bis zu 5 Milliarden Dollar in den jungen E-Auto-Hersteller Rivian aus den USA zu investieren, konnte man sich spätestens dann schon denken, wo es bei VW mangelt. Denn über die Partnerschaft, die ein gemeinsames Joint Venture beinhaltet, bekommt VW Zugang zu Software und der Elektronikplattform von Rivian, also zwei sehr zentralen Bausteinen für E-Autos.

Dass da auf der einen Seite 2024 Investitionen von fünf Milliarden Dollar in ein US-Unternehmen bekannt gegeben werden und auf der anderen Seite in den Raum gestellt wird, dass zwei Werke in Deutschland zusperren müssen, macht zusätzlich ein schiefes Bild. Aber es sagt auch: Was man nicht schafft, in Deutschland selbst zu entwickeln, muss man sich im Ausland zukaufen.

Ähnliches passierte Ende 2023 in China: Dort hat sich VW um etwa 700 Mio. Dollar rund 5 Prozent am Auto-Startup Xpeng gekauft. Auch hier geht es um die technische Zusammenarbeit zur Entwicklung von BEV-Modellen.

Volkswagen investiert bis zu 5 Milliarden Dollar in Rivian

Vorwürfe gegen das Management

Dass seitens dem VW-Management (siehe oben) an erster Stelle für die Gründe der Misere der „hohe Personalaufwand“ angeführt wird, schmeckt der Gewerkschaft natürlich nicht – diese sieht die Schuld vielmehr beim Management.

„Aufträge werden aus Wolfsburg ferngehalten, um völlig engstirnig kurzfristig Geld zu sparen. Für ein Herzstück unserer Elektro-Strategie, den künftigen VW-Kleinstwagen, wollte man sich dem Wettbewerb an den Hals werfen und ihn bei Dacia bauen lassen.“ Dem Management kreidet sie zudem an, dass es den Markt für Hybrid-Antriebe unterschätzt und so nicht dementsprechend das Angebot gestaltet hat. Der Vorstand hätte seinen Job nicht gemacht, vielmehr hätte er technologische Entwicklungen bei Software und Batterie verschlafen und die Nachfrage nach Hybriden falsch eingeschätzt. „Aufträge werden aus Wolfsburg ferngehalten, um völlig engstirnig kurzfristig Geld zu sparen. Für ein Herzstück unserer Elektro-Strategie, den künftigen VW-Kleinstwagen, wollte man sich dem Wettbewerb an den Hals werfen und ihn bei Dacia bauen lassen“, so Daniela Cavallo, Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats, in einer Aussendung.

Hohe Energiekosten

Klar muss auch sein, dass Volkswagen als einer der größten Energiekonzerne Europas natürlich auch unter den hohen Energiekosten leidet, die Europas Wirtschaft seit dem Ukrainekrieg plagen. Das verteuert die Produktion, während vor allem chinesische oder US-Hersteller im Heimatmarkt günstiger produzieren können.

Hier der Vergleich der Gas- und Strompreise zwischen den USA, der EU und China. Er zeigt, dass europäische Unternehmen das 2- bis 3-fache für Strom wie in den USA oder China, für Gas sogar das 4- bis 5-fache bezahlen.

 

 

 

Autoindustrie im Teufelskreis

Bitter für Deutschland, ein Zulieferer-Land wie Österreich und die gesamte EU wäre natürlich, wenn Volkswagen bzw. die deutsche Autoindustrie abstürzt. Das es kein kontinuierlicher Abstieg wäre, sondern eher ein Crash, belegen die Aussagen von Volkswagen-Finanzchef Arno Antlitz. Der sagte, dem Konzern würden vielleicht „ein bis zwei Jahre“ bleiben, um die Kehrtwende zu schaffen und die Produktion an die gesunkene Nachfrage anzupassen. Hier stellt sich weiters auch die Frage, was das letztendlich für die riesige Zulieferindustrie wie bei Bosch, Continental oder ZF bedeutet.

Doppelt bitter ist ein Scheitern der europäischen Autoindustrie dann wieder rückwirkend auf den Innovationsstandort Europa selbst. „Die Ursache für die schwache Position Europas im Bereich der digitalen Technologien ist eine statische Industriestruktur, die einen Teufelskreis
aus niedrigen Investitionen und geringer Innovation hervorruft“, heißt es etwa im neuen, viel beachteten Strategiepapier des ehemaligen EZB-Chefs Mario Draghi. Im Kern des Teufelskreises: die Autoindustrie.

Und weiter: „In den letzten zwei Jahrzehnten haben sich die drei wichtigsten US-Unternehmen bei den Ausgaben für Forschung und Innovation (F&I) von der Automobil- und Pharmaindustrie in den 2000er Jahren zu Software- und Hardwareunternehmen in den 2010er Jahren und dann zum digitalen Sektor in den 2020er Jahren verschoben. Im Gegensatz dazu ist die Industriestruktur in Europa statisch geblieben, wobei die Automobilunternehmen durchweg die Top 3 der F&I-Ausgaben dominieren.“ Die US-Wirtschaft habe neue, innovative Technologien gefördert, und die Investitionen folgten während sich in Europa die Investitionen weiterhin auf ausgereifte Technologien und Sektoren konzentrierten.

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