Corona-Krise

Vollpension: Wiener Kaffeehaus verlangt jetzt 9,90 Euro pro Stunde

In der Vollpension in der Schleifmühlgasse. © Mark Glassner
In der Vollpension in der Schleifmühlgasse. © Mark Glassner
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Nach der Corona-Krise ist vor der Wirtschaftskrise. Davon gehen nicht nur Wirtschaftsexperten aus, das zeigt sich immer mehr auch in der Praxis. Zwar haben Lokale wieder geöffnet, aber die Gäste sind nicht in der Zahl zurück gekommen, wie es sich manche erwartet hätten. “Mit den alten Preisen wird es unmöglich sein, kostendeckend zu öffnen. Man müsste die Preise verdreifachen“, sagt Moriz Piffl-Percevic. Er hat 2015 die Vollpension gemeinsam mit Hannah Lux und Julia Krenmayr gegründet hat und gibt dort dutzenden pensionierten Menschen die Möglichkeit, nebenbei zu jobben.

Doch wie viele andere Kaffeehäuser wurde auch die Vollpension mit zwei Standorten in Wien voll getroffen. “Unsere Aufgabe ist, so lange zu überleben, bis wir die Touristen des nächsten Sommers begrüßen zu können”, sagt Piffl. Kurzarbeit hin, Crowdinvesting her – die Maßnahmen, die das Sozialunternehmen bisher getroffen hat, werden alleine nicht ausreichen, um den Laden durch die Krise(n) zu bringen. Deswegen hat das Team um Piffl heute vormittag in Wien ein neues Geschäftsmodell präsentiert: Gäste sollen in Zukunft nicht für die konsumierten Speisen und Getränke bezahlen, sondern mit einer Flatrate für die Zeit, die sie im Lokal verbringen.

Mit Flatrate durch die Krise

Das neue Preismodell funktioniert so: Eine Stunde Aufenthalt im Kaffeehaus im 4. Wiener Bezirk kosten 9,90 Euro. Inkludiert sind dabei so viel Tee, Kaffee und Haus-Limonaden, wie man möchte, und pro Stunde gibt es ein Stück Kuchen oben drauf. Und: Für alle anderen Speisen und Getränke auf der Karte erhält man 25 Prozent Rabatt. Das neue Preismodell gilt ab sofort bis zum 15. Juni. In diesem „Beta-Test“ wollen die Betreiber herausfinden, ob es von den Gästen angenommen wird oder ob man noch nachjustieren muss.

“Es geht ja gar nicht um die zwei Monate Lockdown. Das Problem beginnt jetzt. Es ist wieder offen, aber es kommt niemand. Vor diesem Hintergrund wird es neue Geschäftsmodelle brauchen”, sagt Piffl. Man hätte nur ein Drittel der Sitzplätze zur Verfügung, aber die gleichen Fixkosten. An der Wand des Lokals gibt es eine neue (natürlich) Tortengrafik, die den Gästen veranschaulicht, wohin ihre 9,90 Euro wandern – und es eben nicht nur darum geht, wie viel der Kuchen kostet. Die Stunden-Pauschale setzt sich laut Piffl wie folgt zusammen:

  • 3,23 Euro Löhne
  • 2,58 Euro Steuern (Umsatzsteuer, Lohnnebenkosten, Sozialversicherung)
  • 2,49 Euro Wareneinsatz
  • 78 Cent für Fixkosten (inkl. Versicherung)
  • 59 Cent für Reinigungskosten 
  • 23 Cent für Kreditrückzahlungen 

Das neue Preismodell sei bereits einen Tag getestet worden und würde gut ankommen. Zwar würde man Gäste verlieren, die nur schnell einen Espresso trinken wollen oder die sich ein komplettes Brunch-Buffet für die zehn Euro erwarten, aber im Großen und Ganzen soll das Modell gut ankommen. Da pro Stunde abgerechnet wird (die Startzeit wird einfach mit einem abwaschbaren Stift auf den Tisch geschrieben), lohnt der Besuch vor allem dann, wenn man die 60 Minuten wirklich ausnutzt. Für das Personal, das teilweise aus den berühmten „Omis“ und „Opis“ besteht, bedeutet das Preismodell auch, dass den Gästen viel erklärt werden muss.

„Das ist kein Marketing-Gag“

Die Vollpension ist durch smarte Crowdfunding-Kampagnen und laute Social-Media-Arbeit während der Krise aufgefallen (Trending Topics berichtete) – immer wieder wurde vom Team rund um Hannah Lux deutlich darauf hingewiesen, dass die Hilfsprogramme der Regierung bei ihnen nicht greifen würden. So hätte man einen dringend benötigten Kredit nicht bekommen. “Uns haben die Gäste und Fans den Arsch gerettet”, sagt Piffl in Bezug auf die Crowd-Kampagne, die bisher knapp 100.000 Euro einbrachte.

Doch trotzdem muss es die Vollpension bald hinbekommen, wieder einigermaßen kostendeckend zu wirtschaften. Wie vielen anderen Cafés fehlen dem Wiener Lokal die vielen Studenten und Touristen, deren Rückkehr im gewohnten Ausmaß wohl erst 2021 zu erwarten ist. Bis dahin müssen die Gründer dafür sorgen, mit dem neuen Geschäftsmodell in die Gänge zu kommen. Offen ist, ob die Kundschaft die 9,90 Euro pro Stunde bezahlen will. Auch wenn die Macher der Vollpension das Spiel mit der Öffentlichkeit verstehen, Piffl hält fest: “Nein, das ist kein Marketing-Gag.”

© Vollpension
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