Von Lasern und Mikros: So wird das Schmelzen der Gletscher überwacht
Es sind gigantische Eisschollen, die in der Arktis aus dem Wasser in den Himmel ragen oder in den Alpen den Berghang empor klettern: Gletscher. Als Naturschauspiel erhalten sie jedoch vor allem dann große Aufmerksamkeit, wenn sie auseinanderbrechen oder wegschmelzen. Denn die Erderhitzung setzt den Eismassen enorm zu. Egal ob in der Arktis oder in den Bergregionen Österreichs – die Auswirkungen zeigen sich deutlich. Auch wenn ein Gletscher nicht mehr hergestellt kann, wenn er einmal fort ist, versuchen Forschende mithilfe von Technik dennoch, den Gletscherschwund besser zu verfolgen.
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Mikrofone lauschen unter Wasser
Bisher nutzten Forschende vor allem Satellitenaufnahmen um zu sehen, wo sich Gletscher in der Arktis befinden und wie weit sie schon geschmolzen sind. Unklar bleibt jedoch meist, wie viel des Gletschers innerhalb einer bestimmten Zeit schmilzt. Grant Deane, Ozeanograf am Scripps-Meeresforschungsinstitut in San Diego, und Hari Vishnu, Experte für Unterwasserakustik und maschinelles Lernen an der Nationalen Universität Singapur, erforschen am Hornsund, dem südlichsten Fjord Spitzbergens, wie sich die Gletscherschmelze langfristig beobachten – und besser voraussagen lässt. Auf einer Tagung der Acoustical Society of America, die zwischen November und Dezember in San Diego stattfand, präsentierten die beiden ihre Ergebnisse.
Deane und Vishnu installierten Unterwasser-Mikrofone, sogenannte Hydrophonen, im Wasser rund um den Fjord und seinen Gletscher. Sie hatten es dabei auf ganz spezielle Geräusche abgesehen: Eingeschlossene Luftblasen im tauenden Eis, die unterschiedlich laut und häufig freigesetzt wird und dadurch ein Knacken erzeugt. Das Gletschereis enthält uralte Luftblasen, die laut den Forschenden einen Druck von bis zu 20 Atmosphären haben können und wahrnehmbare Geräusche erzeugen, wenn sie beim Schmelzen des Eises freigesetzt werden.
Mehr Geräusche durch wärmeres Wasser
„Wir haben beobachtet, dass die Intensität der Geräusche, die von einem schmelzenden Gletschereis erzeugt werden, tendenziell zunimmt, wenn die Wassertemperatur steigt“, so Deane in einer Presseaussendung. „Das macht Sinn, denn wir gehen davon aus, dass der Terminus in wärmerem Wasser schneller schmilzt, wodurch die Blasen schneller in den Ozean entweichen und mehr Geräusche erzeugen.
Mit den richtigen Messmethoden liefern die Geräusche genauere Informationen darüber, wie und wann ein Gletscher anfängt, instabil zu werden. Wann er abbricht und wie steigende Temperaturen dies begünstigen, lässt sich somit besser voraussagen. Ziel der Forschenden ist es laut eigenen Angaben, vor den Gletschern rund um Grönland und Spitzbergen Langzeit-Schallmessstationen einzurichten. Es sei jedoch eine ziemliche Herausforderung, das System so weit zu entwickeln, dass es auf einem großen Maßstab über lange Zeit genau und monoton arbeite. Die Ergebnisse eröffnen jedoch die Tür zu einer langfristigen akustischen Überwachung des Eisverluste und dessen Zusammenhang mit der Wassertemperatur.
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Mit Lasern über Österreichs Gletschern
Auch in Österreich arbeiten Forschende verstärkt daran, die Gletscherschmelze mit neuen Messmethoden besser zu verfolgen. Wie das Fachjournal „The Cryosphere“ im November berichtete, haben Forschende im österreichischen Teil des Silvretta-Gebirges eine neue Vermessungsmethode eingesetzt, um „unsichtbare Gletscher“ besser zu überwachen.
Unsichtbar sind die Gletscher deshalb, weil deren Eismassen immer kleiner werden und oft mit Geröll bedeckt sind. Früher, als noch viel Eis vorhanden war, konnten die Gletscher mit Luftaufnahmen, sogenannten Orthofotos, noch klar abgegrenzt werden. Durch die Erderhitzung ist das anders. „Sie werden nach und nach unsichtbar, einem Laien würden sie vielfach gar nicht mehr auffallen“, sagte Andrea Fischer vom Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Innsbruck gegenüber der APA.
Die Forscherin hat mit Kolleg:innen erstmals ein Gletscher-Inventar vorgelegt, das auf zwei Datensätzen von hochpräzisen Laser-Scans („LiDAR“) der Silvretta-Region basiert. Damit hat sie festgestellt, dass die Fläche der Silvretta-Gletscher seit 2006 um rund ein Drittel zurückgegangen ist. Die Scans werden mithilfe von Flugzeugen erzeugt, die das Gelände mit Lasern sehr genau vermessen. „Von allen Verfahren zur Erzeugung von digitalen Höhenmodellen ist ‚LiDAR‘ mit einer Genauigkeit von wenigen Zentimetern und einer Auflösung von ein Mal ein Metern das bei weitem genaueste Verfahren“, sagte Fischer zur APA. Dadurch sei die Lasermethode auch genauer als etwa Radar-Methoden, die von Satelliten aus eingesetzt werden.
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Gefahrenpotenzial besser abschätzen
Die Zahl der unsichtbaren Gletscher nimmt laut Fischer zu. Das oberflächliche Verschwinden des Eises mache es immer schwieriger, seine weitere Entwicklung zu beobachten. Denn die Gletscherreste können, auch wenn sie kaum erkennbar sind, das Gelände destabilisieren und das Aufkommen von Vegetation verlangsamen. „Das Abgleiten des Schuttes auf den Gletscherresten und ausbrechende Wasseransammlungen können zu Muren und Steinschlag führen, der Straßen, Schutzhütten, Wanderwege und andere Infrastruktur beschädigt. Die Probleme reichen also bis ins Tal“, so Fischer.
Die Forschenden rechnen laut APA damit, dass Ende des Jahrhunderts nur mehr etwa zehn Prozent der Fläche der Alpengletscher übrig sein werden, in den Ostalpen noch etwas weniger. „Diese vom anthropogenen Klimawandel getriebene Entwicklung lässt sich nicht mehr aufhalten, wir müssen also versuchen, die Situation genau zu beobachten, damit wir Probleme frühzeitig erkennen können“, betonte Fischer. Sie empfiehlt daher, die Oberfläche alle drei bis fünf Jahre mit dem Laser zu vermessen.
Gewonnene Erkenntnisse könnten in Zukunft in höher liegenden Regionen wie dem Himalaya hilfreich sein, wo einerseits mehr Zeit für Maßnahmen bleibe, andererseits aber die Abhängigkeit der Menschen vom Schmelzwasser höher sei. Damit könnte man sowohl das Gefahrenpotenzial als auch die verfügbaren Wasserressourcen besser abschätzen.